Serbien wartet auf das Kosovo-Urteil aus Den Haag
Präsident Tadic sieht sein Land als Stabilitätsgarant auf dem Balkan
Der 51-jährige Boris Tadic, Chef der Demokratischen Partei (DS), ist seit 2004 Präsident der Republik Serbien. Von jeher Vertreter einer prowestlichen Politik gilt er als das »europäisches Gesicht Serbiens«. Im April 2008 unterzeichnete er in Luxemburg ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, das Serbien den Weg für einen späteren EU-Beitritt ebnen soll. Doch auch Tadic will nicht auf die Provinz Kosovo verzichten, die sich mit Hilfe der EU-Mehrheit Anfang 2008 einseitig für unabhängig erklärt hat. Igor Fiatti befragte für das "Neue Deutschland" (ND) Boris Tadic in Belgrad.
ND: Serbien will in die EU. Was kann Ihr Land der EU geben?
Boris Tadic: Serbien hat der EU schon etwas Konkretes gegeben: die Stabilität auf dem Balkan trotz all der Leiden, denen wir ausgesetzt waren. Ich glaube nicht, dass ein anderes Land auf so demokratische und so friedliche Weise reagiert hätte, wenn es mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung einer seiner Provinzen (Kosovo) konfrontiert worden wäre. Serbien hat so ein Beispiel gegeben, dem man in allen Konflikten der Welt folgen kann.
Gleichzeitig hat die serbische Demokratie politische Stabilität gesichert. Seit dem Fall von Milosevic hat sie stets ihre proeuropäische Orientierung bewiesen. Ohne ein Serbien, das der EU beitreten will, gibt es keine Integration des Westbalkans. Serbien hat außerdem seine Lage zu bieten: Wir repräsentieren den kürzesten Weg zwischen Westeuropa und der Türkei. Wir verbinden damit die beiden energetischen Pole. Kulturell, politisch und wirtschaftlich ist Serbien ein Pfeiler des gesamten Südosteuropas. All das können wir der EU geben.
In Bezug auf Kosovo scheint Serbien auf den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu setzen, der sich über die Rechtmäßigkeit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Pristinas äußern will...
Wir warten auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofes, der sich 2010 äußern wird. Ich hoffe und bin überzeugt, dass diese Entscheidung sehr positiv für Serbien ausfallen wird. Danach werden wir stets bereit sein, mit Pristina über die Zukunft Kosovos zu diskutieren. Dabei müssen wir die legitimen Interessen der Serben und der Albaner in Rechnung stellen. Ich wiederhole, dass wir Kosovo niemals anerkennen werden, nicht heute und nicht in der Zukunft. Aber ich wiederhole auch, dass wir unsere Position mit friedlichen und diplomatischen Mitteln verteidigen werden.
Haben Sie einen »Plan B« für den Fall, dass die Entscheidung negativ für Serbien ausfallen wird?
Das ist nicht der Augenblick, über einen Plan B oder C zu sprechen. Ein Krieg jedenfalls kommt in unseren Überlegungen nicht vor. Ich bin überzeugt, dass wir nur mit friedlichen Mittel, mittels des Dialogs und mit viel Geduld Lösungen erreichen werden, die langfristig haltbar sind. Eine Lösung, bei der die eine Seite alles und die andere Seite nichts erhält, ust auf lange Sicht nicht haltbar.
Manche Beobachter halten die Teilung Kosovos für eine Lösung. Schließen Sie das als Präsident Serbiens aus?
Prinzipiell unterstütze ich die territoriale Integrität jedes Landes. Ich widersetze mich der Teilung Serbiens ebenso, wie ich mich der Teilung Bosniens, Montenegros und Mazedoniens widersetzt habe. Derzeit steht die Teilung nicht auf der Tagesordnung. Wir warten auf das Urteil des Internationalen Gerichtshofes und beginnen dann wieder mit den Verhandlungen.
Ein Hindernis auf Serbiens Weg in die Europäische Union ist die »volle Zusammenarbeit« mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Einige Staaten, insbesondere die Niederlande, haben die Verhaftung von General Ratko Mladic zur Voraussetzung für weitere Fortschritte gemacht. Was halten Sie davon?
Es ist die Pflicht der serbischen Demokratie, die Zusammenarbeit mit dem Tribunal zu erreichen. Serbien hat bisher 44 von 46 Angeklagten ausgeliefert. Doch über den Verbleib der beiden letzten Flüchtigen, Ratko Mladic und Goran Hadzic, ist derzeit nichts bekannt. Ich wäre froh, wenn die beiden in Serbien wären, damit das Land seine Pflicht erfüllen könnte. Aber sie halten sich nicht in Serbien auf. Das heißt, wir sind in einer Sackgasse.
* Aus: Neues Deutschland, 29. Oktober 2009
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