Ein Lackmustest steht bevor
KOSOVO: Die USA wollen die Abspaltung der Provinz noch vor dem G 8-Gipfel durchsetzen. Deutschland hofft auf ein moderateres Tempo
Von Jürgen Elsässer *
Es gibt etliche Differenzen zwischen den USA und europäischen Staaten, sie resultieren aus Plänen für eine US-Raketenabwehr in Polen und Tschechien oder aus dem Vorgehen gegenüber dem Iran. Inwiefern es dabei um tatsächliche Meinungsunterschiede oder nur um konjunkturelle Profilierungssucht geht, lässt sich oft nur schwer beurteilen. Doch nun steht ein Lackmustest bevor, anhand dessen man das transatlantische Verhältnis recht klar wird einschätzen können: die Entscheidung über die Abspaltung des Kosovo von Serbien.
Agim Ceku, derzeit Premierminister der Provinz und früher Oberbefehlshaber der albanischen Untergrundarmee UCK, umriss Ende April gegenüber der New York Times den weiteren Fahrplan: "Ich erwarte, dass Kosovo Ende Mai seine Unabhängigkeit erklären wird." Und weiter: "Die USA haben sich diesem Anliegen sehr stark verpflichtet (...) Auch Tony Blair ist an Bord." Warum der Zeitdruck so immens ist, machte der vom Terroristen zum Staatsmann gewandelte Ceku recht plausibel: "Wenn der G 8-Gipfel Anfang Juni zusammentritt, wird Kanzlerin Merkel die G 8-Staaten nicht zur Teilnahme bitten, ohne vorher die Statusfrage des Kosovo gelöst zu haben."
Ceku überging mit dieser Ankündigung salopp, dass die Chancen zu einer völkerrechtskonformen Erfüllung seiner Wünsche noch nie so schlecht waren. Denn der vom Finnen Martti Ahtisaari ausgedachte Plan einer von der EU "überwachten Unabhängigkeit" für das Kosovo wird nicht nur von Serbien und Russland abgelehnt, sondern selbst von EU-Staaten wie Zypern, Griechenland, der Slowakei und Spanien (s. Freitag 14 vom 6. April). Unter den fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, der den Ahtisaari-Plan seit knapp sechs Wochen auf der Agenda weiß, haben sich nur die USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien und Italien zustimmend geäußert. Die Position von Peru, Panama und Qatar ist unklar. Kongo, Ghana, Indonesien und China machen aus ihrer Skepsis keinen Hehl. Nach einer kürzlichen Kosovo-Besichtigungstour der Sicherheitsratsmitglieder hat sich auch Südafrika der zweifelnden Mittelgruppe angeschlossen. Die Slowakei und Russland kündigten bereits definitiv ihr Nein an. Nota bene: Selbst wenn die Unentschlossenen noch zustimmen sollten - das Moskauer Njet würde ausreichen, um den Ahtisaari-Plan scheitern zu lassen.
Trotz dieser Faktenlage hat sich Ceku mit seiner Ankündigung nicht lächerlich gemacht, denn ein positives Votum des UN-Sicherheitsrates zur Staatengründung und zum Führen von Kriegen braucht bekanntlich nur, wer das Völkerrecht respektieren will. Statt auf die Stärke des Rechts kann man auch auf das Recht des Stärkeren setzen - sofern der Stärkste auf diesem Planeten mitmacht. Und der hat fast zeitgleich zur Ankündigung Cekus durch Richard Holbrooke, seinen Balkanemissär der neunziger Jahre, erklären lassen: "Wenn sich Russland für ein Veto entscheidet, wird das Kosovo sich für unabhängig erklären, und die USA werden es noch am selben Tag anerkennen." Dan Fried, stellvertretender Staatssekretär im State Department, drohte am 30. April mit offener Gewalt: "Ich hoffe, die Russen verstehen, dass Kosovo auf jeden Fall unabhängig werden wird. Entweder passiert das auf kontrollierte, überwachte Weise, indem das Wohlergehen der Serben garantiert wird, oder es wird auf unkontrollierte Weise passieren, und dann werden die Kosovo-Serben mehr leiden als alle anderen, und das wäre schrecklich."
Deutschland scheut vor dieser Eskalation offenkundig zurück. Obwohl die Bundesregierung hinter dem Ahtisaari-Plan steht, hat Außenamts-Staatssekretär Gernot Erler (SPD) Anfang Mai vor einer Unabhängigkeitserklärung gewarnt, "solange die UN-Resolution 1244 noch in Kraft ist". Auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat kurz darauf bei einem Truppenbesuch im Kosovo "einseitige Schritte" verurteilt. Die deutsche Außenpolitik ist in der Bredouille: Berlin stellt den Vorsitzenden der UN-Verwaltung UNMIK sowie den Oberbefehlshaber der Kosovo-Schutztruppe KFOR und verfügt über die größte Manpower auf dem Amselfeld. Allerdings sind die derzeit etwa 3.000 Soldaten auf der Grundlage der erwähnten UN-Resolution 1244 von 1999 dort stationiert, und die garantiert die Zugehörigkeit der Provinz zu Serbien. Die Konsequenz umschrieb der FDP-Bundestagsabgeordnete Rainer Stinner bereits im Dezember 2006: "Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung durch kosovarische Institutionen wäre ein klarer Bruch der UN-Resolution 1244. Dagegen müsste die KFOR eigentlich vorgehen, etwa indem sie die führenden Politiker des Kosovo festnimmt. Gleichzeitig würde diese Resolution jedoch auch von den Staaten gebrochen, die das Kosovo anerkennen."
Ist es vorstellbar, dass deutsche Soldaten Ceku mitsamt seinen ministrablen Komplizen arretieren - inklusive seiner amerikanischen Berater? Und dass sich die Kanzlerin anschließend zum Plausch mit George Bush et tutti quanti in Heiligendamm trifft? Eher bricht man das Völkerrecht gemeinsam - wie bereits 1999.
* Aus: Freitag 19, 11. Mai 2007
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