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Historischer Durchbruch im Kosovo-Konflikt

Belgrad und Pristina einigen sich auf Abkommen

Zehnmal musste die EU Anlauf nehmen, um zwischen Serbien und dem Kosovo ein Abkommen zur Beilegung ihres jahrzehntelangen Konflikts durchzusetzen. Nun ist die Einigung da. Als Belohnung winkt beiden Staaten die Annäherung an Brüssel.

Serbien und Kosovo haben sich nach Jahrzehnten des Streits und blutiger Auseinandersetzungen auf ein Abkommen zur Beilegung ihres Konflikts geeinigt. Unter Vermittlung der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton unterzeichneten Serbiens Regierungschef Ivica Dacic und sein Kosovo-Amtskollege Hashim Thaci am Freitag in Brüssel den Text der bisher noch nicht veröffentlichten Vereinbarung. Sie legt die Rechte der serbischen Minderheit in dem fast nur noch von Albanern bewohnten Kosovo fest. »Die Vorschläge Serbiens wurden angenommen«, sagte Dacic: »Ich habe paraphiert, damit beide Seiten über die Annahme oder Ablehnung dieses Textvorschlages entscheiden können.« Am Montag werde Serbien nach dem endgültigen Beschluss der Staatsspitze Ashton schriftlich das Ergebnis mitteilen. Thaci behauptete, das Abkommen bedeute »die Anerkennung Kosovos«: »Serben und Kosovaren reichen sich damit die Hand zur Aussöhnung.«

Damit ist beiden Ländern das Tor zu einer Annäherung an die EU geöffnet. Dacic nannte Details aus dem Vertragswerk. Danach bilden die serbischen Gemeinden in Nordkosovo eine »Gemeinschaft«: »Sie verfügt über Eigentum, Konten, besitzt ihr Parlament, einen Präsidenten, Vizepräsidenten und einen Rat als Art Regierung. Sie hat die volle Aufsicht über die Bildung, die Kultur, die Raumplanung und so weiter.« Die Serben werden demnach auf lokaler und regionaler Ebene die Polizeichefs stellen und die Richter in einem zweistufigen Justizsystem bestellen. Ihr Kreisgericht soll im nördlichen Teil der Stadt Mitrovica angesiedelt werden.

Die Nato werde ihren Teil des Abkommens erfüllen, berichtete das Bündnis nach einem Treffen mit Dacic, Thaci und Ashton. Nach unbestätigten Berichten geht es um Garantien, dass die von Albanern geführte Kosovo-Regierung ihre Sicherheitskräfte nicht im Norden des Landes stationiert. Sie sollen schon bald in eine reguläre Armee umgebildet werden. Strittig ist der Zeitraum für eine solche Garantie. Während Serbien zehn Jahre fordere, habe das Kosovo nur drei Jahre einräumen wollen, hieß es.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy gratulierten zu dem »historischen Abkommen«. Es sei jetzt entscheidend, dass beide Länder dem Textvorschlag endgültig zustimmten, sagte Erweiterungskommissar Stefan Füle: »Das ist eine Gelegenheit, die nicht verpasst werden kann.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 22. April 2013


Abkommen begrüßt

Serbien und Kosovo froh über Einigung **

Die unter EU-Vermittlung erzielte Einigung Serbiens mit Kosovo ist in Belgrad und Pristina begrüßt worden.

Alle Parteien der serbischen Regierungskoalition hätten sich dafür ausgesprochen, hieß es am Montag in Belgrad. Auch wenn das Parlament noch über das Abkommen abstimmen wollte, galt die Annahme des Dokuments als wahrscheinlich. Schon am Sonntag hatte das Parlament Kosovos seine Zustimmung gegeben. Die Kosovo-Serben drohten indes, das Abkommen zu blockieren.

Der serbische Regierungschef Ivica Dacic und sein kosovarischer Kollege Hashim Thaci hatten sich unter EU-Vermittlung auf eine Normalisierung ihrer Beziehungen verständigt. Das öffnet beiden Seiten das Tor zu einer Annäherung an die Europäische Union. Die EU-Kommission empfahl den Regierungen der Mitgliedsländer am Montag, mit Serbien die Verhandlungen über einen EU-Beitritt aufzunehmen sowie mit Pristina über ein Assoziierungsabkommen zu verhandeln. Dies schlug Erweiterungskommissar Stefan Füle den EU-Außenministern am Montag in Luxemburg vor. Die Staats- und Regierungschefs wollen über Verhandlungen mit Serbien und Kosovo im Juni entscheiden.

Allerdings wird die Union über eine Annäherung Serbiens und Kosovos an die EU erst dann entscheiden, wenn das Abkommen tatsächlich umgesetzt wird. Dies machte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Montag am Rande der Beratungen der EU-Außenminister klar. »Wir wünschen uns, dass das, was zwischen Serbien und Kosovo vereinbart wurde, auch implementiert wird, also tatsächlich umgesetzt wird.«

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. April 2013


Kosovo-Kompromiss

Von Detlef D. Pries ***

Die EU gratuliert Belgrad und Priština zum »historischen Abkommen«. Eigentlich ein Selbstlob, denn die EU-Mächte haben die Vereinbarung über »Prinzipien einer Normalisierung der Beziehungen« zwischen Serbien und Kosovo schlicht erzwungen. Zugegeben war der Druck geradezu sanft, verglichen mit der rohen Gewalt, mit der die NATO einst den Separatismus der Kosovo-Albaner unterstützte. Jetzt preisen die Kontrahenten das Abkommen notgedrungen als das Beste, was sie in zähem Tauziehen zu erreichen imstande gewesen seien. Denn Gegner gibt es auf beiden Seiten: Unter den Kosovo-Albanern sind es jene, die jeden Dialog mit Serbien ablehnen, auf der anderen Seite fühlen sich vor allem die Serben in Nordkosovo verraten. Wohl dürfen sie sich weitgehend selbst verwalten, auch ihre Polizisten und ihre Richter werden serbisch sprechen, doch stets im Rahmen der in Priština erlassenen Gesetze. Gerade das hatten sie per Referendum vor einem Jahr zurückgewiesen.

Zwar enthält die Vereinbarung keine förmliche Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch Serbien. Auch einer UN-Mitgliedschaft Prištinas muss Belgrad nicht zustimmen - jedenfalls nicht vor Beginn der EU-Aufnahmeverhandlungen. Doch solche Verhandlungen können bekanntlich sehr lange dauern. Illusionär zu glauben, die EU würden nicht weitere Zugeständnisse zugunsten ihres Protektorats Kosovo fordern.

*** Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. April 2013 (Kommentar)


Masochismus

Belgrad kriecht vor EU zu Kreuze

Von Werner Pirker ****


Es waren Verhandlungen, bei denen die Serben nur verlieren und die kosovo-albanischen Sezessionisten nur gewinnen konnten. Allein die Tatsache, daß sie stattfanden, ließ die Bereitschaft der serbischen Seite erkennen, sich auf einen von Brüssel vorgegebenen Prozeß einzulassen, an dessen Ende die offizielle Anerkennung der Provinz durch Belgrad stehen wird. Nach Meinung des kosovo-albanischen Verhandlungsführers Hashim Thaci habe Serbien mit der Unterzeichnung des Abkommens ohnedies bereits »die volle Souveränität und territoriale Integrität des Kosovo anerkannt«. Dieser forschen Auslegung konnte der serbische Premier Ivica Dacic nur bescheiden entgegenhalten, daß mit seiner Unterschrift das Dokument noch nicht angenommen sei.

Von der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton massiv unterstützt, haben sich die Sezessionisten auf der ganzen Linie durchgesetzt. Der mehrheitlich serbischen Bevölkerung im Norden der Provinz wird das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt. Zwar sollen die vier serbischen Gemeinden zu einer gemeinsamen zusammengefaßt und mit Autonomierechten auf niedrigstem Niveau versehen werden. Gleichzeitig betont das Abkommen, daß Polizei und Gerichte Teil des »Rechtssystems« des illegalen Gebildes sein müssen. Daß die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo nicht rechtens ist, geht indirekt auch aus einem Urteil des Internationalen Gerichtshofes hervor, in dem diese zwar als »nicht völkerrechtswidrig« bezeichnet wird – die Illegalität der Abspaltung aber unter Verweis auf die UN-Sicherheitsratsresolution Nr. 1244, welche die territoriale Integrität Jugoslawiens, dessen Rechtsnachfolger Serbien ist, bestätigt.

Das von Dacic und Thaci unterzeichnete Abkommen weist in eine ganz andere Richtung. Sollte es ratifiziert werden, hätte Belgrad seinen legitimen Rechtsanspruch auf territoriale Integrität verspielt. Man könnte jetzt einwenden, es sei bei diesen Gesprächen ja nicht um den völkerrechtlichen Status des Kosovo gegangen, sondern um eine pragmatische Lösung der serbischen Frage im Sezessionsgebilde. Doch auch diesbezüglich hat Dacic weitgehend kapituliert und in der Konsequenz Serbiens südliche Provinz preisgegeben, was ohnedies seiner vor kurzem geäußerten Meinung entspricht, daß das Kosovo verloren sei. Eine offen prowestliche Regierung hätte es wahrscheinlich nicht gewagt, nationalen Besitzstand so bedenkenlos zu verschleudern wie diese Koalition aus Nationalisten und Sozialisten – unter einem Premier, der einmal ein enger Vertrauter von Slobodan Milosevic war.

Erpreßbare Figuren wie Dacic wollen offenbar um jeden Preis den Beweis ihrer »Europareife« erbringen. Es gehört schon einiges an Masochismus dazu, einer EU beitreten zu wollen, die Serbiens bedingungslose Kapitulation zur Aufnahmebedingung gemacht hat. »Wir müssen die Serben in die Knie zwingen«, hatte der deutsche Außenminister Klaus Kinkel einst gefordert. Entsprechend begibt sich Serbien nach »Europa«: auf den Knien.

**** Aus: junge Welt, Montag, 22. April 2013 (Kommentar)


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