Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Völkerrechtswidrige "Unabhängigkeit"

Schreiben der Linke-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen an den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU):

Mit Bedauern habe ich Ihre Einladung zu einem Gespräch am 9. Juni 2010 »mit Mitgliedern des Haushalts- und Finanzausschusses des kosovarischen Parlaments« zur Kenntnis genommen.

Das kosovarische Parlament wurde am 17.11.2007 als provisorische Institution der Selbstverwaltung in der unter UN-Verwaltung stehenden serbischen Provinz Kosovo, die aus dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien als Vorstufe für die Sezession des Kosovo hervorging, gewählt. Weniger als ein Prozent der serbischen Bevölkerung und weniger als 45 Prozent der übrigen Bevölkerung nahmen an der Wahl teil, aus der führende Persönlichkeiten der vor dem NATO-Krieg als terroristisch eingestuften UCK als Sieger hervorgingen. Dieses Parlament erklärte sich am 17.2.2008 völkerrechtswidrig - mit der Unterstützung des UN-Sondergesandten Martti Ahtisaari, der USA und zahlreicher europäischer Staaten sowie unter militärischen Drohgebärden der UCK - als unabhängig. Eine Mehrheit der Staaten und die UNO hat die Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkannt, dennoch ist die NATO bereits am Aufbau einer eigenen »kosovarischen Armee« unter Rückgriff auf Strukturen und Personal der UCK beteiligt.

Die EU strebt trotz divergierender Positionen der Mitgliedsstaaten zur »Unabhängigkeit« eine Aufnahme des Kosovo in die EU an und setzt entsprechende neoliberale Reformprozesse im Kosovo durch, flankiert durch die KFOR und die europäische »Rechtsstaatsmission« Eulex, deren Übungen vorwiegend die Kontrolle von aufgebrachten Menschenmengen in Zusammenarbeit mit den Soldaten der KFOR betreffen. Insofern ist von einer »kontrollierten Unabhängigkeit« die Rede, wonach der Kosovo seine Souveränität in dem Maße gewinnt, wie die Regierung und das Parlament bereit sind, diese an die EU abzugeben. Ich und meine Fraktion, Die Linke, lehnen diese koloniale Praxis ab. Wir erkennen die völkerrechtswidrige »Unabhängigkeit« des Kosovo im Gegensatz zur Bundesregierung und den anderen im Bundestag vertretenen Parteien nicht an, da Die Linke sich dem Völkerrecht und der Schlußakte von Helsinki verpflichtet fühlt. Nach serbischem Verfassungsrecht sowie den zwingenden Normen der UNO-Charta ist die Region Kosovo nach wie vor ein Bestandteil der multiethnischen Republik Serbien.

Ich und meine Fraktion wollen damit auch einen Beitrag dazu leisten, daß andere Minderheiten- und Sezessionskonflikte nicht wie in Mazedonien oder Georgien ebenfalls gewaltsam ausgetragen werden. Ich bitte Sie daher mit Nachdruck darum, alle Schritte zu unterlassen, die als diplomatische Anerkennung des Kosovo interpretiert werden könnten. Aus diesen Gründen werde ich dem für 9. Juni geplanten Gespräch »mit Mitgliedern des Haushalts- und Finanzausschusses des kosovarischen Parlaments« fernbleiben.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2010


Zurück zur Serbien-Seite

Zurück zur Homepage