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Wenig Bewegung in Wien

Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern unter Leitung einer UN-Delegation in Wien werden am 17. März fortgesetzt

"Ohne eine Einigung bei der Statusfrage des Kosovo, der völkerrechtlich zu Serbien und Montenegro gehört, ist die politische Bedeutung der am Dienstag gefundenen Basis .. gering", schreibt der Wiener "Standard" am 22. Februar über die ersten beiden Verhandlungstage zwischen Serben aus Belgrad und Kosovo-Albanern aus Pristina. Weiter heißt es in dem Artikel:
"Über lokale Verwaltung könne zwar diskutiert werden, sagte der kosovo-albanische Delegationsleiter Lutfi Haziri. Umgesetzt werden solche Maßnahmen aber erst nach Ausrufung der Unabhängigkeit des Kosovo. Und die Verhandlungen seien der Beginn des Weges in diese Unabhängigkeit, meint Haziri.
Die Reintegration des Kosovo in Serbien sei der einzig gangbare Weg, sagte dagegen Leon Kojen von der serbischen Delegation. Wann bei den Verhandlungen unter UN- Schirmherrschaft über das Statusproblem geredet wird, sagte Rohan nicht.
[Der Österreicher Albert Rohan ist stellvertretender Leiter des UNO-Verhandlungsteams.]
Zunächst sollen weitere "praktische Fragen", etwa der Schutz religiöser Stätten oder die Finanzierung der Selbstverwaltung, diskutiert werden. Auch bis wann sich die Parteien einigen wollen, sagten die Delegierten nicht. Angepeilt werde 2006. Fest steht derzeit nur der nächste Verhandlungstermin: 17. März, wieder in Wien.


Martti Ahtisaari: "Besser als erwartet"

(...) Der UNO-Sondergesandte für die Status-Gespräche über das Kosovo, Martti Ahtisaari, reist laut einem finnischen Zeitungsbericht kommende Woche erneut in die serbische Hauptstadt Belgrad und in die Kosovo-Provinzhauptstadt Pristina. Ahtisaari sagte gegenüber der Helsinkier Tageszeitung "Helsingin Sanomat" (Ausgabe vom 22. Feb.), die erste direkte Gesprächsrunde zwischen Albanern und Serben am Montag und Dienstag in Wien sei "vielleicht besser als erwartet" gelaufen.

Es gehe zunächst darum, dass beide Seiten die Möglichkeit bekämen, jene Dinge vorzubringen "die sie auf dem Herzen haben". Die ersten Gespräche seien in einem "besonders sachlichen Ton" verlaufen und dies sei immer ein gutes Zeichen, gab sich Ahtisaari optimistisch. Bezüglich der Gretchenfrage des künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo und die angeblich international bereits weitgehend beschlossene Unabhängigkeit der Provinz äußerte sich Ahtisaari in dem Telefoninterview diesmal vorsichtig.

"Man muss das Haus vom Boden aus bauen und nicht mit dem Dach anfangen. Zum Status gelangt man erst, wenn man vorher geprüft hat, wie man die Voraussetzungen für das Zusammenleben in einer sehr zerrütteten und auseinander gelebten Gesellschaft schafft, in der sich die Parteien unsicher fühlen. Was immer der Status auch sein wird, diese Fragen müssen gelöst werden." (...)

Auszug aus: Der Standard, Online-Ausgabe 22. Februar 2006


Kosovos Besatzer wollen bleiben

Nach der ersten Runde der serbisch-albanischen Gespräche in Wien Von Hannes Hofbauer, Wien*

Die erste Runde der Wiener Gespräche zwischen Serben aus Belgrad und Kosovo-Albanern aus Pristina ist beendet. Nach eineinhalb Tagen war in der Substanz keine Annäherung zu bemerken, die Atmosphäre hingegen war nach Aussage des österreichischen Verhandlungsleiters Albert Rohan »kooperativ«.

Die Verhandlungsstrategie, auf die sich die Seiten unter der Schirmherrschaft des UN-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari geeinigt haben, verschiebt die entscheidende Frage nach dem künftigen Status Kosovos an den Schluss des geplanten Annäherungsprozesses. Begonnen wird mit fünf »praktischen Themenkreisen«: der Dezentralisierung Kosovos, der Eigentumsfrage, dem Schutz der (serbischen) Minderheit, dem Schutz der serbischen Klöster und der zukünftigen Präsenz ausländischer Truppen (KFOR) und Verwalter (UNMIK). Bereits diese Vorgehensweise impliziert indirekt, dass die UN-Verhandler nicht gewillt sind, die eigenen Resolutionen 1244 und 1345 umzusetzen. Nach diesen beiden Resolutionen aus den Jahren 1999 und 2001 ist Kosovo integraler Bestandteil Jugoslawiens und es besteht, wie es in der UN-Resolution 1345 heißt, »eine Verpflichtung zur Souveränität und territorialen Unversehrtheit der Bundesrepublik (...), wie in der Helsinki-Schlussakte ausgeführt.« Am völkerrechtlichen Status Kosovos gäbe es also eigentlich nichts zu rütteln. Er ist klar festgeschrieben.

Eine Trennung Kosovos von Serbien-Montenegro oder eine Teilautonomie unter internationaler Verwaltung könnte demnach nur aufgrund neuen politischen und militärischen Drucks erfolgen, der von albanischer und »internationaler« Seite ausgeht. Beides ist der Fall.

Die Initialzündung für die nun stattfindenden Gespräche über eine Neuordnung des Raumes ging im März 2004 von den gewalttätigen Übergriffen Tausender Kosovo-Albaner gegen Serben, andere Minderheiten und vor allem gegen serbische Klöster aus. UNMIK und KFOR nahmen die Übergriffe zum Anlass, die Statusfrage neu zu stellen. Kurz darauf wurde Boris Tadic zum serbischen Präsidenten gewählt, was die Kooperationswilligkeit Belgrads gegenüber den Forderungen des Westens nach einer Änderung des Kosovo-Status und einer engeren Kooperation mit dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag erhöhte.

Die vom kosovarischen Verhandlungsleiter in Wien, dem Minister für regionalen Autonomie Lutfi Haziri, unmissverständlich erhobene Forderung nach einer Umsetzung der staatlichen Unabhängigkeit Kosovos würde allerdings die ganze bisherige Philosophie der westlichen Eingriffe auf dem Balkan auf den Kopf stellen. Denn sowohl in Kroatien als auch in Bosnien-Herzegowina intervenierten EU und USA mit dem Hinweis, Grenzverschiebungen innerhalb der früheren jugoslawischen Republiken nicht zulassen zu können. Würde nun im Falle Kosovos ein neuer völkerrechtlicher Status festgeschrieben, wäre durch den NATO-Krieg 1999 das exakte Gegenteil passiert.

Vorderhand hat man es in Wien bei der Ziehung neuer Gemeindegrenzen und der Definition von Gemeindekompetenzen belassen. Am 17. März wollen sich die Delegationen wieder treffen, um Eigentumsfragen und Minderheitenschutz zu besprechen. Die kosovo-albanische Seite setzt weiterhin auf die Schutzmacht NATO, getarnt als KFOR. Auch die serbische Seite hat sich in den vergangenen Monaten in zunehmendem Maße bereit gezeigt, die Anwesenheit der ausländischen Militärs als stabilisierenden Faktor zu begreifen. Die Protektoratsverwaltung mit ihrer militärischen Besatzung kann sich also sicher fühlen, auch in den kommenden Jahren eine neue Art des Kolonialismus zu pflegen. Ihr dienen die Gespräche vor allem dazu, Rechtssicherheit für EU-europäische und US-amerikanische Investoren zu schaffen und die seit der Zeit des Arbeiterselbstverwaltungssozialismus ungelöste Eigentumsfrage im Sinne westlicher Konzerne zu klären.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Februar 2006


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