Freispruch für Schlächter
UN-Tribunal in Den Haag spricht früheren Chef der Separatistenarmee des Kosovo, Ramush Haradinaj, von Folter und Mord frei. Feuerwerk in Pristina
Von Arnold Schölzel *
Das UN-Tribunal für Kriegsverbrechen im früheren Jugoslawien in Den Haag (ICTY) hat am Donnerstag den ranghöchsten angeklagten Separatistenführer des Kosovo und früheren Regierungschef des EU-Protektorats, Ramush Haradinaj, freigesprochen. Ihm waren Folter und Mord an Zivilisten im Sommer 1998 vorgeworfen worden. Haradinaj war damals Oberkommandierender der Befreiungsarmee Kosovo (UCK) in der südwestlichen Zone der serbischen Provinz. Zusammen mit ihm wurden die Mitangeklagten Idriz Balaj und Lahi Brahimaj davon freigesprochen, an einem »gemeinsamen verbrecherischen Unterfangen« beteiligt gewesen zu sein, und umgehend auf freien Fuß gesetzt. Das Urteil erging, obwohl in ihrem Kommandobereich eine Reihe von schweren Verbrechen nachgewiesen wurden. Das Gericht kam zu dem Schluß, daß die Tatbestände zwar erfüllt seien, einen direkten Beweis habe die Anklage, die 20 Jahre Haft gefordert hatte, aber nicht vorgelegt. Während die Kosovaren in Pristina den Freispruch mit einem Feuerwerk feierten, übte die serbische Regierung scharfe Kritik an dem Gericht.
In einem ersten Urteil hatte der Haager Gerichtshof 2008 Haradinaj und Balaj freigesprochen, Brahimaj wurde wegen Folter in einem Fall zu sechs Jahren Haft verurteilt. 2010 hob die Berufungskammer das Urteil auf, nachdem auch die Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, auf die Einschüchterung von Zeugen hingewiesen hatte.
In Kosovos Hauptstadt Pristina begrüßten Haradinajs Anhänger das Urteil frenetisch mit Böllerexplosionen. Serbiens Präsident Tomislav Nikolic erklärte dagegen: »Das Tribunal wurde geschaffen, um Serben vor Gericht zu stellen.« Niemand werde für die »fürchterlichen Verbrechen gegen Kosovo-Serben« bestraft. Tatsächlich wurden bisher keine hochrangigen Angehörigen anderer Ethnien für Verbrechen während des Bosnienkrieges (1992 bis 1995) oder des Kosovokrieges 1999 verurteilt. Vor weniger als zwei Wochen wurden zudem die kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markac vom Vorwurf der Kriegsverbrechen entlastet.
Mit scharfer Kritik reagierte die Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion für internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen, auf das Urteil. Sie verwies darauf, daß westliche Geheimdienste in einem vor kurzem an die Öffentlichkeit gelangten Papier »im Falle Haradinaj sogar eine gezielte Behinderung der juristischen Aufarbeitung seitens politisch-diplomatischer Kreise« konstatieren. Dagdelen weiter: »Im Juli 2000 etwa wurde Haradinaj bei einem Angriff mit 40 bewaffneten Kämpfern auf das Anwesen eines konkurrierenden Clans selbst verletzt und daraufhin von den USA auf den Militärstützpunkt Ramstein in Deutschland ausgeflogen, um eine Strafverfolgung zu verhindern.« NATO und EU machten sich im Kosovo zu Komplizen von Kriegsverbrechern und der Organisierten Kriminalität, um die militärische Zerschlagung Jugoslawiens nachträglich zu legitimieren. Das Recht erscheine so »lediglich als Mittel der Herrschenden und als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.« Ähnliche Kritik kam auch von Amnesty International. »Wenn die drei ranghöchsten UCK-Mitglieder unschuldig sind, wer dann hat diese Verbrechen begangen?« fragte John Dalhuisen, der die Europa- und Nahostsektion der Menschenrechtsorganisation leitet, in einer Stellungnahme.
* Aus: junge Welt, Freitag, 30. November 2012
"Beweisnotstand"
Den Haag ist fest in Mafia-Hand
Von Werner Pirker **
Das vom UN-Sicherheitsrat widerrechtlich eingerichtete Tribunal für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien – einzig die UNO-Vollversammlung wäre dazu berufen gewesen – trägt sein kriminelles Wesen immer unverschämter zur Schau. Nachdem vor zwei Wochen der kroatische General Ante Gotovina, der 2005 wegen Kriegsverbrechen zu 18 Jahren Haft verurteilt worden war, in einem zweiten Prozeß freigesprochen wurde, verläßt nun auch der frühere UCK-Kommandant und ehemalige Kosovo-Regierungschef Ramush Haradinaj, dessen erster Prozeß 2008 bereits mit einem Freispruch geendet hatte, als freier Mann Den Haag.
Daß seitens der UCK Verbrechen begangen wurden – nicht nur gegen Serben und andere nichtalbanische Kosovaren, sondern auch gegen projugoslawische Albaner, die sich gegen das ethnozentristische Terrorregime der Freischärler wandten, konnte auch von den Haager Richtern nicht bestritten werden. Beweise für die Schuld Haradinajs und zwei seiner Mitangeklagten gebe es jedoch nicht, lautete die Urteilsbegründung. Wären die Angeklagten Serben gewesen, dann hätte das Tribunal unter Garantie das von ihm erfundene Prinzip eines »gemeinsamen kriminellen Unternehmens« (JCE) zur Anwendung gebracht. Im Fall des kroatischen Massakergenerals und des als Schlächter bekannten UCK-Kommandierenden für den Westen des Kosovos galt diese Annahme, die Angeklagte per se zu Angehörigen eines Mörderkollektives stempelt, nicht. Sie sind ja auch keine Serben und konnten deshalb gemäß Haager Logik nicht in einen Plan involviert gewesen sein, der von ethnischen Vertreibungen bis zum Genozid reichte.
Gotovina war der Oberkommandierende der mit massiven ethnischen Vertreibungen verbundenen »Operation Blitz« zur Eingliederung der bis dahin überwiegend serbisch besiedelten Provinz Krajina in den kroatischen Staatsverband. Haradinaj war einer der grausamsten Vollstrecker der vollständigen Albanisierung der südserbischen Provinz. Die angebliche ethnische Vertreibung der Kosovo-Albaner durch die Serben und ein drohender Völkermord waren die vorgeschobenen Gründe für den Bombenkrieg 1999 gegen Jugoslawien. In Wirklichkeit flohen die Kosovo-Bewohner vor den NATO-Bomben. Nach vollbrachtem Zerstörungswerk begannen die ethnischen Säuberungen – mit dem Ziel eines rein albanischen Kosovo.
Die Richter von Den Haag wissen nicht nur Bescheid über die von der UCK begangenen Verbrechen, sie wissen auch über die Ursachen ihrer Beweisnot Bescheid. Und sie sagten das auch in ihrer Urteilsbegründung. Da alle im ersten Prozeß gegen Haradinaj getätigten Aussagen den mörderischen Arm der UCK auf sich zogen, fanden sich keine Zeugen mehr, die es gewagt hätten, gegen die zur Staatsmacht gewordene organisierte Kriminalität auszusagen. Das Den Haager Tribunal hat sich dem Mafia-Rechtsverständnis offenbar voll unterworfen.
** Aus: junge Welt, Freitag, 30. November 2012 (Kommentar)
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