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Serbien gibt Kosovo nicht auf

Belgrad fordert neue, zeitlich unbegrenzte Verhandlungen mit Pristina

Von Von Marko Winter, Belgrad *

In seltener Einmütigkeit beharrt Serbiens Führung auf der Achtung der UN-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999, die dem Land Souveränität und territoriale Integrität garantiert. Belgrad fordert neue Verhandlungen über einen annehmbaren Kompromiss mit den Kosovo-Albanern.

Wäre es nach dem Willen der USA und ihrer Verbündeten gegangen, wäre die südserbische Provinz Kosovo gemäß dem Plan von UN-Vermittler Martti Ahtisaari längst »kontrolliert unabhängig«. Doch Russland droht, eine entsprechende Resolution im Sicherheitsrat durch sein Veto zu verhindern, solange Serbien den Ahtisaari-Plan prinzipiell ablehnt.

Auch in Belgrad weiß man allerdings, dass es eine Rückkehr zu früheren Zuständen in Kosovo nicht geben wird. Die prowestlichen serbischen Liberaldemokraten geben die Provinz sogar bereits verloren, doch sind sie bisher eindeutig in der Minderheit. Die Parteien der Regierungskoalition beharren auf der Wahrung der UN-Charta und des Völkerrechts. Noch nie sei einem souveränen Staat, der Mitglied der UNO ist, gegen seinen Willen ein Teil seines Territorium entrissen worden, heißt es in Belgrad. Andererseits ist man zu Kompromissen auf der Basis einer weitgehenden Autonomie Kosovos bereit. Die albanische Mehrheit in der Provinz könne ihre gesellschaftliche Ordnung und ihre Lebensbedingungen unter Achtung der Rechte der nichtalbanischen Minderheiten selbst bestimmen. Auch direkte Verbindungen zur Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds (IWF) werden Pristina zugebilligt. Die Autonomie könne von ausländischen Truppen und zivilen Beratern kontrolliert werden. Ausgeschlossen werden die Mitgliedschaft Kosovos in der UNO und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Drittstaaten.

Der Wunsch nach Verhandlungen über die serbischen Vorschläge wird immer wieder mit dem Hinweis darauf verbunden, dass die erfolglosen Gespräche unter der Regie Martti Ahtisaaris die Bezeichnung »Verhandlungen« nicht verdienten. Die serbische Konzeption vom März 2006 sei im Prinzip nie behandelt worden, auch die rund 500 serbischen Änderungsvorschläge zum vorliegenden Ahtisaari-Plan wurden ignoriert. Ohnehin soll der Finne selbst nur ganze drei Mal an den Sitzungen in Wien teilgenommen haben.

Das Petersburger Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem serbischen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica, das unmittelbar nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm stattfand, bestärkte die serbische Führung in der Ablehnung des Ahtisaari-Plans und der Forderung nach neuen, zeitlich unbegrenzten Verhandlungen mit Pristina. Deren Ziel soll ein für beide Seiten annehmbarer Kompromiss sein. Gleichzeitig wird die vollständige Erfüllung der Resolution 1244/99 auch hinsichtlich der Erfüllung der menschenrechtlichen Standards in Kosovo verlangt.

Derweil droht die albanische Führung in Pristina mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, falls der Sicherheitsrat nicht bald die gewünschte Resolution verabschiedet. Belgrad verlangt, dass die UNO eine solche einseitige Proklamation für nichtig erklärt. Was aber, wenn dritte Staaten, etwa die USA, Kosovo in solchem Falle anerkennen würden? Nachdem George W. Bush jüngst in Tirana von der baldigen Unabhängigkeit Kosovos gesprochen hatte, hagelte es in Belgrad Kritik: Wer gebe den USA das Recht, einen Teil des Territoriums eines souveränen Staates zu verschenken? Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen wäre für Serbien offensichtlich das letzte, aber nicht gerade wünschenswerte Mittel.

Unübersehbar sind die Versuche der USA und der EU, Belgrad durch die Aussicht auf Mitgliedschaft in beiden Organisationen zu Zugeständnissen in der Kosovo- Frage zu bewegen. So verknüpfte EUErweiterungskommissar Olli Rehn die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen zwischen Belgrad und Brüssel am 13. Juni mit dem Hinweis darauf, dass die EU auch größere Kooperationsbereitschaft in Sachen Kosovo-Status erwarte. Doch hat Ministerpräsident Vojislav Kostunica nach seiner Wiederwahl bekräftigt, dass Serbien sehr wohl das Ziel habe, Mitglied der NATO und der EU zu werden – allerdings nicht um den Preis des Verzichts auf Kosovo.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juni 2007


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