Reise ins serbische Kosovo
Niemand hier hat etwas mit den Behörden in Priština zu tun
Von Hannes Hofbauer *
Kosovo hat am 17. Februar dieses Jahres seine Unabhängigkeit von Serbien
erklärt. Wie macht sich
dies im überwiegend serbisch besiedelten Norden bemerkbar?
Im Sommer 2008 wählen wir die Anreise mit dem Pkw. Nur so wird es
möglich sein, die auch nach
der einseitigen Unabhängigkeitserklärung umstrittene Territorialität des
Landes in Form von
Grenzstationen, Zollbeamten oder militärischen Kontrollposten direkt am
Boden zu erleben. Ein VW
Passat mit einem Wiener Kennzeichen gilt mindestens bis zur albanischen
Siedlungsgrenze
Kosovos als Gefährt für urlaubende serbische Gastarbeiter. Diesen
Umstand wollen wir uns bis in
den Norden des 1000 Kilometer von Wien entfernten Kosovska Mitrovica zu
Nutze machen.
Siebeneinhalb Stunden dauert es von Wien bis an die Stadtgrenze von
Belgrad. Danach fahren wir
entlang der Ibarsker Magistrale in Richtung Süden. In den 80er Jahren
nahm die Belgrader
Mittelklasse diesen Weg zu wohlvertrauten montenegrinischen Stränden.
Die dort an der
dalmatinischen Küste liegenden venezianischen Städte haben allerdings
seit dem Umsichgreifen
russischen Investments im Land des Milo Djukanovic ihren Reiz für
serbische Urlauber verloren,
weshalb sich der Verkehr in Grenzen hält. Die Preise haben den Gusto der
Belgrader auf Kotor,
Budva und Sveti Stefano verdorben. Denn während russische Neureiche
nichts daran finden, für die
Flasche Mineralwasser an der Strandbar 5 Euro - die Landeswährung in
Montenegro - auf den
Tresen zu legen, können sich serbische Familien solchen
postkommunistischen Nepp nicht leisten.
Durch die sanften Hügel der Sumadija fahren wir zügig in Richtung
Raizenland. In Raska, das den
historischen Balkanslawen - den »Raizen« - ihren Namen gab, folgen wir
dem Flüsschen Ibar in
Richtung Osten. Die kosovarische Grenze kündigt sich als Warteschlange
von 40 bis 50 Lkw am
Straßenrand an. Baufahrzeuge unterschiedlicher serbischer Herkunft,
manche aus Kosovska
Mitrovica, warten auf die Weiterfahrt. Als Pkw-Spur ist schnell die
Gegenfahrbahn ausgemacht. Ein
Stoppschild - »Policija« - lässt die wenigen Reisenden auf das
Handzeichen eines Uniformierten
warten.
Drei, vier serbische Polizisten sehen sich meinen österreichischen Pass
an und vermeiden im
Übrigen jede Anspielung auf eine Grenz- oder Zollstation. Rein zufällig,
so soll es wirken, stehen hier
an der von Belgrad nicht anerkannten Grenze vier blaue Baucontainer, die
ein knappes Dutzend
Beamte beherbergen. Keine Fahne, kein Blick in den serbischen
Personalausweis meiner Kollegin
zeugen von Zwischenstaatlichkeit.
Viel Militär mit wenig Interesse
Die Nummer unseres Autos wird notiert, und weiter geht die Reise, bis
nach der Ortstafel von
Leposavic ein Trupp britischer Polizisten, mit leichten
Maschinenpistolen ausgerüstet, unter einer
überdachten »Haltestelle« auftaucht. Die Untertanen ihrer Majestät
zeigen Präsenz, aber kein
Interesse an unseren Personalien. Dafür sollen wir 20 Meter weiter in
Richtung eines Metalltisches
fahren, auf dem eine junge Frau in der Uniform der Kosovo Police Force
(KPS) sitzt und mit einer
Handvoll herumstehender Männer plaudert. Meine Anrede von hinten
erschreckt sie. Als ich sie
darauf aufmerksam mache, dass es eigentlich ihr Job wäre, uns Angst
einzujagen, muss sie lachen
und bedeutet uns weiterzufahren.
Konflikte im Kosovo fordern vier Verletzte **
Bei Auseinandersetzungen in der Stadt Kosovska Mitrovica sind drei
Zivilisten und ein UN-Polizist verletzt worden. Bei den Zusammenstößen
am Montag abend seien Steine geflogen, die Lage sei weiter angespannt,
teilte die Polizei am Dienstag mit. Ein Albaner, ein Serbe und ein
UN-Polizeioffizier seien verletzt worden, so Polizeisprecher Besim Hoti.
Die Streitigkeiten brachen in der Nähe der zentralen Brücke über den
Fluß Ibar aus, der den mehrheitlich von Kosovo-Albanern bewohnten
Südteil der Stadt vom serbisch geprägten Norden trennt. »Wir haben die
Situation unter Kontrolle, aber die Stimmung bleibt angespannt«,
erklärte Besim Hosni. Die kosovarische Polizei sowie die
Besatzungstruppen der KFOR-Mission und der NATO hätten ihre Präsenz
verstärkt. Kosovska Mitrovica war seit der einseitigen
Unabhängigkeitserklärung der südserbischen Provinz Kosovo wiederholt
Schauplatz von Konflikten. In der Stadt leben 20000 Serben.
** Aus: junge Welt, 6. August 2008
Die junge Frau war serbische Polizistin in UNMIK-Diensten. Die
Bürocontainer hinter ihr waren nach
der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung vor Monaten von aufgebrachten
Serben angezündet
worden. Die brachten damit ihren Protest gegen diesen Kontrollposten
mitten im serbischen
Siedlungsgebiet zum Ausdruck. Mittlerweile hat die UNMIK neue
Metallbehälter herbeigeschafft.
Dass wir nun bereits in Kosovo sind, wird erst deutlich, als drei
Kilometer später eine martialisch
ausgerüstete Einheit von französischen KFOR-Soldaten die Straße
versperrt. Zwei der kahl
geschorenen Stiernacken halten sich an Zugseilen metallener
Reifenkrallen fest, die sie jederzeit
quer über die Straße werfen können, wenn ihnen ein Fahrzeug oder dessen
Insassen nicht geheuer
vorkommen. In breitem provencalischen Dialekt schreit der eine die
Kennzeichenkombination
unseres Pkw über den kleinen Platz. Gegenüber wiederholt ein Kollege
jeden Buchstaben und jede
Ziffer in militärischem Tonfall und tippt sie fein säuberlich in einen
Computer. Pässe werden auch
hier nur kurz aufgeschlagen, Stempel sind auch hier nicht im Einsatz.
Kein Schild und keine Fahne lassen hier im Norden Kosovos die Einreise
in einen anderen Staat
vermuten. Offiziell hat der Reisende auch fast sechs Monate nach der
erklärten Unabhängigkeit
Serbien nicht verlassen. Bei der Ausreise in Richtung Niš bot sich im
übrigen dasselbe Bild.
Entlang der 40 Kilometer in Richtung Kosovska Mitrovica sind nationale
Symbole rar. Das mag an
der dünnen Besiedlung dieses Landstrichs im Norden Kosovos liegen, oder
daran, dass sich die
serbischen Fahnen - nur solche sind hier freilich zu sehen - im heftigen
Sommerwind rund um den
Befestigungsdraht gerollt haben oder zerrissen sind.
Industrieruinen in Zvecan
Vor der Einfahrt nach Kosovska Mitrovica taucht zur linken Hand ein mehr
als eineinhalb Kilometer
langer Industriekomplex auf. Es sind die Trepca-Werke von Zvecan.
Vollständig entglast und
verrottet stehen die Industriebauten im Tal des Ibarflusses als Mahnmal
einer fernen Epoche, als
hier noch Zink und Blei aus den Bergen geholt und verarbeitet wurden.
Der Bahnhof von Zvecan
liegt verwaist neben dem Werk. Einzig ein großes Transparent und neue
Aufkleber deuten auf die
Zuständigkeit der »Serbischen Eisenbahn« für Bahnhofsgebäude und
Schienen hin. Diesen Kampf
mit der UNMIK-Verwaltung haben die lokalen Eisenbahner und Belgrad erst
vor drei Monaten - für
wie lange? - gewonnen. Bis dahin waren die internationalen Verwalter für
sämtliche Einrichtungen
der Eisenbahnen in ganz Kosovo zuständig. Man fragt sich nur, worum es
bei der symbolischen
Besitznahme überhaupt geht. Denn Schienenverkehr scheint es hier nicht
zu geben. Die Nachfrage
bei mehreren Passanten ergibt nur einen Hinweis auf die Busstation.
Zwischen Zvecan und Kosovska Mitrovica springt der Tachometer des Passat
auf 000. Von Wien bis
hierher an einen der leicht entzündbarsten politischen Brennpunkte
unseres Kontinents waren es -
ein paar kleinere Umwege inklusive - exakt 1000 Kilometer.
Im nördlich des Flüsschens Ibar gelegenen Teil von Kosovska Mitrovica
leben 16 000 Menschen.
Folgt man der OSZE Schätzung, so sind 95 Prozent davon Serben. Der Rest
der Bevölkerung sind
Goraner, während der osmanischen Herrschaft islamisierte Slawen, und
Türken. In drei
Hochhäusern direkt am Ufer haben auch ein paar albanische und bosnische
Familien überlebt.
Der größere Teil der Stadt liegt südlich des Ibar. Dort ist es
umgekehrt: die Albaner haben faktisch
eine monoethnische Umgebung geschaffen. Die Brücke zwischen beiden
Stadtteilen wird seit 1999
rund um die Uhr von KFOR-Soldaten bewacht. Das Misstrauen zwischen
Serben und Albanern ist
gewaltig. Es gibt kaum jemanden, der von einer auf die andere Seite
wechselt. »Was soll ich dort«,
meint ein Serbe auf die Frage, ob er in den vergangenen Jahren auch in
den albanischen Stadtteil
gefahren ist.
»Frontzulage« hilft beim Überleben
Die Menschen im serbischen Kosovska Mitrovica leben von Kleingewerbe und
Kleinhandel sowie
von Unterstützungsgeldern aus Belgrad. Sämtliche kommunalen und
staatlichen Angestellten
erhalten doppelte Gehälter. Diese Art »Frontzulage« soll die Menschen
daran hindern, das schwere
Leben an diesem Ende der serbischen Welt aufzugeben. Wenn ein kommunaler
Bediensteter
umgerechnet 400 statt 200 Euro monatlich nach Hause bringt, bleibt er
angesichts der ebenfalls
schlechten wirtschaftlichen Lage in »Kernserbien« lieber in Kosovska
Mitrovica. Eine Reihe
gepackter Koffer kann er trotzdem in der Nähe seines Pkw stehen lassen.
Für den Fall, dass es
auch hier zur Vertreibung der Serben kommen sollte.
Die Arbeitslosigkeit liegt seit dem Jahr 2000, als die KFOR mit Gewalt
die Trepca-Minen
geschlossen hat - angeblich wegen gesundheitsgefährdenden Bleiausstoßes
- bei 60 Prozent.
Produziert wird im Norden so gut wie gar nichts; auch der Wiederaufbau
zerstörter Häuser ist lange
noch nicht abgeschlossen. Nur sehr vereinzelt stehen Kräne in der Stadt,
um Baulücken zu
schließen. Die Menschen scheinen sich dennoch an die Situation gewöhnt
zu haben.
Offiziell gehört der Landstreifen nördlich des Ibars zu Kosovo. Doch
niemand hier hat etwas mit den
Behörden in Prishtine, wie Priština albanisch heißt, zu tun. Die
serbischen Parallelstrukturen
funktionieren. Wesentlich dafür verantwortlich ist der Serbische
Nationalrat, eine Mischung aus
Selbstverwaltungskörperschaft und Nichtregierungsorganisation. Seinen
Präsidenten treffen wir im
örtlichen Spital. Milan Ivanovic ist Direktor des Krankenhauses.
Der 50-jährige Lungenfacharzt bestätigt die vollständige Trennung aller
Verwaltungsstrukturen von
Priština. Am 11. Mai 2008 sind - gegen den Willen der UNMIK - im Zuge
der serbischen Wahlen
auch hier die Gemeinderäte gewählt worden. Über 65 Prozent haben sich
daran beteiligt und
mehrheitlich die Radikale Partei des Tomislav Nikolic und die Serbischen
Demokraten Voijslav
Kostunicas gewählt. Mit der Konstituierung eines eigenen »serbischen
Parlaments« am 28. Juni
haben sich die parallelen gesellschaftlichen Strukturen der Serben auch
politisch manifestiert.
»Eigene Strukturen innerhalb Serbiens bilden unsere einzige
Überlebensgrundlage«, meint Ivanovic
nachdrücklich. Den Albanern in Priština traut er nicht über den Weg. Und
den KFOR-Truppen
ebenso wenig. Wenn die »Internationalen«, wie die Besatzer hier genannt
werden, wie schon im
März 2008 versuchen sollten, kosovarische Fahnen und Zolleinrichtungen
zwischen Kosovska
Mitrovica und Kernserbien aufzustellen, »wird es zu einer Totalblockade
des Übergangs führen«, ist
Ivanovic überzeugt. Von einem Anschluss des Nordens an staatliche
Strukturen Kosovos ist
jedenfalls weit und breit nichts zu sehen. Mit dieser Bevölkerung
scheint er auch nicht machbar.
Von Hannes Hofbauer erscheint im Oktober das Buch »Experiment Kosovo:
Die Rückkehr des Kolonialismus« im Promedia Verlag Wien.
* Aus: Neues Deutschland, 6. August 2008
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