Die Kosovo-Saga
Das Jahr 2005 im Rückblick: Die Abspaltung der Provinz von Serbien geht Hand in Hand mit der Privatisierung der Bodenschätze
Von Jürgen Elsässer*
Der neueste Albanerwitz geht so: Eines wunderschönen Morgens in einem Kuhdorf irgendwo zwischen Pristina und Prizren wird Hodza von seiner Frau geweckt. »Stell dir vor, wir haben endlich Strom, die Heizung geht wieder, und draußen fährt gerade die Müllabfuhr vor!« Elektrisiert fährt Hodza hoch und schüttelt sein Weib. »Zum Teufel, mach schnell und hol mein Gewehr – die Serben sind zurück!«
Tatsächlich steht das Kosovo heute wirtschaftlich schlechter da als zu den Zeiten des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic. Seit Juni 1999, als die Serben nach elfwöchigem NATO-Bombardement aus der Provinz abziehen mußten und statt dessen die UN-Verwaltung UNMIK und die von den Westmächten geführte KFOR-Besatzungstruppe das Kommando übernahmen, sind Stromunterbrechungen zu einem beständigen Ärgernis für die Bevölkerung geworden. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent, einzig der Schmuggel von Rauschgift, Zwangsprostituierten und zollpflichtigen Waren blüht. Ein Dossier des Bundesnachrichtendienstes über die organisierte Kriminalität (OK) in der Provinz macht die Führung der Kosovoalbaner für diese Zustände verantwortlich. Schwer belastet werden insbesondere Ramush Haradinaj, der bis März Ministerpräsident in der Autonomieregierung war, der heutige Chef der Demokratischen Partei und frühere Anführer der Untergrundorganisation UCK, Hashim Thaci, sowie Xhavit Haliti, der im Präsidium des Parlaments sitzt. Wörtlich heißt es in dem als »VS-Vertraulich« gekennzeichneten Dokument des deutschen Geheimdienstes vom 22. Februar 2005: »Über die Key-Player (wie z. B. Haliti, Thaci, Haradinaj) bestehen engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden OK-Strukturen im Kosovo. (...) Sie haben keinerlei Interesse am Aufbau einer funktionierenden staatlichen Ordnung, durch die ihre florierenden Geschäfte beeinträchtigt werden können.«
Bestellte Expertisen
Trotz dieser eindeutigen Warnung fördert die westliche Politik die Abspaltung der Provinz von Serbien-Montenegro. Im Jahr 2005 jagte ein tendenziöser Expertenbericht den nächsten. Den Anfang machte im Januar eine Studie der International Crisis Group (ICG), wonach es zu einer Eigenstaatlichkeit des Kosovos »keine akzeptable Alternative« gebe. Die ICG wird unter anderem vom US-amerikanischen Multimilliardär George Soros finanziert.
Ende April legte eine von der EU eingesetzte Balkan-Kommission ihren Kosovo-Bericht vor. Darin empfehlen eine Reihe ehemaliger hochrangiger Politiker wie der frühere italienische Premier Guiliano Amato, Exbundespräsident Richard von Weizsäcker, der Schwede Carl Bildt und der Exaußenminister Serbien-Montenegros, Goran Svilanovic, einen Fahrplan zur staatlichen Unabhängigkeit der Provinz. Demnach soll das Kosovo in etwa zehn Jahren EU-Mitglied werden, ohne vorher die volle Unabhängigkeit erlangt zu haben. In einer ersten Phase gehe die UN-Verwaltungshoheit der Provinz auf die Europäische Union über (eingeschränkte Unabhängigkeit). In einer zweiten Phase gebe die EU-Administration immer mehr Kompetenzen an die lokalen Behörden ab. In einer dritten Phase begännen Beitrittsverhandlungen zwischen dem Kosovo und der EU (gelenkte Souveränität), an deren Abschluß schließlich die volle EU-Mitgliedschaft stehe. Der Belgrader Widerstand soll ausgehebelt werden, indem auch Serbien selbst (wie allen anderen Staaten des Westbalkans) die Mitgliedschaft in der EU angeboten wird.
Ende Mai 2005 legte der Leiter der UN-Verwaltung, Sören Jessen-Petersen, dem Sicherheitsrat seine Einschätzung der Lage in der Provinz dar. »Ein beträchtlicher Teil der wichtigsten (menschenrechtlichen) Standards wurde erreicht oder wird, sofern die Anstrengung und das Tempo der Umsetzung anhalten, im Laufe des Jahres 2005 erreicht werden«, heißt es darin. Eine schönfärberische Darstellung: Seit Juni 1999 wurden über 200000 Serben verjagt, 2500 wurden ermordet oder sind verschwunden. Zwischen 60000 und 100000 harren noch in der Provinz aus, viele von ihnen in abgeriegelten Ghettos. Von den allein 4100, die im Laufe eines mehrtägigen Pogroms im März 2004 ihre Dörfer verlassen mußten, konnten trotz Zusicherungen der UN-Verwaltung UNMIK bisher mehr als ein Drittel nicht zurückkehren, bilanzierte Amnesty International ein Jahr nach der Menschenjagd.
Auf der Grundlage des Jessen-Petersen-Papiers ernannte der Sicherheitsrat mit Karl Eide einen Sonderberichterstatter für das Kosovo. Er legte Anfang Oktober seinen Bericht vor. Eide plädiert darin für eine Änderung des gegenwärtigen Status der Provinz, spricht sich allerdings nicht explizit für eine Unabhängigkeit aus. Mehrfach erwähnt er allerdings Bosnien-Herzegowina als Modell – ein formal selbständiger Staat, der aber de facto von einem westlichen Gouverneur wie eine Kolonie beherrscht wird. Dieser von der UN abgesegnete »High Representative« kann anstelle des Parlamentes Gesetze erlassen, er darf Gerichtsurteile aufheben und Regierungsmitglieder feuern. Unabhängig von allen Statusfragen müsse – so Eide – die »weitere Präsenz« der NATO inklusive der US-Armee gewährleistet werden, allerdings bei heruntergefahrener Truppenstärke. Dafür solle dann die EU einspringen – auch das erinnert an Bosnien, wo die Europäer seit Dezember 2004 mit EUFOR den Kern der Besatzungsmacht bilden.
Seit Anfang November bereitet der Finne Martti Ahtisaari im Auftrag des UN-Generalsekretärs Kofi Annan die sogenannten Endstatusgespräche für das Kosovo vor. Erstmals wird es wohl im Januar direkte Treffen zwischen Regierungsvertretern aus Pristina und Belgrad geben. Den Kurs der aggressivsten westlichen Kräfte für diese Konferenzen gab – wieder einmal – die FAZ vor: »Unabhängtigkeit notfalls gegen Serbien und Rußland. Das Völkerrecht steht auf dem Amselfeld im Konflikt mit der Wirklichkeit« – so der Aufmacher einer Sonderdoppelseite Mitte Dezember.
Gangster gegen Gangster
Um den Grund des westlichen Drängens auf Eigenständigkeit der Provinz zu finden, muß man nicht sehr tief schürfen. Die Braunkohlereserven des Kosovo gelten mit einem nachgewiesenen Umfang von 8,3 Milliarden Tonnen – mindestens dieselbe Menge wird zusätzlich vermutet – als die größten in Europa. Außerdem wird in der Trepca-Mine in der Nähe von Mitrovica Kupfer gefördert. Das Vorkommen ist so ergiebig, daß es im Zweiten Weltkrieg direkt der Wehrmacht unterstellt wurde (der Rest des Kosovo wurde Großalbanien zugeschlagen); in den achtziger Jahren waren 20000 Arbeiter in Trepca beschäftigt. Last not least gibt es Hinweise auf nennenswerte Lagerstätten von Gold (ebenfalls in Trepca) und von Chrom (an der Grenze zu Albanien). Die meisten dieser Reichtümer waren von der jugoslawischen Teilrepublik Serbien erschlossen worden: Seit 1970 wurden mit 15 Milliarden Euro Steuergeldern Kombinate und Infrastruktur im Kosovo hochgezogen.
In einer der größten Enteignungsaktionen der Geschichte wechseln diese Filetstücke jetzt die Besitzer. Am 21. Januar 2005 hat Jessen-Petersen die Bodenschätze in der Provinz für internationale Investoren ausgeschrieben. Durch die Vergabe von Abbaulizenzen rechnet die UNMIK mit Einnahmen von 13 Milliarden Euro. Bis Ende November 2005 wurden davon 100 Millionen Euro realisiert – ein Jahr zuvor waren es gerade 16 Millionen Euro gewesen. Die lukrativen Verkäufe seien der »Zeugungsakt eines Staates«, jubelt die Presse in Pristina.
Für die Privatisierung zuständig ist Joachim Rücker, langjähriger Oberbürgermeister von Sindelfingen. Sein bisher größter Erfolg war der Verkauf des Nickelwerkes Ferronikeli vor einigen Wochen. Dabei machte der Deutsche von seinen Eingriffsrechten rigoros Gebrauch: Eigentlich hatte die amerikanisch-albanische Firma Adi Nikel das frühere Kombinat für 50 Millionen Euro ersteigert. Aber Rücker kassierte den Abschluß und gab dem Zweitplazierten, der britischen Alferon von International Mineral Ressources, für 33 Millionen den Zuschlag. Der begründete Verdacht: Adi Nikel ist eine Briefkastenfirma der UCK-Mafia und wäscht Schwarzgeld. Der neue Besitzer hat diese Phase der räuberischen Akkumulation schon einige Zeit hinter sich.
* Aus: junge Welt, 21. Dezember 2005
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