Kosovo bleibt Staat im Wartestand
Konflikt um Status ist nicht beigelegt
Von Boris Kanzleiter, Belgrad *
Der Optimismus in Pristina war grenzenlos, als sich das Parlament der Kosovo-Albaner vor knapp
neun Monaten von Serbien lossagte. Innerhalb weniger Tage würden über 100 Staaten die
ehemalige serbische Provinz als selbstständigen Staat anerkennen, kündigte Premierminister
Hashim Thaci kurz vor der Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar an.
Hashim Thaci, der ehemalige UCK-Kommandant, ist bescheidener geworden. Er freue sich über die
Anerkennung Kosovos durch Malaysia, bekannte er vergangene Woche. Der südostasiatische Staat
ist erst das 52. UN-Mitglied das diplomatische Beziehungen zu Kosovo aufnimmt. 140 Staaten
betrachten Kosovo dagegen offiziell noch als Bestandteil Serbiens.
Immerhin, düstere Voraussagen von Gewaltausbrüchen und sogar einem neuen Krieg, der den
ganzen Balkan destabilisieren könnte, haben sich nicht erfüllt. Trotz brenzliger Situationen in den
vergangenen Monaten haben sowohl auf der kosovo-albanischen als auch auf der serbischen Seite
die »gemäßigten« Kräfte die Oberhand behalten. »Nach dem Albtraum der 90er Jahre fürchten die
meisten Menschen eine neue Gewaltspirale«, erklärt Ruzica Devic von der Jugendinitiative für
Menschenrechte, die sowohl in Belgrad als auch in Pristina Büros unterhält und sich um
Verständigung zwischen serbischen und albanischen Jugendlichen bemüht.
Dennoch ist der Konflikt um Kosovo nicht beigelegt. Hinter den Kulissen wird dieser Tage zäh um
die »internationale Präsenz« in Kosovo gerungen. Die serbische Seite hat dabei einen Erfolg erzielt.
Denn – anders als von Pristina gefordert – wird der UN-Sicherheitsrat am kommenden Dienstag
nicht den vollständigen Abzug der UN-Übergangsverwaltung UNMIK beschließen, sondern über eine
»Rekonfiguration« der Mission diskutieren. Wegen des russischen Vetos gegen die Unabhängigkeit
Kosovos bleibt die Resolution 1244 des Sicherheitsrats in Kraft. Und die definiert Kosovo als
Bestandteil Serbiens unter UN-Verwaltung.
Von der Debatte um die künftige Rolle von UNMIK hängt auch die geplante »Rechtstaatsmission«
der Europäischen Union in Kosovo (EULEX) ab. Deren angestrebte knapp 2000 internationale
Mitarbeiter, vor allem Polizeibeamte und Staatsanwälte, sollen die Kosovo-Regierung bei der
Durchsetzung von Rechtstaatlichkeit unterstützen. Das marode Gerichtswesen soll gestärkt werden,
Polizeikräfte sollen ausgebildet werden. EULEX soll die größte zivile Auslandsmission der EU
werden. Wegen der ungeklärten Verhältnisse konnte sie ihre Arbeit bisher jedoch nicht im
vorgesehenen Umfang aufnehmen.
Laut Planung hätte EULEX die UNMIK im Grunde ersetzen sollen. Deshalb lehnte Serbien EULEX
ab. Die seit Juli amtierende neue Regierungskoalition aus prowestlichen Demokraten und
reformierten Sozialisten schlägt nun einen Kompromisskurs ein: Präsident Boris Tadic bietet die
Unterstützung von EULEX an, wenn sich die Mission ausdrücklich als »statusneutral« definiert und
auf der Grundlage der Resolution 1244 der UNMIK unterstellt. Dieser Vorschlag scheint in Brüssel
und New York auf offene Ohren zu stoßen. UN-Vermittler Andrew Ladley verhandelte in den
vergangenen Tagen hinter geschlossenen Türen in Belgrad. Das Büro des EU-Chefdiplomaten
Javier Solana teilte mit, der »Dialog zwischen Belgrad und Brüssel« zeige »Fortschritte«. Und
EULEX-Pressesprecher Victor Reuter bestätigte, dass sich die EU-Mission auf der Grundlage der
Resolution 1244 bewege. Derzeit werde »zwischen Brüssel und New York« über die Beziehungen
zwischen EULEX und UN diskutiert.
Falls sich EULEX tatsächlich der UNMIK unterstellt und sich folglich auch gegenüber dem UN-Sicherheitsrat
verantworten müsste, wäre dies der zweite diplomatische Erfolg für die Regierung in
Belgrad. Bereits am 8. Oktober setzte sich Serbien in der UN-Vollversammlung mit einer anderen
Initiative durch. Gegen den Widerstand der USA beauftragte die Mehrheit der UN-Mitglieder den
Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, die Rechtmäßigkeit der Kosovo-
Unabhängigkeitserklärung zu bewerten. Serbien argumentiert, dass diese einseitige
Unabhängigkeitserklärung seine territoriale Souveränität verletze. Die Kosovo-Albaner
beanspruchen dagegen das »Recht auf Selbstbestimmung«.
Die für nächstes Jahr erwartete Stellungnahme des IGH wird zwar keine bindende Wirkung haben,
aber dennoch von Gewicht sein. Der Prozess der Anerkennung Kosovos würde gebremst, die
Chance auf eine UNO-Mitgliedschaft würde schwinden und Serbien sähe sich berechtigt, neue
Verhandlungen um den Status Kosovos zu fordern. Dabei könnte die Möglichkeit einer Teilung auf
den Tisch kommen, die Boris Tadic bereits andeutete.
Ein IGH-Spruch zum Verhältnis zwischen dem Recht auf territoriale Unversehrtheit und dem Recht
auf Selbstbestimmung am Beispiel Kosovos hätte weitreichende Auswirkungen. Denn der georgischrussische
Krieg um die beiden Sezessionsprovinzen Abchasien und Südossetien hat deutlich
gezeigt, dass Kosovo eben kein »Einzelfall« ist, wie von westlichen Diplomaten immer wieder
behauptet wurde.
In jedem Fall wäre es höchste Zeit, in Kosovo endlich rechtstaatliche Verhältnisse durchzusetzen.
Der jüngste EU-Fortschrittsbericht über die Entwicklung der Balkanstaaten zeigt, dass Geldwäsche,
Drogen- und Menschenhandel in Kosovo ungebremst grassieren.
* Aus: Neues Deutschland, 6. November 2008
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