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Mysteriöse Geheimdienstaffäre im Kosovo

BND-Männer nach Sprengstoffanschlag in Haft - Regierung weiß angeblich von nichts - Geheimdienst-Experte Schmidt-Eenboom weiß mehr


Kosovo-Fall schlägt Wellen

Regierung dementiert Verwicklung des BND in terroristische Anschläge

24. November 2008


[ngo/ddp] Im Fall der Festnahme von drei mutmaßlichen BND-Mitarbeitern nach einem Sprengstoffanschlag im Kosovo hat die Bundesregierung jegliche Mittäterschaft deutscher Behörden an der Attacke ausgeschlossen. Die Vorstellung, dass "deutsche staatliche Stellen" in terroristische Anschläge im Ausland verwickelt sein könnten, sei "absurd" und "abwegig", sagte der Vize-Regierungssprecher Thomas Steg am Montag (24. November) in Berlin. Zur Identität oder zum Status der festgenommenen Deutschen äußerte er sich nach wie vor nicht. Außenamtssprecher Jens Plötner sagte, er erwarte durch den Fall "keinerlei negative Auswirkungen" auf die Beziehungen zum Kosovo. In der kosovarischen Hauptstadt Pristina waren am vergangenen Mittwoch drei Deutsche festgenommen worden, die nach ddp-Informationen Agenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) sind. Die drei werden Medienberichten zufolge verdächtigt, an einem Sprengstoffanschlag auf die EU-Vertretung in Pristina beteiligt gewesen zu sein.

Steg machte keine näheren Angaben zu den Deutschen, sondern verwies erneut auf ein "laufendes Ermittlungsverfahren". Die Regierung werde währenddessen keine öffentliche Stellungnahme abgeben. Zum Ermittlungsstand der kosovarischen Behörden könne er ebenfalls nichts sagen.

Plötner sagte, der deutsche Botschafter im Kosovo habe Kontakt zu den drei Deutschen gehabt. Das Außenamt konzentriere sich auf die "konsularische Betreuung" der Männer. Mittlerweile würden sie auch von Anwälten vertreten.

Nach Auffassung des BND haben die Männer "ganz klar nichts aktiv" mit dem Anschlag zu tun, wie Geheimdienst-Kreise offenbar der Nachrichtenagentur ddp erzählt haben. Ein BND-Mitarbeiter sagte auf Anfrage, es sei jedoch "sehr ungeschickt" gewesen, wie die drei Agenten die Umstände der Attacke observiert hätten. Sie hätten "dilettantisch gehandelt".

Nach Medienberichten beteuerten die Männer in Verhören ihre Unschuld und gaben an, lediglich den Tatort des Anschlags inspiziert zu haben. Offiziell äußerte sich der BND bislang nicht zu der Angelegenheit.

Die Opposition pocht auf eine umgehende Aufklärung des Falls. FDP-Innenexperte Max Stadler stellte den Antrag für eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums und forderte zudem eine Aufklärung der Öffentlichkeit. Er mahnte: "Die Anschuldigungen sind so ungeheuerlich und aus meiner Sicht auch erst einmal so unglaubwürdig, dass die Bundesregierung gut beraten ist, ihre sonst in solchen Fällen übliche Diskretion aufzugeben."

Die Grünen-Fraktion beantragte, noch in der laufenden Woche die Obleute des Auswärtigen, des Europa- und des Verteidigungsausschusses über die Vorgänge zu informieren. Grünen-Parteichefin Claudia Roth sagte, der Fall zeige, dass eine Reform der Geheimdienste mit mehr Transparenz notwendig sei.

* Aus: Internet-Zeitung www.ngo-online.de, 24. November 2008


"Bin sicher, daß die BND-Leute gebombt haben"

Geheimdienstexperte vermutet, daß die CIA die deutschen Spione im Kosovo auffliegen ließ. Ein Gespräch mit Erich Schmidt-Eenboom **

Erich Schmidt-Eenboom ist Autor zahlreicher Bücher über Geheimdienste und ihre Verbindungen zu Politik, Wirtschaft und Medien. Als Vorsitzender des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. in Weilheim betreibt er die Webseite www.geheimdienste.info.

jW: Der Bundesnachrichtendienst (BND) hüllt sich in Schweigen über die drei im Kosovo inhaftierten Männer, die als mutmaßliche Agenten an einem Sprengstoffattentat auf die EU-Vertretung in Pristina am 14. November beteiligt gewesen sein sollen. Wie schätzen Sie die Vorgänge ein?

Schmidt-Eenboom: Ich bin sicher, daß die drei als Angehörige einer BND-Tarnfirma in Pristina seit langem in der Region operativ eingesetzt werden. Und genauso überzeugt bin ich davon, daß diese Männer den Bombenanschlag verübt haben, der keine nennenswerten Schäden verursacht hat und wohl lediglich Signalwirkung haben sollte. Nach Informationen aus dem Kosovo waren die drei in Sicherheitskreisen als BND-Mitarbeiter bekannt und wurden als solche bereits über lange Zeit observiert.

Sie halten es also für möglich, daß der deutsche Auslandsgeheimdienst bei Bedarf auch gegen die EU bombt?

Der Anschlag richtet sich nur auf den ersten Blick gegen die EU, er bedient im Gegenteil sogar deren Interessen. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten zieht mit Deutschland an einem Strang, was die schnelle Anerkennung des Kosovo -- beispielsweise auch durch Rußland - betrifft. Die EU-Übergangsverwaltung ist nur ein auf Zeit eingerichtetes Gremium, um den Prozeß mit dem Ziel der vollen Souveränität zu befördern. Mit Angriffen wie dem auf die EU-Vertretung wird der Druck auf dem Weg dorthin erhöht.

Wer käme denn sonst als Täter in Frage, wenn es nicht der BND war? In den Medien wird sowohl über kosovarische als auch serbische Extremisten spekuliert.

Terror wäre zum jetzigen Zeitpunkt absolut kontraproduktiv für die serbische Politik. Belgrad unternimmt ja momentan einen letzten politischen Rettungsversuch, die mehrheitlich serbisch bevölkerten Teile des Kosovo zurückzubekommen. Im Falle offener Gewaltanwendung würde sich diese Aussicht vollends zerschlagen.

Aber könnte man den Serben die Anschläge nicht gerade deshalb in die Schuhe schieben wollen?

Dagegen spricht, daß an den Anschlagsorten keinerlei Spuren gelegt wurden, die in Richtung serbischer Extremismus deuten.

Blieben also kosovarische Extremisten. Würde deren Sache damit nicht in Mißkredit gebracht?

Es gab in der Vergangenheit mehrere terroristische Angriffe auf die serbische Zivilbevölkerung, die der prokosovarischen Stimmung in den USA und großen Teilen Europas keinen Abbruch getan haben. Den Kosovaren wird offensichtlich auch weiterhin zugebilligt, ihre Selbstbestimmung um jeden Preis durchzusetzen. Die Botschaft hinter den jüngsten Anschlägen lautet deshalb: »Der Kosovo muß souverän werden, wenn nicht friedlich, dann eben mit Gewalt.«

Und das könnte Rußland zu dessen Anerkennung bewegen?

Ich denke, daß man in Moskau die Signale deutlich wahrnimmt und daß die Bereitschaft wächst, das Problem im Zusammenhang mit der Georgien-Frage zu lösen: Ein souveränes Kosovo wäre die Gegenleistung für ein unabhängiges Abchasien und Südossetien.

Wenn der BND Kosovos Unabhängigkeit mit Bombenterror will - warum lassen kosovarische Behörden die Agenten auffliegen?

Ich gehe davon aus, daß die kosovarische Führung bei ihren Maßnahmen zur Aufdeckung der BND-Aktivitäten nicht ohne Rückendeckung der USA agiert hat. Die Angelegenheit hätte mit gutem Willen diplomatisch und ohne öffentlichen Aufruhr geregelt werden können. Statt dessen wurde die Sache an die große Glocke gehängt, die drei wurden bei der Festnahme gefilmt, und es wurden umgehend 30 Tage Untersuchungshaft verhängt. Das Vorgehen begrenzt den Handlungsspielraum der Bundesregierung erheblich.

Das heißt, die USA wollten die Deutschen vorführen. Aber wozu? Für ein souveränes Kosovo sind Berlin und Washington doch gleichermaßen.

Das stimmt zwar, nur sind die kurzfristigen operativen Interessen der amerikanischen CIA und des BND nicht unbedingt dieselben, zumal in Washington bald ein neuer Präsident das Sagen hat. Unabhängig davon hat die CIA auch immer etwas dagegen, wenn andere Dienste zu eigenmächtig in ihren Einflußgebieten agieren.

Interview: Ralf Wurzbacher

** Aus: junge Welt, 25. November 2008


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