Unterwerfungsakt
Serbien stellt sich bei EU an
Von Werner Pirker *
Der serbische Präsident Boris Tadic hat am Dienstag in Stockholm das
EU-Beitrittsgesuch seines Landes eingereicht. Das mag viele seiner
Landsleute mit Genugtuung, ja mit Stolz erfüllen. Dafür besteht indes
nicht der geringste Grund. Serbiens Ansuchen um Aufnahme in die
Europäische Union ist ein Akt der Unterwürfigkeit.
In den Ländern an der EU-Peripherie herrscht der Irrglaube vor, daß die
Mitgliedschaft dem eigenen Land einen höheren Status verleihe und seinen
Bürgern den Anschluß an den Wohlstand im reichen Teil des Kontinents
ermögliche. In den mittel- und osteuropäischen Ländern, die den
EU-Beitritt bereits vollzogen haben, ist längst Ernüchterung eingekehrt.
Die Bulgaren und Rumänen leben keineswegs besser, als sie das vor dem
Anschluß taten, und werden es in absehbarer Zeit auch nicht tun. Die
kapitalistische Krise verheißt vielmehr ein Absinken des Lebensstandards
in allen EU-Ländern.
Die Europäische Union war zudem niemals eine Vereinigung von Gleichen.
Sie war immer die Resultante hegemonialer Interessen. Mit ihrer
Osterweiterung ist die Kluft zwischen den armen und reichen
Mitgliedsstaaten keineswegs geschlossen worden. Vielmehr haben sich
innerhalb der EU ein Kerneuropa und dessen Peripherie herausgebildet,
euphemistisch auch das »Europa der zwei Geschwindigkeiten« genannt.
Inzwischen kann sogar von einer Dreiklassengesellschaft innerhalb der
Union gesprochen werden.
Serbien wird aller Voraussicht nach bei den Drittklassigen eingereiht
werden. Dies, obwohl es sogar in den Jahren des Krieges und des Embargos
eine bessere wirtschaftliche Entwicklung und einen höheren
Lebensstandard als Länder wie Bulgarien, Rumänien oder Albanien
vorweisen konnte. Serbien muß zwar nicht mehr sterbien, aber es »muß«
weiter dafür bestraft werden, daß es den jugoslawischen Vielvölkerstaat
gegen die Aggression der Sezessionisten und des Westens verteidigt hat.
Wenn die Republik Serbien in die EU aufgenommen wird, dann tritt sie
einem Staatenbund bei, der an dieser Aggression maßgeblich beteiligt
war. Dessen eine Führungsmacht, Deutschland, den Zerfallsprozeß
Jugoslawiens mit allen Mitteln, ökonomische Erpressung anderer Staaten
inbegriffen, befördert hat. Dessen NATO-Mitglieder den verbrecherischen
Bombenkrieg gegen Jugoslawien mitgeführt haben. Sie tritt einem
imperialistischen Block bei, der im Bündnis mit den USA die territoriale
Integrität Serbiens zerstört hat. Noch lange bevor die Republik Serbien
in der EU ist, ist die EU bereits in Serbien: in Gestalt der Eulex, der
europäischen »Rule of Law Mission«, welche die eigentliche Staatsmacht
im »unabhängigen« Kosovo ausübt.
Die Auslieferung Serbiens an die Europäische Union haben nicht nur die
Antinationalen von der Demokratischen Partei, sondern auch die Führer
der von Slobodan Milosevic gegründeten Sozialistischen Partei zu
verantworten. Das macht diesen Unterwerfungsakt gänzlich unerträglich.
* Aus: junge Welt, 23. Dezember 2009
Wettlauf nach "Europa"
Von Detlef D. Pries **
Serbiens Präsident Boris Tadic durfte am Dienstag den Antrag seines
Staates auf Beitritt zur Europäischen Union abgeben. Der amtierende
EU-Ratsvorsitzende, Schwedens Regierungschef Fredrik Reinfeldt, geruhte
das Gesuch entgegenzunehmen. Mag sein, dass mancher Serbe die
Stockholm-Reise seines Präsidenten als einen Gang nach Canossa
betrachtet. Schließlich waren es die führenden EU-Mächte im NATO-Kleid,
die Kosovo - im Verständnis der Serben die Wiege ihrer Kultur und ihrer
Geschichte - mit militärischer Gewalt vom »Mutterland« losrissen. Nun
ersuchen die Geschlagenen unterwürfig um Aufnahme in »Europa«, wie sich
dessen westlich-überheblicher Teil gerne nennt.
Andererseits: Waren die balkanischen Sezessionskriege der 90er Jahre
eigentlich etwas anderes als ein - mörderisches - Wettrennen an die
Krippe der EU? Slowenien kam 2004 an, Kroatien wähnt sich auf der
Ziellinie, Mazedonien ist seit 2005 offizieller Kandidat, Montenegro
seit einem Jahr. Vor Serbien, das frühestens zwischen 2014 und 2018 mit
der Aufnahme rechnen kann, dürften die beiden Nachbarn auch nicht für
reif befunden werden. Von der Visapflicht für den Schengen-Raum wurden
die Bürger aller drei Staaten gerade gleichzeitig befreit. Ironie der
Geschichte: Die schlechtesten Aufnahmechancen haben Bosnien-Herzegowina
und Kosovo, die Halbkolonien der EU. Kosovo ist noch nicht einmal von
allen Mitgliedern anerkannt. Ein künftiges Mitglied Serbien könnte die
Aufnahme Kosovos gegebenenfalls sogar vereiteln. Was Brüssel nicht
zulassen wird. Bliebe die Frage, warum so grausame Kriege geführt
wurden, wenn sich am Ende doch alle im gleichen Klub wieder finden.
** Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2009 (Kommentar)
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