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Spaltpilz EU

Serbiens Kurs auf Europa ist nach der Kosovo-Anerkennung durch den Westen empfindlich gestört. Neuwahlen im Mai könnten bereits ein Richtungsentscheid sein. Ein Bericht aus serbischen Parteizentralen

Von Hannes Hofbauer (Belgrad) *

Die Europäische Union hat Serbien jetzt auch politisch gespalten. Nach der Rücktrittserklärung von Ministerpräsident Vojislav Kostunica sind nun Neuwahlen für den 11. Mai dieses Jahres angekündigt worden.

Als Gegenpole der serbischen Parteienlandschaft fungieren die mandatsstärkste Serbische Radikale Partei (SRS), die bei den Parlamentswahlen im Januar vergangenen Jahres 28,6 Prozent erringen konnte, und die Demokratische Partei (DS) mit einem Stimmenanteil von 22,7 Prozent. Zwischen diesen beiden Pfeilern der serbischen politischen Landschaft versucht die Serbische Demokratische Partei (DSS) mit relativ mageren 16,5 Prozent eine Mitte zu finden. Druck und Drohungen aus dem Westen hatten ihren Vorsitzenden Vojislav Kostunica in eine Regierungsallianz mit der DS gedrängt. Nicht nur die unterschiedliche Position zu EU-Annäherung und Kosovo-Anerkennung sorgten in regelmäßigen Abständen für Sprengstoff in der Koalition.

Kleinere Rollen auf der parlamentarischen Bühne spielen eine Handvoll liberaler Ökonomen, die mit viel Mühe und durch Unterstützung des Westens die Gruppe G17-plus in den Mandatsrängen (6,8 Prozent) hält. Sie ist zur Zeit sogar Regierungspartei. Noch stärker westlich orientiert, auf der äußersten liberalen rechten Seite, steht die LDP (Liberal-Demokratische Partei) mit 5,3 Prozent.

Wie schwach die Linke ist, kommt im Mandatsstand der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS) zum Ausdruck, die 5,6 Prozent der Wähler repräsentiert. Eine Linke jenseits der ehemaligen Staatspartei ist parlamentarisch bislang nicht vertreten.

SRS: national und sozial

Der Vorsitzende der SRS, Vojislav Seselj, sitzt seit fünf Jahren in Untersuchungshaft im Hochsicherheitstrakt im niederländischen Scheveningen. Die Anklage des Jugoslawien-Tribunals lautet auf so ziemlich alles, was ein serbischer Mensch Böses tun kann: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Bildung einer kriminellen Vereinigung, großserbische Ambitionen. Über vier Jahre hat es gedauert, bis es die Richter überhaupt der Mühe wert befunden haben, Seselj, der sich freiwillig gestellt hatte, erstmals anzuhören. Allein diese Tatsache offenbart den politischen Charakter des Prozesses. Wie immer man die verqueren nationalen Ideen des Radikalenführers einschätzen mag, sie passen ins Gesamtbild ähnlicher Wahnvorstellungen auf bosnisch-muslimischer und kroatischer Seite. Die dortigen Führer durften allerdings in ihren Betten an Altersschwäche sterben, ohne daß sie die »internationale Gemeinschaft« vor den Richter gezerrt hätte.

Seseljs Stellvertreter, Tomislav Nikolic, führt die Partei bedächtiger als sein großes Vorbild. Auf großen Kundgebungen spart er dennoch nicht mit starken nationalen und sozialpolitischen Sprüchen. Seinen Gegnern gilt er als Bauer, grobschlächtig und ungehobelt. Persönlicher Augenschein findet den bäuerlichen Habitus bestätigt, jedoch nicht als diffamierende Eigenart, sondern eher als Schläue im Umgang mit Menschen. Mein Besuch im Parlamentsbüro der SRS zeigt eine Partei trotz aufgeregter Zeiten bei der Routinearbeit. Im mit dicken Lederstühlen großzügig eingerichteten Besprechungszimmer hängt an der Kopfseite des Raumes eine liebevoll gezeichnete Karikatur Seseljs. Der fast zwei Meter große Mann ist darauf mit glänzenden staatlichen Orden behängt, eine rote Schärpe ziert das schwarze Sakko - an der Seitenwand Bilder serbischer Landschaften.

Im Gespräch pocht Nikolic darauf, die einzige Alternative für ein vom Westen kolonisiertes Serbien zu sein. »Die Europäische Union benimmt sich wie eine Kolonialmacht. Sie wollen uns im Namen Europas ein Stück unseres Territoriums wegnehmen. Hinter der Maske der Unabhängigkeit des Kosovo nehmen sie es für sich selbst.« Vor diesem Hintergrund ist es für die SRS undenkbar, Serbien weiter in Richtung EU-Integration zu führen: »Tadic stellt die Europäische Union als alternativlos dar, wir wollen Serbien nach beiden Seiten öffnen, nach Westen und nach Osten«, spielt Nikolic auf eine notwendige Stärkung der Beziehungen mit Rußland an.

In der Kosovo-Frage sieht sich die SRS in der Mitte der serbischen Gesellschaft. Kaum jemand in Belgrad versteht, warum führende Staaten der EU jahrelang die Unverletzlichkeit von Republiksgrenzen im zerfallenden Jugoslawien propagierten, der Vertreibung der Serben aus Kroatien zugesehen haben und der bosnischen Republika Srpska bis heute den Anschluß an Belgrad verwehren, um dann im Fall des Kosovo dem Masterplan der USA zu folgen, wie es hier allgemein eingeschätzt wird. »Der Kampf um den Kosovo hat für uns dieselbe Bedeutung wie unser Engagement für demokratische und soziale Rechte«, erklärt Nikolic den Kern des Programms seiner Partei. Nationale Töne sieht der SRS-Chef nicht als Hindernis für Sozialpolitik, deren Fehlen er der aktuellen Regierung vorwirft: »National und sozial sind für uns keine Gegensätze«, meint er und beruft sich dabei auf ein unvermutetes Vorbild: »wie die Republikaner in den USA«. Viel Sozialpolitik scheint also seitens der SRS für Serbien nicht geplant zu sein.

Als »extrem chauvinistisch« schätzt der Belgrader Soziologe Todor Kuljic die SRS ein, verhehlt allerdings nicht, daß sie sich auch für soziale Belange stark macht. Der Kommentator der politischen Wochenzeitschrift Nin, Zoran Cirjakovic, wiederum betrachtet die SRS als »Chávez-ähnliches Gebilde, nur ohne Erdöl«, wie er verschmitzt hinzufügt. Venezolanisch sind die Forderungen nach Preiskontrollen, um den verarmten Teil der serbischen Bevölkerung zu entlasten. Konkrete Finanzierungsvorschläge dafür liegen allerdings nicht auf dem Tisch. Sympathischer zeichnet Ökonomieprofessor Oskar Kovac, ehemaliger Privatisierungsminister im Kabinett Milosevic, die SRS: »Die sind nicht wirklich rechts. Ihre Repräsentanten gehören zur Mehrheit jener armen Leute, die nicht um ihr Eigentum kämpfen, schlicht deshalb, weil sie keines haben. Sie prangern die Privatisierung als kriminellen Akt an, und sie haben recht damit.« Daß die SRS nationale Interessen vertritt, daran kann Kovac nichts Ehrenrühriges finden.

DS: Brüssels Hoffnung

Nikolic' Konterpart heißt Boris Tadic. Er stammt aus einer angesehenen Familie aus dem Bildungsbürgertum. Seine DS ist - wie die DSS Kostunicas - aus der Anti-Milosevic-Allianz Demokratische Opposition Serbiens (DOS) hervorgegangen. Im Parteibüro wird mein Gesprächstermin mit Sprecherin Jelena Markovic verschoben. Die Zeiten sind hektisch, die Prioritäten ändern sich schnell. Eine Stunde später hat die Abgeordnete dann doch Zeit für den österreichischen Journalisten. Vor einer Bildergalerie alter Parteivorsitzender, die eine lange Traditionslinie suggerieren soll, kommt die agile Frau schnell zu den entscheidenden Themen: »Zuerst geht es um die internationale Orientierung Serbiens, in zweiter Linie um soziale Fragen. Unser Ziel ist die Integration in die Europäische Union; die Konservativen stellen sich dagegen.« Als konservativ wird von ihr in erster Linie die DSS betrachtet, und natürlich die SRS, die sich die DS-Sprecherin allerdings nach Kräften bemüht, nicht ernstzunehmen. Wahrhafte Realitätsverweigerung, wie sie von westlichen Medienmenschen betrieben wird, kann man ihr allerdings nicht vorwerfen. Dazu sind die Koali­tionsverhältnisse in Serbien zu labil und die Kraft der Nationalkonservativen zu augenscheinlich.

Die EU-Euphorie der studierten Literaturwissenschaftlerin gerät auch dann nicht ins Wanken, wenn sie den früheren Kriegseinsatz ihrer jetzigen Freunde kommentiert. Die NATO-Bombardements gegen Jugoslawien hatten ihrer Meinung nach »keine rechtliche Grundlage. Sie waren eine Aggression«. Auf Nachfragen stellt sie dann allerdings fest, daß »die NATO-Intervention geholfen hat, Serbien auf den demokratischen Weg zu bringen«. Mit dieser Position versucht die DS den Spagat zwischen schrecklicher Kriegserfahrung und erhoffter rosiger Zukunft unter dem europäischen Unionsdach. Im übrigen gilt gerade für Tadic und seinesgleichen, daß sie an der Aufarbeitung der zeithistorischen Ereignisse kein Interesse haben. Direkt körperlich spürbar ist der Unwillen von Jelena Markovic, über den NATO-Krieg sprechen zu müssen. Verständlich, stellen doch die 78 Bombentage im Jahr 1999 das schwerwiegendste Hindernis auf dem Weg in den Westen, auf dem Weg nach Brüssel dar. Immerhin waren es 19 Staaten, die Mehrheit davon aus EU-Europa, die vor neun Jahren das Land angegriffen haben. Und dann ist da noch der indirekte Aufruf des ehemaligen Parteichefs Zoran Djindjic an Washington, mitten im Krieg, über westeuropäische Presseagenturen und TV-Stationen lanciert, die Angriffe auf Belgrad, Novi Sad und Pristina so lange fortzusetzen, bis Milosevic am Ende sei. Darüber will heute in der DS niemand sprechen.

Dem serbischen Nationalismus hingegen ist die DS keineswegs abhold. Gerade im Präsidentschaftswahlkampf standen Nikolic und Tadic in dieser Beziehung Seite an Seite. Der Unterschied: Die DS versucht es mit der bürgerlichen Variante, die SRS fährt auf der bäuerlich-religiösen Schiene. »Die DS betreibt einen milden Nationalismus und ist europaorientiert«, analysiert der Soziologe Todor Kuljic den Hoffnungsträger der EU. Gänzlich anders schätzt der Ökonom Oskar Kovac die Politik ein, die DS gemeinsam mit DSS und G17-plus auf Regierungsebene bisher betrieben haben: »Niemand glaubt diesen Typen in der Regierung. Da gibt es keine genuin serbische Stimme in ihr, sie machen alles, was ihnen von den USA und der EU gesagt wird.«

Das Ausblenden sozialer Belange führt zu regelrechter Apathie im Volk, die teilweise mit nationalem Engagement kompensiert wird. Doch die Nation, so stark sie auch sein möge, kann von sich aus niemanden ernähren. Ebenso wenig wie die Schlagworte der DS: Demokratie und Europa. »Die machen aus Europa unsere Religion«, stellt Slavenko Terzic von der Akademie der Wissenschaften zu Tadic' Parteiprogramm fest. »Es heißt immer nur: Wir gehen nach Europa. Was uns dort erwartet, bleibt unklar«, meint der Historiker.

DSS: Ausgedient?

Die »Serbische Demokratische Partei« (DSS) spielt seit dem Ende der Ära Milosevic das parlamentarische Zünglein an der Waage. Ihr jugendlicher Abgeordneter Borko Ilic empfängt mich im Parlament zwischen wichtigen Parteigesprächen. Hinter ihm hängt in starken Farben die Landkarte Serbiens der Jahre 1804 bis 1835, der Epoche starken serbischen Nationalbewußtseins. Ilic schreibt zusätzlich zur politischen Schwerarbeit noch an seiner universitären Abschlußarbeit im Bereich »Management«. Seiner Sicht auf die serbische Gesellschaft entsprechend hätte er auch Volkswirtschaft studieren können: »Der große Riß durch Serbien geht entlang der Achse Wendegewinner und Wendeverlierer.« Ins Trudeln gerät er bei der Frage, welche dieser beiden Seiten die DSS vertritt. Letztlich stellt er sich auf die Seite der Wendegewinner, wobei dies eher seinem persönlichen Karrierewunsch als dem sozialen Profil der DSS-Wähler entsprechen dürfte. Diese Differenz ist es auch, die der DSS zu schaffen macht. Programmatisch wäre sie am liebsten alles: serbisch-national, konservativ, fortschrittlich, europäisch, rußlandfreundlich. Die idealen Voraussetzungen einer Einheitspartei können in der zersplitterten politischen Landschaft allerdings nur schwer zur Geltung kommen.

Auch was die geopolitische Ausrichtung des Landes betrifft, schwanken die »Serbischen Demokraten«. Anders als die DS, die sich die Zukunft des Landes ausschließlich an den Brüsseler Subventionströgen erträumt, und ohne die zunehmende Rußlandbegeisterung der SRS versucht die DSS weiterhin den Mittelweg: »Alle Parteien in Serbien haben West- und Ostorientierung gleichermaßen, sogar die SRS«. Ökonomisch, so Ilic weiter, mache das auch Sinn. Er nennt den Vertrag für kontingentierte Zuckerexporte mit der Europäischen Union und jenen für Erdgas mit Rußland als Beispiele. Politisch zählt der DSS-Vertreter auf die Fahne mit den zwölf Sternen: »Wir brauchen Stabilität, ein klares Rechtssystem und feste politische Institutionen. Das finden wir in der Europäischen Union.« Im Austausch dafür weist Ilic auf die »gut ausgebildeten Arbeitskräfte hin, die ausländischen Investoren zur Verfügung stehen«. Daß die besten schon ausgewandert sind, ist für ihn bedauerlich.

Die serbischen Avancen in Richtung Brüssel werden regelmäßig enttäuscht. Zuletzt wiederum mit der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch Berlin, Paris, London und Rom. Die geplante EU-Mission nach Pristina wird von der Kostunica-Partei als völkerrechtlich illegal und geopolitisch unverantwortlich betrachtet. Das Problem der DSS besteht darin, daß ihr nationaler Flügel in der SRS und ihr EU-europäischer in der Tadic-Partei jeweils kräftigere und glaubwürdigere Positionen findet. Der Parteivorsitzende Kostunica hält die DSS zusammen und und dadurch auch im Parlament. Ob sie zunehmend zwischen die Mühlsteine von DS und SRS gerät, wie vor allem von liberalen Kommentatoren vermutet, werden die Wahlen im Mai zeigen. Kostunicas mit Kritik an der Kosovo-Politik der EU begründeter Rücktritt könnte sein politisches Profil schärfen und seine Position stärken, zumal er damit die Brüsseler Hörigkeit der DS, des größten politischen Widersachers in Serbien, deutlich hervorheben kann.

SPS: Weg von Milosevic

Den Ruf als Milosevic-Partei will die neue Führung der Sozialisten (SPS) ablegen. In ihrem alten Hauptquartier am Studentenplatz im Zentrum Belgrads ist kein Foto des früheren Staatschefs mehr zu finden. Man umgibt sich mit moderner Kunst, politische Plakate fehlen an den Wänden. Branko Ruzic, ein Mann um die 40, stellt sich als Präsident des Parteivorstandes vor. Er schlägt in dieselben Kerben, die Postkommunisten überall in Osteuropa argumentativ vertiefen: Sanftere, staatsfreundlichere Privatisierung, langsamere, menschenfreundlichere EU-Integration, mehr Sozialpolitik. Die Spaltung in der serbischen Gesellschaft erklärt er sich mit »den sozialen und nationalen Frustrationen und den enttäuschten Erwartungen nach dem 5. Oktober 2000«, dem Tag der sogenannten Bulldozer-Revolution, »die zum Sturz Milosevic' führte«. »Versprochen wurde den Menschen, daß es nun keine Probleme mehr mit Kosovo und Montenegro geben und daß es allen besser gehen werde. Aber heute müssen sie feststellen, daß die soziale Situation verheerend, Montenegro abgespalten ist und der Kosovo abgleitet.«

Die Art und Weise des Ausverkaufs kollektiven und staatlichen Eigentums ist für den SPS-Spitzenmann der Hauptgrund für die mißliche Lage im Land. »Seit dem Jahr 2000 haben 600000 Menschen ihre Arbeit verloren«, packt Ruzic die soziale Katastrophe in Zahlen und verhehlt nicht, daß auch vor dem Ende der Milosevic-Ära keine rosigen Zeiten bestanden. Die Übernahme der wichtigsten Betriebe und Branchen durch ausländische Eigentümer - »für wenig Geld« - ist für den Politiker ein Skandal. Dennoch will er Serbien in die EU führen. »Wir wollen nicht Hals über Kopf Mitglied werden, aber wir sind nicht dagegen«, formuliert er vorsichtig.

Überraschend unsanft dann der Umgang der SPS mit der SRS, die Ruzic als »extremistisch und rechts« einstuft, wobei der SPS-Mann einräumt, daß dies Reaktionen auf die erpresserische Politik der USA und der EU in Sachen Kosovo seien. Todor Kuljic von der Belgrader Universität stellt der serbischen Linken kein gutes Zeugnis aus: »Der Nationalismus hat die Linke gegessen«, formuliert er pointiert und weist der SPS unter Slobodan Milosevic eine gehörige Portion Schuld daran zu.

Liberale Rechte

Bleibt noch von G17-plus und den Liberaldemokraten (LDP) zu berichten, die sich gegenseitig mit neoliberalem Antisozialismus überbieten. Im Jahr 1997 gründeten 17 Ökonomen unter der Führung von Miroljub Labus einen politischen Klub mit der Zielsetzung, der damaligen Sozialistischen Partei ein wirtschaftsliberales Programm entgegenzusetzen. Die Nähe von G17-plus zur Weltbank war schon durch Labus' Funktion als jugoslawischer Weltbankgouverneur gegeben. Politisch fühlt sich die Partei der Honorationen im Umfeld der Europäischen Volkspartei am wohlsten. Der Finanzministerstuhl sicherte der G17-plus in der nun zu Ende gehenden Koalition einen einflußreichen Posten.

Die Liberaldemokraten sind eine Abspaltung der DS und gelten als extrem westgesteuert. Als einzige Partei tritt sie offen für einen Beitritt Serbiens zur NATO ein, wünscht sich Kosovo auf den Mond und auf diese Weise die nationale Frage gelöst. Wirklich aufmerksam will die LDP in der Öffentlichkeit nicht auf sich machen, wenn man den Auftritt ihres Parteilokals in der Skadarlija, dem Belgrader Restaurantviertel, richtig interpretiert. Kein Parteiemblem, keine serbische oder sonstige Fahne, nur ein kleines Türschild. Zoran Ostojic beklagt, daß die LDP nicht von ausländischen Sponsoren finanziert wird, weil das laut serbischem Gesetz verboten ist: »Seselj hat Öl von Saddam Hussein bekommen, alle möglichen Oligarchen zahlen an andere Parteien, nur wir werden nicht unterstützt«, schwärzt der ehemalige Journalist die politischen Gegner an und stellt die LDP als einzig saubere Kraft in Serbien dar. Ihr Programm, nach dem der Staat aus sozialen Belangen zurückgedrängt und in NATO und EU geführt werden soll, läßt diese Sauberkeit wenig glaubhaft erscheinen.

Die gegenwärtige nationale Euphorie im Land erschwert den Liberalen das Dasein. Ihre Forderung, die Serben im Kosovo sollten sich gefälligst in die dortigen staatlichen Strukturen integrieren, stößt nirgendwo im Land auf Zustimmung, wird doch eine »Republik Kosovo« von allen anderen Parteien abgelehnt. »Wir sind die einzigen, die wahrhaft serbische Interessen vertreten«, versucht Ostojic in die Offensive zu gehen. »Wir sind für europäische Werte, wollen die Kriegsverbrecher nach Den Haag schicken und mit der Kosovo-Geschichte ein für allemal aufhören.«

Der politische Kommentator der Wochenzeitschrift Nin, Zoran Cirjakovic, kritisiert die Position der Liberalen fundamental: »Das sind kulturelle Rassisten, total eurozentrisch. Die kennen Zivilisation nur im Singular. Ihr Begriff dafür heißt 'Europäische Union'.« In den durchweg von westeuropäischen Verlagshäusern beherrschten serbischen Medien kommen ihre Ideen, meist über Sprecher unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen (NGO), überproportional häufig zur Sprache. »80 Prozent der Fernsehsender haben dieselbe politische Ausrichtung«, analysiert Slavenko Terzic von der Akademie der Wissenschaften den Ist-Zustand im veröffentlichten Raum. »Ständig treten zwei, drei NGO-Typen im TV auf, die alles kommentieren.« Gleichzeitig gehen diese Lehrmeister der Nation »in der US- und der deutschen Botschaft ein und aus«. Die Stärke der LDP liegt in ihren Kontakten zu westeuropäischen Staatskanzleien. Mit ihren permanenten medialen Auftritten sichert sie sich einen Platz an der Öffentlichkeit, die sie auf der Straße eher scheut.

Westliche Institutionen haben jedenfalls bereits erkannt, daß das Kürzel »LDP« ein ideales Einfallstor für »europäische Werte« und Interessen ist, allerdings mit dem Makel mangelnder Glaubwürdigkeit behaftet.

»National oder europäisch«, so liest sich der serbische Richtungsstreit in der westlichen Presse. Die einen wollten das Land »isolieren«, die anderen »nach Europa führen«. Im Kern der Auseinandersetzung geht es um die Ausrichtung des Landes. Ein seit 1999 erstarktes Rußland bietet der von den USA und großen Teilen der EU betriebenen territorialen Abtrennung des Kosovos Paroli, hat wirtschaftlich für Belgrad indes - außer dem Angebot auf Gastransit - wenig anzubieten. Auf der anderen Seite steht Brüssel, das nicht nur auf der von der EU überwachten Unabhängigkeit des Kosovo beharrt, sondern Serbien als zu eroberndes Markterweiterungsgebiet ansieht. Die SRS lehnt das neokoloniale Angebot der EU nicht zuletzt wegen deren Kosovo-Politik ab; die DS und die Liberalen (G17-plus und LDP) wollen die Integration in die EU um jeden Preis. Kostunicas DSS spielt seit Jahren das Zünglein an der Waage. Die EU-Mission im Kosovo könnte den Ausschlag geben - gegen Brüssel.

* Dr. Hannes Hofbauer ist Historiker und Publizist aus Wien. Über das Thema referierte er beim Friedensratschlag an der Uni Kassel im Dezember 2008. Von ihm erschien zuletzt: EU-Osterweiterung. Historische Basis - ökonomische Triebkräfte - soziale Folgen, Wien 2007

Aus: junge Welt, 13. März 2008



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