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Wahlen im Armenhaus Kosovo

Wird eine neue Regierung zum sachlichen Dialog mit Belgrad bereit sein?

Von Detlef D. Pries *

Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos am 18. Februar 2008 finden im »jüngsten Staat der Welt«, der in Belgrad offiziell immer noch als autonome Provinz der Republik Serbien angesehen wird, am Sonntag Parlamentswahlen statt.

Elf Jahre nach dem Einmarsch der NATO in die südserbische Provinz Kosovo wachen dort noch immer 8500 Soldaten aus mehr als 30 Staaten über rund 2 Millionen Kosovaren. Verschiedene internationale Gremien überwachen und kontrollieren auch die staatlichen Institutionen Kosovos. Und dennoch befinden die sich in einer tiefen Krise.

Die politische Krise brach offen aus, als Präsident Fatmir Sejdiu am 27. September zurücktrat. Vorausgegangen war ein Urteil des Verfassungsgerichts, wonach Sejdiu – der sich als Mitgestalter der Grundgesetzes betrachtet – die Verfassung gebrochen habe. Bei seinem Amtsantritt 2006 hätte er den Vorsitz seiner Partei, der von seinem Vorgänger Ibrahim Rugova gegründeten Demokratischen Liga Kosovos (LDK), abgeben müssen. Stattdessen hatte Sejdiu seine Parteifunktion nur ruhen lassen.

Als sich die Parteien nicht auf einen neuen Präsidenten einigen konnten, verließen sämtliche LDK-Minister die Regierung. Am 2. November schließlvich sprach das Parlament der Regierung unter dem ehemaligen UCK-Chef Hashim Thaci das Misstrauen aus. Neuwahlen waren unumgänglich.

Thaci war das ganz recht, denn er wähnt seine Demokratische Partei Kosovos (PDK), die schon 2007 mit 34 Prozent der Stimmen den größten Anhang hatte, im Aufwind. In der LDK, bisher mit knapp 23 Stimmenprozenten zweitstärkste Partei, wuchert der Spaltpilz. Und Ramush Haradinaj, Führer der Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) und zeitweiliger Regierungschef, werden vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal Kriegsverbrechen an der serbischen Bevölkerung vorgeworfen. Allerdings gewährt ihm das Gericht ab 17. Dezember zur Geburt seines jüngsten Kindes und zum Jahreswechsel großzügig Heimaturlaub, so dass Haradinaj gegebenenfalls Einfluss auf die Regierungsbildung nehmen könnte.

Hashim Thaci sparte im Wahlkampf weder an Geld noch an Versprechungen. Während mehr als 40 Prozent der Kosovaren arbeitslos sind und 37 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, versprach er den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Gehaltserhöhungen um 50 Prozent ab 1. Januar. Auch werde die EU binnen 15 Monaten die Visumspflicht für Bürger Kosovos aufheben. Dem widersprach allerdings prompt die EU-Kommission: Eine solche Zusage habe niemand in Brüssel gegeben. Und der Internationale Währungsfonds ließ wissen, dass man Pristina im Falle »dramatischer Lohnerhöhungen« die Kredite sperren werde. Darauf aber wird Kosovo auf absehbare Zeit angewiesen bleiben. Zwar flossen seit 1999 rund 2 Millionen Euro an Hilfsgeldern ins Land, die Infrastruktur hat davon auch sichtlich profitiert, aber die soziale Lage der Bevölkerung ist nach wie vor miserabel. Kein Wunder, dass von je 100 000 Einwohnern 713 Asyl im Ausland suchen. Dabei gilt Kosovo als »sicheres Herkunftsland«.

Unter den 29 Parteien und Bündnissen, die sich am Sonntag um 120 Parlamentssitze bewerben, von denen 20 für Minderheiten reserviert sind, ist erstmals auch die Bewegung für Selbstbestimmung »Vetevendosje« (LPV). Deren Führer Albin Kurti wendet sich nicht nur gegen Besatzungsherrschaft und Privatisierung von Volksvermögen. Er fordert auch ein Referendum über die Vereinigung Kosovos mit Albanien, die laut Umfragen von 80 Prozent der albanischen Kosovaren befürwortet wird. Als Konkurrenz mit auffällig großem Wahlkampfbudget erwies sich die erst im Sommer gegründete Partei »Frischer Wind« (FER), die von jungen Intellektuellen mit US-amerikanischen und britischen Universitätsabschlüssen geführt wird.

Zwar stehen auch acht serbische Listen zur Wahl, doch im serbisch besiedelten Gebiet nördlich von Mitrovica, auf das Pristina nach wie vor keinen Einfluss hat, wird die Abstimmung wohl wieder weitgehend boykottiert werden. Was darauf hinweist, dass eine neue Regierung vor allem das Verhältnis zu Serbien im sachlichen Dialog mit Belgrad klären müsste. Nicht wenige neutrale Beobachter halten sogar einen Gebietsaustausch für »zielführend«. Denn noch immer ist Kosovo nur von 72 der 192 UNO-Staaten anerkannt, darunter nicht einmal alle EU-Mitglieder. Die Mitgliedschaft in wichtigen internationalen Organisationen bleibt Pristina deshalb verwehrt. Nur eine Einigung mit Serbien würde auch die Protektoratsherrschaft überflüssig machen. Ob die bisherigen kosovo-albanischen Führer – und ihre ausländischen Paten in EU und USA – allerdings zu Kompromissen bereit sind, bleibt zu bezweifeln.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2010


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