Serbien wirbt ums "Datum"
Belgrader Politiker auf Bittgängen: Noch in diesem Jahr sollen Beitrittsverhandlungen beginnen
Von Detlef D. Pries *
Kein wichtigeres Thema scheint die serbische Regierung derzeit zu kennen als »das Datum«: Wenn sich Ende Juni die Staats- und Regierungschefs der EU treffen, sollen sie – so Belgrads Wunsch – ein präzises Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Serbien nennen.
Sollte der EU-Rat am 28. Juni kein exaktes Datum für die Aufnahme offizieller Verhandlungen über eine Mitgliedschaft Serbiens in der Europäischen Union beschließen, würde man sich in Belgrad »betrogen« fühlen. Das ließ Premierminister Ivica Dačić am Wochenende Journalisten wissen. Er reagierte damit auf die Voraussage eines EU-Vertreters in Belgrad, ein solches Datum werde kaum genannt werden, wohl aber könne der Brüsseler Rat allgemein »grünes Licht« für Serbien geben. »Wir sind keine Verkehrspolizisten«, empörte sich Dačić, der einst als »kleiner Slobo« bekannt war (er war Pressesprecher von Slobodan Milošević), die Sozialistische Partei (SPS) jedoch längst auf EU-Kurs gebracht hat.
Wenn Serbien kein »Datum« verdiene, wer sonst? Fragt man jedenfalls in Belgrad. Und so werben serbische Spitzenpolitiker dieser Tage in den EU-Staaten emsig um Zustimmung. In Berlin sprach Suzana Grubješić vor, die als Vizepremierministerin für Europäische Integration zuständig ist. In Italien bat zur gleichen Zeit Vizepremier Aleksandar Vučić um gutes Wetter. Vučić ist der starke Mann der Serbischen Fortschrittspartei (SNP).
Glaubt man Frau Grubješic (50), die der Union Serbischer Regionen (URS) angehört, der kleinsten der drei Regierungsparteien, wird Serbien keine Last für die EU sein, sondern ein Gewinn. Denn das Land nehme eine Schlüsselstellung auf dem Westbalkan ein, sagte sie in einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zwar würden die Verhandlungen gewiss lange dauern, schon auf den Kandidatenstatus habe man elf Jahre warten müssen, doch die ganze Region werde sicherer, wenn erst Serbiens Perspektive geklärt ist.
Die letzte und wichtigste Bedingung der EU hat die Belgrader Regierung nach eigener Auffassung durch die Unterzeichnung des Normalisierungsabkommens mit Kosovo am 19. April erfüllt. In Berlin heißt es dagegen, damit sei es nicht getan. Das Abkommen müsse auch angewendet werden, wogegen sich vor allem die Serben im Norden Kosovos sträuben.
Suzana Grubješić gibt zu, dass ihre 50 000 Landsleute in Nord-Mitrovica, Leposavić, Zvečan und Zubin Potok mit der Brüsseler Vereinbarung »nicht glücklich« sind. Die verspricht ihnen zwar gewisse Autonomie, verlangt aber die Anpassung an die staatlichen Strukturen Kosovos, dessen Unabhängigkeit sie vehement ablehnen. Gerade noch konnte Belgrad die Vertreter der vier Gemeinden davon abhalten, ihrerseits die Unabhängigkeit des Gebiets auszurufen. Da helfen nur »Gespräche, Gespräche, Gespräche« – und Geduld, sagt Frau Grubješić und bittet wiederholt darum, den Einfluss Belgrads auf die Serben in Kosovo nicht zu überschätzen. Und zum Tango gehörten immer zwei: Auch von der Kosovo-Regierung in Priština müsse man verlangen, die Ängste der Serben zu zerstreuen.
Laut Abkommen sollen beispielsweise alle (serbischen) Polizisten in Nordkosovo in die Kosovo-Polizei integriert werden. Kosovos Vizepremier Hajredin Kuci ließ jedoch verlauten, 800 Polizisten würden nicht gebraucht, man werde allenfalls 100 oder 150 einstellen. Unakzeptabel findet das Aleksandar Vulin, Direktor des Kosovo-Büros der serbischen Regierung. Durch solche Aussagen verstärke sich der Eindruck, dass Priština das Territorium, nicht aber die dort lebenden Serben integrieren wolle. Nicht von ungefähr seien die Betroffenen also um ihre Sicherheit besorgt.
Aus Berlin nahm Suzana Gru-bješić die Botschaft mit, der Bundestag werde erst unmittelbar vor dem 28. Juni entscheiden, ob es das ersehnte »Datum« – möglichst im Oktober – gibt. Die oppositionelle Demokratische Partei Serbiens (DSS) des ehemaligen Premiers Vojislav Kostunica klagt offenbar nicht ganz zu unrecht, der EU gehe es nur darum, Serbien zur offiziellen Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos zu zwingen.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Juni 2013
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