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Unmut in UNMIKistan

Fünf Jahre nach Beginn des NATO-Krieges gegen Jugoslawien: Pogrome im Kosovo. Und eine Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats

Der Ausbruch von Gewalt in der serbischen Provinz Kosovo im März 2004 mag viele überraascht haben. Insider haben indessen schon lange auf die gespannte Lage in der Region hingewiesen, in der die serbische und andere Minderheiten ständigen Drangsalierungen und Verfolgungen von Seiten der albanischen Mehrheit ausgesetzt sind.
Im Folgenden dokumentieren wir
  1. einen Hintergrundbericht aus der Tageszeitung "Neues Deutschland" und
  2. eine Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats vom 18. März 2004 zu den Unruhen.



Unmut in UNMIKistan

Von Markus Bickel, Pristina


Vor fünf Jahren begann der NATO-Krieg gegen Jugoslawien – angeblich eine »humanitäre Intervention« zur Verhinderung »ethnischer Säuberungen« im multiethnischen Kosovo. Ausgebrannt liegen die Autos vor dem mehrstöckigen Wohnhaus im Zentrum Pristinas. Darauf angesprochen, warum die Ausschreitungen nicht verhindert wurden, zuckt ein Beamter der Kosovo-Polizei KPS mit den Schultern. »Die Demonstranten hatten Pistolen dabei«, sagt der schmächtige Uniformierte, der am vergangenen Mittwoch selbst vor dem bis dahin von Serben bewohnten Haus stand. »Irgendwann ist einem die eigene Sicherheit wichtiger.« Schwarz vom Ruß des Brandes sind die Ränder der Fenster, die den Blick in verbrannte Wohnungen ermöglichen.

Als eine halbe Stunde später der Chef der Kosovo-Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen (UNMIK), Harri Holkeri, in Begleitung von Premierminister Bajram Rhexepi an dem als »Srpska Kuca« (serbisches Haus) bekannten Gebäude eintrifft, ist kaum noch Platz auf dem Autofriedhof. Mehr als 30 Journalisten und Fotografen sind gekommen, um bei der Tatort-Besichtigung dabei zu sein. Leibwächter drängen die Menge zurück, zwei mit Maschinengewehren ausgestattete Scharfschützen spähen misstrauisch in die Häuser gegenüber.

Scharfer Kritik sieht sich die Weltorganisation ausgesetzt, seit die internationale Polizei in einigen Orten des UNO-Protektorats nicht mehr in der Lage war, Serben und Angehörige anderer Minderheiten zu schützen. Und während der NATO-Oberkommandierende für Südosteuropa, Gregory Jones, die Übergriffe auf serbische Häuser und Kirchen am Wochenende als »ethnische Säuberungen« verurteilte, relativierte Holkeri die Kritik. »Wir sind schockiert und deprimiert, dass Menschen in der Lage sind, so etwas anzurichten«, sagt er nach einem kurzen Rundgang durch eine zerstörte Wohnung.

Es ist nicht das erste Mal, seit UNMIK und die NATO-geführte Kosovo-Schutztruppe KFOR im Sommer 1999 die Kontrolle über die Provinz übernahmen. 234000 nach Serbien oder Montenegro geflohene Flüchtlinge zählte das jugoslawische Rote Kreuz allein in den ersten sechs Monaten nach Einmarsch der NATO im Juni 1999. Schätzungen von Hilfsorganisationen zufolge sind heute nur noch knapp 100000 der am schnellsten wachsenden Bevölkerung Europas keine Kosovo-Albaner, sondern Roma, Ägypter, Bosnier, Türken, Gorani oder eben Serben.

So entpuppte sich der als »humanitäre Intervention« verteidigte NATO-Luftkrieg, der vor fünf Jahren begann, schon bald als alles andere denn der Anfang vom versprochenen Ende »ethnischer Vertreibungen«. Der Herausgeber der Tageszeitung »Koha Ditore«, Veton Surroi, kritisierte bereits vor einem Jahr: »Bis heute geben Politiker den Ton an, die andere mit physischer Gewalt einschüchtern. Sie gebieten über eine sozialistische Wirtschaft mit radikalkapitalistischen Zügen. Spöttisch nennen wir unser Land UNMIKistan, in Anspielung auf die Abkürzung für die UN-Mission in Kosovo.«

Auch Harri Holkeri beklagt, dass die kosovo-albanische Führung die Attacken auf mehr als 40 Kirchen, Klöster und andere religiöse Stätten in der letzten Woche nicht eindeutig verurteilt und den 3600 geflohenen Serben kein eindeutiges Signal zur Rückkehr gesendet habe. Doch seine Worte vor dem zerstörten Wohnhaus klingen hohl. »Das ist nicht das Ende, sondern ein Neuanfang für unsere Zusammenarbeit mit der lokalen Regierung.«

Mit versteinerten Gesichtern hören Holkeri und Premierminister Rexhepi einer Serbin zu. Sie verlangt, dass die Bewohner des Hauses zurückkehren können. »Bitte verhindern Sie künftig solche Gewalt und helfen sie, dass alle Menschen, die in Kosovo leben wollen, das auch können.« Nur wenn das Gebäude künftig von der KFOR geschützt werde, sei die Sicherheit der Bewohner garantiert. Die Forderung stellt sich vielerorts. Noch am Montag (22. März) hing der Rauchgeruch in den Gassen der Altstadt von Prizren. An die Fassade der zerstörten orthodoxen Kirche haben Randalierer »Tod den Serben« und »Nieder mit UNMIK« geschrieben. Eine Säule im Innenraum ist mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Mehr als zwei Dutzend Häuser serbischer Bewohner sowie weitere orthodoxe Kirchen waren am vergangenen Mittwoch in der südkosovarischen Stadt in Flammen aufgegangen, nachdem sich eine Demonstration von rund 400 Albanern aufgelöst hatte und die Teilnehmer ins serbische Viertel gezogen waren. Die zur Sicherung des Gotteshauses abgestellten Soldaten der KFOR zogen sich vor den mit Steinen und Molotow-Cocktails bewaffneten Angreifern zurück. »Weil wir die Sicherheit unserer Männer nicht mehr garantieren konnten«, sagt KFOR-Sprecher Sergio Tamai dem ND. Doch der in kosovo-albanischen Medien geäußerte Verdacht, dass die Krawalle bewusst in Kauf genommen wurden, dürfte die KFOR-Führung in den nächsten Tagen und Wochen noch weiter beschäftigen. »Wir hatten keine Chance, die Vorkommnisse zu verhindern«, erklärt ein Offizier, der namentlich nicht genannt werden will. 28 Menschen kamen bei den schlimmsten Gewaltausbrüchen seit Ende des Kosovo-Krieges 1999 ums Leben, 65 orthodoxe Kirchen und Klöster sowie 110 Häuser wurden zerstört oder beschädigt.

Dass sowohl KFOR-Soldaten als auch mehr als hundert Angehörige der UNO-Polizei KPS verletzt wurden – im geteilten Kosovska Mitrovica ließ die UNO ihr Personal evakuieren –, unterscheidet die Gewaltausbrüche von vorangegangenen Attacken. So starben beim Anschlag auf einen von Serben besetzten Bus im Februar 2001 elf Menschen, 40 wurden verletzt. Auch als es im Sommer letzten Jahres bei Angriffen gegen Serben zu drei Toten kam, blieben die internationalen Organisationen weitgehend verschont.

Wachsender Unmut über mangelnde wirtschaftliche Erfolge und Ärger über die aufgeblähte Bürokratie haben die UNMIK zum Ziel der Proteste werden lassen. Hinzu kommt die Weigerung der internationalen Gemeinschaft, die Statusfrage der völkerrechtlich weiterhin zu Serbien-Montenegro gehörenden Provinz zu klären. In der UN-Resolution 1244 von Juni 1999 war diese Frage offen gelassen worden, weil die serbische Seite einer Unabhängigkeit nicht zugestimmt hätte. Der überwältigende Teil der kosovo-albanischen Bevölkerung, aber auch westliche Diplomaten in Pristina sehen die endgültige Sezession von Belgrad jedoch als einzige Möglichkeit, eine weitere politische Destabilisierung zu verhindern.

Weil es den drei großen kosovo-albanischen Parteien in den vergangenen Jahren nicht gelang, eine unabhängig von den Vorgaben der internationalen Gemeinschaft formulierte Politik zu entwickeln, befürchten politische Beobachter weitere Unruhen – und Zulauf für extreme Kräfte, die die Unabhängigkeit gewaltsam durchsetzen wollen. Derek Chappell, Sprecher der UNO-Polizei, hatte schon am Freitag von einer Koordinierung der fast zeitgleich in über 20 Städten ausgebrochenen Krawalle gesprochen. Harri Holkeri sagte nach einem am Montagabend einberufenen Treffen mit NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer: »Ich bin mir sicher, dass viele Leute in hohen Positionen mehr wissen als sie sagen.«

Auch innerhalb der KFOR wird geprüft, ob Angehörige der Anfang 2001 erstmals aufgetauchten Albanischen Nationalarmee (AKSh) hinter den Anschlägen stehen. Deren erklärtes Ziel ist der Zusammenschluss aller albanischen Siedlungsgebiete auf dem Balkan. In Erscheinung getreten ist die Organisation – vom damaligen UNMIK-Chef Michael Steiner als »terroristisch« bezeichnet – bisher vor allem in Kosovo und Mazedonien. Da Ende 2003 mehrere Mitglieder des von der KFOR aufgebauten Kosovo-Schutzkorps (KPC) wegen möglicher Verwicklung in einen AKSh-Anschlag suspendiert wurden, werfen Kritiker der UNMIK vor, die Extremisten unkontrolliert agieren zu lassen.

Ob die internationale Gemeinschaft wirklich bereit ist, alles zum Schutz der Minderheiten in der Zweimillionenprovinz zu tun, lässt Holkeri bei seiner Stippvisite vor dem zerstörten Haus auch auf Nachfrage offen. »Wir müssen uns natürlich genau überlegen, wo wir jetzt stehen und was wir machen können.«

Aus: Neues Deutschland, 24. März 2004


S/PRST/2004/5

Sicherheitsrat, 18. März 2004

Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats

Auf der 4928. Sitzung des Sicherheitsrats am 18. März 2004 gab der Präsident des Sicherheitsrats im Zusammenhang mit der Behandlung des Punktes "Resolutionen des Sicherheitsrats 1160 (1998), 1199 (1998), 1203 (1998), 1239 (1999) und 1244 (1999)" im Namen des Rates die folgende Erklärung ab:

"Der Sicherheitsrat verurteilt nachdrücklich die massiven interethnischen Gewalttätigkeiten, die gestern im Kosovo (Serbien und Montenegro) begonnen haben und bei denen zahlreiche Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Er verurteilt außerdem nachdrücklich die Angriffe auf die Soldaten der Kosovo-Truppe (KFOR) sowie auf das Personal und die Standorte der Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK). Diese Gewalttätigkeit kann nicht hingenommen werden und muss sofort aufhören. Die Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden. Den Tätern muss klar sein, dass ein Angriff auf die internationale Präsenz ein Angriff auf die gesamte internationale Gemeinschaft ist und dass für Extremismus in der Zukunft des Kosovo kein Platz ist.

Der Sicherheitsrat fordert alle Volksgruppen im Kosovo, unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Verantwortlichkeiten, dazu auf, alle Gewalthandlungen einzustellen, eine weitere Eskalation zu vermeiden und die Ruhe wiederherzustellen. Der Rat legt den Parteien eindringlich nahe, von unverantwortlichen und aufhetzerischen Erklärungen und Anschuldigungen Abstand zu nehmen. Der Rat erklärt erneut, dass die Bevölkerung im Kosovo sich friedlicher und demokratischer Mittel bedienen muss und die anerkannten und rechtmäßigen Kanäle, namentlich die Vereinten Nationen und die Strukturen der vorläufigen Selbstverwaltungsinstitutionen im Kosovo, verwenden muss, um ihre Beschwerden zu re geln. Er betont, dass die Behörden im Kosovo gerichtliche Untersuchungen eingeleitet haben, namentlich in Bezug auf die Vo rfälle, bei denen ein kosovo-serbischer Jugendlicher in Pristina angeschossen und drei kosovo-albanische Kinder in Mitrovica getötet wurden, und verlangt, dass alle anderen Vorfä lle gründlich untersucht werden.

Der Sicherheitsrat beklagt die Todesfälle und Verletzungen, zu denen es Berichten zufolge unter der Bevölkerung im Kosovo gekommen ist, sowie die Opfer unter den Mitgliedern des Polizeidienstes des Kosovo, der internationalen Zivilpolizei der UNMIK und der KFOR-Truppen. Der Rat spricht den Angehörigen aller Opfer seine Anteilnahme aus.

Der Rat wiederholt, dass es dringend notwendig ist, dass die Behörden im Kosovo wirksame Maßnamen ergreifen, um die Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen, allen Volksgruppen angemessene Sicherheit zu gewährleisten und alle, die kriminelle Handlungen begangen haben, vor Gericht zu stellen. Die Errichtung einer multiethnischen, toleranten, demokratischen Gesellschaft in einem stabilen Kosovo bleibt das grundlegende Ziel der internationalen Gemeinschaft bei der Durchführung der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrats. Der Sicherheitsrat wird die Erfüllung der Ve rpflichtungen, die den Parteien nach dem Dokument 'Standards für das Kosovo' obliegen, genau überwachen.

Der Sicherheitsrat bekundet seine volle Unterstützung für die Bemühungen des Sonderbeauftragten des Generalsekretärs, der UNMIK und der KFOR und begrüßt es, dass die internationale Sicherheitspräsenz auch weiterhin die zusätzlichen Maßnahmen ergreift, die sie zur Stabilisierung der Lage im gesamten Kosovo für notwendig erachtet. Er fo rdert die vorläufigen Selbstverwaltungsinstitutionen im Kosovo, die Behörden in Belgrad und alle Beteiligten auf, uneingeschränkt zusammenzuarbeiten. Der Rat nimmt Kenntnis von der gemeinsamen Erklärung des Sonderbeauftragten, der vorläufigen Selbstverwaltungsinstitutionen im Kosovo, der politischen Führer und anderer Parteien vom 17. März 2004."

* Vorauskopie des Deutschen Übersetzungsdienstes, Vereinte Nationen, New York. Der endgültige amtliche Wortlaut der Übersetzung erscheint im Offiziellen Protokoll der Generalversammlung bzw. des Sicherheitsrats.

Quelle: Homepage der Vereinten Nationen (deutsche Ausgabe): www.uno.de




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