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Unabhängigkeit des Kosovo?

Serbien will nicht - Russland sträubt sich - Unabsehbare Folgen für den deutschen Truppeneinsatz

In Heiligendamm beim G8-Gipfel hat es noch nicht geklappt. US-Präsident Bush konnte die Gipfelteilnehmer nicht geschlossen hinter seine Idee bringen, der serbischen Provinz Kosovo die staatliche Unabhängigkeit zu geben. Umstritten ist dieses Vorhaben nach wie vor im UN-Sicherheitsrat und selbst noch in der Europäischen Union - von der Unvereinbarkeit eines solchen einseitigen Schritts mit dem Völkerrecht einmal ganz abgesehen.
Im Folgenden dokumentieren wir jüngste Artikel zur Kosovo-Frage sowie einen interessanten Hinweis aus der Frankfurter allgemeinen Zeitung auf die möglichen Konsequenzen, die eine Unabhängigkeitserklärung des Kosovo für den Verbleib der deutschen KFOR-Truppen in diesem Gebiet haben könnte (siehe Kasten).



Uhr weg, Wodka her

Einige Kleinigkeiten haben die Abspaltung des Kosovo in den letzten Tagen wieder erschwert. Neuer NATO-Plan zur Loslösung der serbischen Provinz in Moskau vorgestellt

Von Jürgen Elsässer *


Sage keiner, Weltgeschichte sei nicht lustig. Der neueste Albanerwitz beispielsweise geht so: Kommt ein US-Präsident nach Tirana, nimmt ein Bad in der Menge und verspricht die Loslösung der Provinz Kosovo von Serbien. Schon fünf Sekunden später hat sie sich tatsächlich losgelöst – allerdings nicht die Provinz, sondern die Uhr, und zwar die von George W. Bush höchstselbst. Kein guter Joke? Zugegeben. Dafür aber wahr: Genauso geschah es am 10.Juni 2007, beim ersten Staatsbesuch eines US-Präsidenten in Alba­nien. Im Unterschied zu anderen Stops auf seiner Europa-Reise – Prag, Heiligendamm, Rom – wurde Dubblejuh von einer tausendköpfigen Menschenmenge bejubelt, viele wollten ihr Idol berühren und küssen. Doch ganz uneigennützig war die Liebe der Skipetaren nicht, wie die Filmaufnahmen des albanischen Staatsfernsehens aus dem Örtchen Fushe Kruje in der Nähe von Tirana zeigen: In den ersten Sekunden sieht man, daß der US-Präsident beim Händeschütteln eine Armbanduhr trägt. Nach fünf bis zehn Sekunden ist sie weg. Böse Stimmen sagen: Geklaut. Und zwar von einem der albanischen Sicherheitsleute. Sprecher des Weißen Hauses dementierten energisch. Das machte die Geschichte noch glaubwürdiger.

Kurz bevor seine Uhr abhanden kam, hatte Bush den Albanern noch eine neue Mafiarepublik versprochen: Es dürfe »keine endlosen Verhandlungen über ein Thema geben, zu dem wir uns bereits eine Meinung gebildet haben«. Und weiter: »Eher früher als später muß man sagen: Genug ist genug. Kosovo ist unabhängig.« Das klang ganz danach, daß die USA in Kürze die Proklamation des Kosovo zu einem neuen Staat anerkennen würden – auch ohne UN-Votum. Doch am vergangenen Freitag verkündete US-Sondergesandter Frank Wiesner bei einem Besuch in der Krisenregion, daß Serben und Albaner weiterverhandeln sollten. Das Moratorium solle – so die Medien in Pristina – 120 Tage dauern. Das klang nicht wie das »eher früher als später« des US-Präsidenten vom Sonntag zuvor. Was war geschehen? War Bush sauer wegen der Uhr?

Sarkozy lallt

Das Nachverhandeln hatte zuerst der frischgebackene französische Präsident Nicolas Sarkozy ins Gespräch gebracht, er wollte den Konfliktparteien sogar sechs Monate Zeit geben. Dies hatte er zum Verdruß von Bush sehr öffentlichkeitswirksam während des G-8-Gipfels vorgeschlagen. Dabei könnte eine Rolle gespielt haben, daß sich der Franzose in Heiligendamm sehr gut mit seinem russischen Amtskollegen verstand. Die FAZ berichtete über Sarkozys Abschlußpressekonferenz: »Dann erschien der neue Präsident und entschuldigte sich für die Verspätung. Das Gespräch mit Putin habe länger gedauert. Sarkozy lallte, Sarkozy lächelte. War der notorische Coca-Cola-Trinker, der jeden Wein verschmäht, von den Russen mit Wodka abgefüllt worden? Er hatte seine Mimik und seine Gesten nicht unter Kontrolle. Sarkozy wirkte angeheitert, die Szene ist urkomisch.«

Den Mitschnitt der Pressekonferenz, den die französischen Fernsehsender nicht zeigten, kann man sich im Netz auf DailyMotion und YouTube ansehen. Bis zum gestrigen Montag sahen ihn über 15 Millionen Franzosen – mehr als das Endspiel der Fußball-WM 1998.

Der Haken

Das 120-Tage-Moratorium, auf das sich die NATO-Führungsmächte Ende vergangener Woche verständigt haben, hat allerdings einen Haken: Falls sich Albaner und Serben in dieser Frist nicht einigen, soll automatisch der Plan von Vermittler Martti Ahtisaari in Kraft treten, der eine Unabhängigkeit des Kosovo unter EU-Kontrolle vorsieht. Dieser Verkoppelung wird Rußland im UN-Sicherheitsrat kaum zustimmen. Am gestrigen Montag wurde der neue NATO-Plan erstmals in Moskau vorgestellt und erörtert.

* Aus: junge Welt, 19. Juni 2007

Thema für Die Linke. Kosovo im Bundestag

Mitte letzter Woche hat das Merkel-Kabinett die Stationierung der Bundeswehr auf dem Kosovo verlängert. Der Beschluß wird allerdings erst wirksam, wenn der Bundestag zustimmt. Seit Kriegsende im Sommer 1999 sind deutsche Soldaten auf dem Amselfeld eingesetzt. Mit derzeit etwa 2500 Männern (und einigen Frauen) stellt die Bundeswehr das größte Kontingent der Besatzungstruppe KFOR und mit Generalleutnant Roland Kather außerdem ihren Oberbefehlshaber.

In den vergangenen sieben Jahren wurde die Verlängerung des KFOR-Mandats im Parlament routinemäßig durchgewinkt, da es auf der Grundlage der UN-Resolution 1244 erfolgte. Was passiert aber, wenn diese obsolet wird? Die FAZ beschrieb das Problem vergangene Woche so:

»Käme es zu einer Unabhängigkeitserklärung ohne die Zustimmung des Sicherheitsrats, müßte der derzeitige Chef der (UN-Verwaltung) UNMIK, der deutsche Diplomat und ehemalige Sindelfinger Bürgermeister Rücker, diese Proklamation aufgrund seines Mandats für null und nichtig erklären. Entschlösse Washington sich daraufhin dennoch zu einer ›wilden‹ Anerkennung eines Staates Kosovo, stellten sich umgehend Fragen zum Einsatz der Bundeswehr als Teil der internationalen Schutztruppe im Kosovo (KFOR). Der Sicherheitsrat, so ist es in der für den derzeitigen Status des Protektorats verbindlichen UN-Resolution 1244 vom Juni 1999 festgelegt, ermächtigt die UN-Mitgliedstaaten, ›eine internationale Sicherheitspräsenz‹ im Kosovo zu unterhalten. Würde die Resolution 1244 aber durch Wa­shington ignoriert, wäre fraglich, ob sie noch die Grundlage des Einsatzes deutscher Soldaten – und generell aller ausländischen Truppen im Kosovo – bilden könnte. Damit könnte die Provinz in Deutschland wieder zu einem innenpolitischen Thema werden – dann zumal, wenn das Bundesverfassungsgericht angerufen würde, um über die weitere Rechtmäßigkeit eines Bundeswehreinsatzes zu entscheiden.«

Norman Paech, der Völkerrechtler in der Linksfraktion des Bundestages, kann den Text für eine Verfassungsbeschwerde schon mal aufsetzen.

* Aus: junge Welt, 19. Juni 2007



Doppelter Standard

Putin verurteilt westliche Kosovo-Politik

Von Rainer Rupp **


In einer mehrstündigen Pressekonferenz unmittelbar vor seinem Abflug zum G-8-Gipfel in Heiligendamm ging der russische Präsident Putin am 6. Juni u. a. auch ausführlich auf die Kosovo-Problematik ein. Das Interview wurde in westlichen Medien weitestgehend ausgeblendet, obwohl deren Vertreter zugegen waren. Offensichtlich paßten die von Putin genannten Fakten und seine vernünftigen Positionen nicht ins neue »Feindbild Rußland«. Zum Thema Kosovo wurde Putin von den Journalisten u. a. vorgeworfen, daß die russische Außenpolitik keine eigenen Lösungsvorschläge habe und somit »keine echte Alternative zur US-amerikanischen oder europäischen Außenpolitik« darstelle. Trotzdem lehne Putin den vom Westen gesponserten Ahtisaari-Plan zur Unabhängigkeit des Kosovo ab.

Was Rußlands Fähigkeiten betreffe, »Lösungsvorschläge für komplexe oder auf den ersten Blick unlösbare Probleme zu machen«, verwies Putin zunächst »auf die Nordkorea-Frage« und sagte: »Wir alle wissen, daß trotz der Komplexität dieses Problems eine Lösung gefunden worden ist. Es ist möglich, schwierige Fragen zu lösen, wenn sich alle Parteien dafür entscheiden, Wege aus der gegenseitigen Blockade zu suchen und einen Kompromiß zu akzeptieren, statt die Lage zu dramatisieren und die Dinge in eine Sackgasse zu treiben.« Mit einem Seitenhieb auf Washington fügte er hinzu: »Probleme können gelöst werden, ohne ständig auf Drohungen oder das Militär zurückzugreifen. Wir jedenfalls unterstützen die friedliche Methode, um Fragen zu klären.«

Zu Kosovo führte Putin dann aus: »Erstens. Unsere Position beruht auf den Prinzipien des Völkerrechts, und eines dieser Hauptprinzipien ist das der territorialen Integrität eines Staates. Zweitens beruht unsere Position auch auf der Resolution 1244 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, die, das möchte ich betonen, einstimmig angenommen wurde und die niemand widerrufen hat. Diese Resolution besagt sehr deutlich, schwarz auf weiß, daß Kosovo ein integraler Teil Serbiens ist.«

»Wenn wir das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker – dieses Prinzip war Teil der Politik der Sowjet­union während des Kampfes der Völker zur Befreiung vom Kolonialismus – wenn wir also dieses Prinzip über das Prinzip der territorialen Integrität stellen, dann muß diese Entscheidung auch universal gelten und auch in allen Teilen Europas angewendet werden. Unsere Partner argumentieren dagegen, daß Kosovo ein einzigartiger Fall ist. Davon sind wir nicht überzeugt. Der Fall Kosovo unterscheidet sich durch nichts von denen von Südossetien, Abchasien oder Transistrien«, betonte Putin und führte das Beispiel von Ossetien an, dessen Unabhängigkeitsbestrebungen gegenüber dem US-freundlichen Georgien vom Westen vehement verurteilt werden. Putin fuhr fort: »Wie wollen Sie den Leuten in Ossetien erklären, daß sie nicht das gleiche Recht haben wie andere Völker Europas, warum das für Albaner möglich ist und für die Osseten nicht? Das ist unmöglich zu erklären«.

Putin wollte jedoch nicht ausschließen, »daß durch schrittweise und taktvolle Arbeit« die serbische Seite nach und nach ihre Meinung zum Kosovo ändern könnte. »Ich verstehe jedoch nicht« – so Putin weiter – »warum es heute nötig ist, ein ganzes europäisches Volk in die Knie zu zwingen und zu erniedrigen, so daß eine gesamte Nation all jene, die für diese Situation verantwortlich sind, als Feinde betrachtet. Diese Art von Fragen dürfen nur durch einen Prozeß von Abkommen und Kompromissen gelöst werden, und ich denke, daß wir diesbezüglich unsere Möglichkeiten noch nicht erschöpft haben. Statt dessen wird uns gesagt, wir müssen uns beeilen, aber wohin müssen wir uns beeilen?«

Abschließend zu diesem Thema warnte Putin, daß »das Bestehen auf dem Recht auf Selbstbestimmung nicht nur im postsowjetischem Raum negative Prozesse in Gang setzen, sondern auch separatistische Bewegungen in Kerneuropa ermutigen könnte«. So plane Schottland in drei Jahren ein Referendum über seine Unabhängigkeit, im spanischen Katalonien gebe es ähnliche Bewegungen, und im Baskenland gäre dieser Prozeß schon lange. »Und wenn wir uns die Lage auf dem Balkan genauer anschauen«, so der russische Präsident weiter, »dann sehen wir, daß die Republika Srpska sich mit Serbien vereinigen will«. Zugleich habe Südeuropa noch jede Menge weiterer Probleme dieser Art. Daher sei das westliche Bestehen auf dem Recht der Selbstbestimmung eine »sehr gefährliche und schädliche« Politik.

** Aus: junge Welt, 19. Juni 2007


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