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Die "Internationalen" in Kosovo

Nirgends sonst in Europa ist die ausländische Präsenz so auffällig

Von Hannes Hofbauer, Priština *

Ende Januar oder Anfang Februar wird der UN-Sonderbeauftragte Martti Ahtisaari in New York seinen Vorschlag zum künftigen Status der völkerrechtlich zu Serbien gehörenden Provinz Kosovo vorlegen. Ihre derzeitige Regierungsform lässt sich kaum anders denn als »internationale Fremdherrschaft« beschreiben.

Priština im Winter gilt als hartes Pflaster, und über dem Pflaster schwimmt der Morast. Auffällig ist, dass private Geschäftseingänge ununterbrochen geputzt werden, derweil sie jeder Neugierige mit seinen vor Dreck strotzenden Schuhen aufs Neue schmutzig macht. Der öffentliche Raum fungiert als ein zu überwindendes Niemandsland zwischen den Plätzen, an denen man zu tun hat oder zu Hause ist.

Das Zentrum von Prishtinë, wie die Kosovo-Hauptstadt albanisch heißt, wird ohnedies von den »Internationalen« beherrscht. Unübersehbar in der Mitte der Stadt: die festungsähnliche Anlage der United Nations Mission in Kosovo (UNMIK), umgeben nicht nur von einem hohen, stählernen Zaun, sondern auch von Betonklötzen. Die sollen verhindern, dass jemand, der die »Helfer« als Besatzer sieht, sich mit einem LKW voll Sprengladung dem Gebäude nähert. Vom UNMIK-Zentrum weg laufen ganze Straßenzüge, die mit Einrichtungen der »Internationalen« gespickt sind. »United Nations House«, »British Council«, Büros diverser Organisationen wie »World Vision«, »Protestants in Kosovo« mit mittwöchlichen Betstunden, dazu die »Civil Police International« und, am Ende der Straße, das »5. Kommando der TMK«, ausgestattet mit allerlei Insignien der einstigen »Kosovo- Befreiungsarmee« UCK.

Ob die nicht längst aufgelöst wurde, will ich von einem Passanten wissen. Der versucht, die Frage mit einer Handbewegung wegzuwischen. Er interessiere sich nicht für Politik, und schon gar nicht für diese hier, meint der etwa 55-jährige Mann in perfektem Englisch. Mehmet ist Türke und lässt seinen ganzen Frust über die Lage in Kosovo heraus, als er merkt, dass ihm jemand zuhört.

Bis 1999 hat er an der Medizinischen Fakultät der Universität Priština gearbeitet, dann verlor er über Nacht seinen Stelle. »Warum?« – »Weil ich Türke bin.« Seit dem Krieg, so erzählt er seine Sicht der Entwicklung spiegelverkehrt zur gängigen Lesart, sei alles schlechter geworden. »Ich kann doch nicht mein Türkensein ändern und Albaner werden«, beklagt er Arbeitslosigkeit und persönliches Elend. Schuld an allem und besonders an seinem jetzigen Schicksal sei schon Tito gewesen, indem er die Türken ethnisch den Albanern zugeschlagen habe. »Dabei bin ich schon 400 Jahre hier«, erbost er sich und muss lachen, als er auf den kleinen grammatikalischen Fehler in seinem Satz aufmerksam gemacht wird.

Der 55-Jährige verabschiedet sich höflich und ruft mir noch ein »güle, güle« (Auf Wiedersehen) nach – offensichtlich stolz darauf, dass sich einige Passanten deswegen nach ihm umdrehen.

Fremde Insignien sind unübersehbar

»Virtuelles Leben« nennt der Chefredakteur der Tageszeitung »Express«, Baton Haxhiu, jene Gesellschaft, die sich in Lokalen wie dem »de Rada« oder dem »Strip Depot« trifft. »Kreolen« hätte man diese Menschen im Diskurs der 70er Jahre genannt. Das bezog sich damals auf die postkolonialen Verwaltungen im Süden der Weltkugel. Inwieweit es sich in Regionen wie Kosovo um etwas Postkoloniales handelt, ist indes zweifelhaft. Zwar beharrt die albanischsprachige Intelligenz im Lande darauf, die »serbische Periode« als Fundament allen Übels zu brandmarken und sie – je nach historischem Gusto – als 100- oder 20-jährige Kolonialzeit zu betrachten. Aber nicht nur den klugen Köpfen in Kosovo dämmert es, dass mit dem Abschütteln der als Apartheid-System empfundenen Belgrader Politik kein Licht am Ende des Tunnels der kolonialen Finsternis auftauchen muss, sondern sich eine neue, »internationale« Fremdherrschaft etabliert.

Dem Beobachter fallen vor allem die Insignien dieser neuen Fremdherrschaft ins Auge. Es ist, als ob es eine eigene Fahrzeugproduktion für EU-europäische und US-amerikanische Verwalter gäbe, die allesamt mit vierradgetriebenen Vehikeln ausgestattet sind, als wollten sie demonstrieren: Eure Straßen sind für normale Autos zu schlecht. Dass die Autos der »Beschützer« noch allerlei Phantasiekennzeichen tragen, von »UNDP 001« bis »OSCE 1000«, oder italienische, britische, tschechische, französische Nummernschilder zur Schau stellen, unterstreicht den kolonialen Habitus. In keinem anderen Land Europas, inbegriffen Bosnien und Herzegowina, habe ich diese Massivität an ausländischer Präsenz im Straßenbild erlebt. Die hohen Antennen auf den Gefährten der Marken Range Rover, Chevrolet und Mercedes weisen auf den Satellitenempfang der Benutzer hin – voll Verachtung für die unsichere terrestrische Telefonie.

Auch letztere wurde den Kosovaren – wie sie sich politisch korrekt nennen dürfen und müssen – von den »Internationalen« aufgezwungen. Für beide internationalen Vorwahlsysteme, die der kleine Mann und seine Frau in Kosovo zwecks Kontaktaufnahme nützen können, wird die »Provisorische Institution der Selbstverwaltung« zur Kasse gebeten. Die 00381-Vorwahl lässt sich Serbien dem Vernehmen nach mit 30 Millionen Euro per anno abgelten, während für das Mobilnetz 00377/44 Monaco 50 Millionen Euro pro Jahr erhält. Der durchschnittliche Einwohner Prishtinës besitzt eine monegassische Vorwahl, weil die »Internationalen« nicht fähig oder willens sind, eine eigene kosovarische Telefonvorwahl möglich zu machen.

Während die »virtuelle« Gesellschaft vielleicht 10 Prozent der Bevölkerung Kosovos umfasst, befinden sich etwa 40 Prozent – großenteils illegale – Emigranten im Ausland. Ihre Geldüberweisungen halten die Familien daheim am Leben. Einen jener privaten Geldempfänger treffe ich im Restaurant »Kroj« im Zentrum der Stadt. Die offene Feuerstelle in der Mitte des Raumes zeugt von Stil, der Besitzer schenkt zusätzlich zur Karte noch selbst gekelterten Rotwein aus.

Faik, Restaurantgast wie ich, hat wie viele in Deutschland gearbeitet: Baumfäller im Schwarzwald, Chauffeur in Freiburg ... wo Not am Mann war, hat er zugepackt. Sein Deutsch ist eingerostet, seit sieben Jahren lebt der 37-Jährige von den Überweisungen seiner zwei Brüder, einer arbeitet in den USA, der andere in Deutschland. Mit 200 Euro pro Monat heißt es sparen.

Ohne Job wie zwei Drittel der ansässigen Kosovaren, schafft Faik es auch noch Jahre nach dem Krieg, »den Serben« die Schuld für alles Übel zuzuschieben. Die nationale Verblendung bildet wohl neben den tatsächlich erlebten Repressionen die große Katastrophe des beginnenden Jahrhunderts. Die »Internationalen« verstehen es bestens, diese nationalen Töne in ihr Konzert zu integrieren und damit soziale Misstöne unhörbar zu machen.

Unter Washingtons schützender Hand

Die kosovarische Gastfreundschaft ist in vielerlei Beziehung überwältigend. Man gehört bald zum äußeren Kreis einer »Familie«, in diesem Fall zur schmalen Schicht der neuen Landeselite. Denn mein letzter Gesprächspartner führt mich abends in den Club »Strip Depot«. Einlader für die illustre Runde, die auf 60 bis 70 Personen anwächst, seien »die Amerikaner«, werde ich instruiert. Genauere Auskunft gibt es erst nach ungewöhnlichem Insistieren. Es ist das »National Democratic Institute«, dem die frühere USA-Außenministerin Madeleine Albright vorsteht, das sich die Geselligkeit in dem an öffentlichem Raum nicht gerade üppig ausgestatteten Priština – oder Prishtinë – etwas kosten lässt.

Mit dabei in der immer undurchsichtiger werdenden Menge an »beautiful people« oder jedenfalls wichtigen Leuten sind unter anderem Ramush Haradinaj und Hashim Thaci, UCK-Kämpfer der ersten Stunde und beizeiten von Interpol und (oder) serbischen Behörden wegen Polizistenmord und Schlimmerem gesucht. Ramush Haradinaj ist seit März 2005 formal vom Haager Tribunal angeklagt, nur die schützende Hand Washingtons belässt ihn – bis auf weiteres – auf freiem Fuß.

Die Stimmung ist aufgeräumt, Leibwächter halten sich im Hintergrund und ein Außenstehender kann die Atmosphäre einer kolonialen Gesellschaft direkt greifen. Der belgische »Büroleiter«, der bedauert, in Kosovo mangels Staatlichkeit keinen Botschafterrang zu tragen, findet das Szenario lustig, das ich – zugegeben als Provokation – entwerfe: Was, wenn serbische Soldaten in NATOUniformen demnächst als »Partner für den Frieden« in Kosovo für Ordnung sorgen? »Wir werden sie rausschmeißen«, antwortet er, spaßeshalber, versteht sich, und weil man über den Durst getrunken hat.

Seine Bürobegleitung weiß von ihrem Job zu berichten, dass sie ihn wegen des Geldes mache. Inhaltliches kommt ihr erst gar nicht in den Sinn. Anders die Sonderbeauftragte für den Balkan- Stabilitätspakt, die frühere österreichische Grünen-Parlamentsabgeordnete Marjana Grandits. Sie strotzt von Überzeugungskraft. Gutes tun endet bei ihr nicht bei der eigenen Karriere, auch andere sollen davon etwas abbekommen. Im gegebenen Fall sind es 90 Studierende eines Kurses über Menschenrechte, der in Venedig abgehalten wird. Mit einem Sonderflug für 40 000 Euro sind die allesamt aus EU-Staaten stammenden Auszubildenden »ins Feld« geflogen worden, um hier die harte Realität unzureichender oder bereits umgesetzter Menschenrechte kennen zu lernen. Das Prickeln, sich in einer Gesellschaft umzutun, in der Mörder zu Helden werden und Vertriebene zu Vertreibern, hat etwas Anstößiges, das nicht hinter gutem Willen verborgen werden kann. Der Wunsch, die Situation in Kosovo zu verbessern, wird durch die schlichte Anwesenheit dokumentiert. Den eigentlichen Zweck hat die Mitarbeiterin des belgischen »Büroleiters« ehrlicher beschrieben.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2007


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