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Kosovo-Virus springt über

Premier von Bosnien-Herzegowina zurückgetreten. Regierungschef Serbiens erklärt "Erhalt" auch der Republika Srpska zum Staatsziel

Von Jürgen Elsässer *

Am Donnerstag (1. Nov.) ist der Ministerpräsident Bosnien-Herzegowinas, Nikola Spiric, zurückgetreten. Mit dem Rückzug des Serben verbleiben in der Exekutive nur moslemische und kroatische Politiker sowie einige Serben von geringerem Gewicht –ein Vorspiel zur möglichen Spaltung aller Republiksinstitutionen und damit des gesamten Staates. Bereits vergangene Woche hatte der serbische Ministerpräsident in Belgrad, Vojislav Kostunica, den »Erhalt« Kosovos und auch – das ist neu – der serbischen Republik in Bosnien (Republika Srpska – RS) als wichtigste Staatsziele definiert. Tomislav Nikolic, Chef der Radikalen Partei Serbiens, forderte gar ein Referendum zum Anschluß der RS an das Mutterland. Die Radikalen sind mit etwa 30 Prozent die stärkste Partei Serbiens, sitzen aber in der Opposition.

Die Krise in der früheren jugoslawischen Teilrepublik ist verknüpft mit der Zuspitzung im Kosovo. Dort hat die albanische Provinzregierung angekündigt, nach Ablauf der derzeitigen Verhandlungsrunde am 10. Dezember einen eigenen Staat zu proklamieren, und wird dabei von den Vereinigten Staaten und Großbritannien unterstützt. Gleichzeitig wollen die NATO-Mächte verhindern, daß sich die Serbenrepublik in Bosnien-Herzegowina mit Verweis auf diesen Präzedenzfall ebenfalls selbständig machen könnte. Die Bevölkerungsmehrheit stünde bei den Serben jenseits der Drina ebenso klar hinter der Sezession wie bei den Albanern auf dem Amselfeld.

Um den Serben zu verwehren, was den Albanern gestattet ist, versuchen die NATO-Führungsmächte schon seit Jahren, die Autonomie der Republika Srpska innerhalb des Gesamtstaates abzuschaffen und ein zentralistisches Bosnien zu konstituieren, in dem die Moslems aufgrund ihrer Bevölkerungsstärke die Serben dominieren könnten. Diese Bestrebungen sind nie so deutlich geworden wie am 19. Oktober, als der internationale Hochkommissar Miroslav Lajcak, ein Slowake, verkündete, daß künftig die Regierung des Gesamtstaates auch dann beschlußfähig sein soll, wenn lediglich die einfache Mehrheit ihrer Mitglieder anwesend ist. Bisher galt die Regelung, daß keine Beschlüsse gefaßt werden können, wenn die Vertreter nur einer der drei Volksgruppen nicht teilnehmen. Dies hatte die Verabschiedung von Dekreten gegen die Autonomie der Republika Srpska erschwert. Die Serbenvertreter drohten Lajcak daraufhin, bei Inkraftsetzen der Neuregelung würden sie die Regierung verlassen. Spiric Rücktritt hat klar gemacht, daß das keine leeren Worte waren. Lajcak könnte seinen Kurs aber dennoch durchsetzen, indem er mit Hilfe der EU-Besatzungstruppe Eufor alle serbischen Politiker verhaften läßt, die ihm im Wege stehen, und willige Gefolgsleute von oben einsetzt. Im Gegenzug spielt Moskau kaum verhohlen mit dem Gedanken, dieser Gewaltpolitik die Grundlage zu entziehen und eine Verlängerung des Mandats der Eufor auf der UN-Sicherheitsratstagung am 21. November mit einem Veto zu blockieren.

Kostunica hat Lajcaks Vorstoß als Bruch des Völkerrechts kritisiert, der Moslempolitiker Haris Silajdzic sah dagegen gerade in Kostunicas starken Worten den Beweis, »daß Kräfte, die territoriale Ansprüche gegenüber Bosnien erheben, noch immer lebendig sind«. Völkerrechtlich ist die Lage klar: Die Befugnisse, auf die sich Lajcak bei seinem Vorstoß gegen die Republika Srpska stützt, die sogenannten Bonn Powers, sind nicht Teil des Friedensvertrages von Dayton, mit dem 1995 der Bürgerkrieg beendet wurde, sondern späterer Vereinbarungen auf untergeordneter Ebene. In Dayton wurde die Autonomie der serbischen »Entität« im Gesamtstaat festgeschrieben – das kann Lajcak nicht per Ordre de mufti wegdekretieren. Daß der Slowake indes recht schnörkellos die westlichen Interessen durchsetzt, hat er im Jahre 2006 bewiesen, als er im EU-Auftrag das von Anfang an manipulierte Referendum zur Abspaltung Montenegros organisierte.

Die Bundesregierung hat sich, trotz früherer Kritteleien an den »Bonn Powers«, hinter Lajcak gestellt, und auch die slowakische Regierung stützt ihren Landsmann. Bisher hatte Bratislava zu den entschiedenen Kritikern einer Abspaltung des Kosovo gezählt. Immerhin ist die Position Moskaus stabil, und darauf kommt es an.

* Aus: junge Welt, 3. November 2007


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