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Abdoulaye Wade mit Rückzieher

Senegals Präsident verwirft Verfassungsänderung nach Protesten

Von Claus-Dieter König, Dakar *

Auf Grund der landesweiten Demonstrationen nicht nur in Dakar, sondern in allen größeren Städten Senegals, zog Präsident Abdoulaye Wade eine Gesetzesinitiative zurück, mit der er seine Macht ausbauen wollte.

»Nennen sie den heutigen Tag den Weißen Donnerstag, oder wenn Sie wollen, den Roten Donnerstag. Er ist ein Wendepunkt in der Geschichte Senegals« sagte Aïssata Tall Sall am Donnerstagabend (23. Juni) in der Sondersendung des Fernsehens mit heiserer Stimme. Die Sprecherin der größten Oppositionspartei, der Sozialistischen Partei (PS), hatte seit Sonnenaufgang am Platz vor der Nationalversammlung gegen eine Verfassungsänderung demonstriert, die Präsident Abdoulaye Wade im Schnellverfahren binnen einer Woche durch das Parlament boxen wollte – acht Monate vor den Präsidentschaftswahlen. Nun gab Wade klein bei und zog die Gesetzesvorlage zurück. Geändert werden sollte das Verfahren für die Präsidentschaftswahlen. Der Staatschef sollte zusammen mit einem Vizepräsidenten gewählt werden, der im Falle des Rücktritts oder Todes des Präsidenten das Amt übernehmen würde. Bisher sieht die Verfassung Neuwahlen innerhalb von drei Monaten vor.

Präsident und Kandidat Wade ist mindestens 85 Jahre alt. Viele behaupten, er sei noch älter. Seine Gesundheit ist fragil. Sein wichtigster politischer Wille ist es, seinen unpopulären Sohn Karim zum Nachfolger zu machen. Karim hätte bei Wahlen keine Chance, so dass sein Vater wiedergewählt werden will, um dann während der Amtszeit den Sessel für seinen Sohn zu räumen.

Volkes Zorn entlud sich an einem weiteren Artikel der geplanten Verfassungsänderung. Zu einem zweiten Wahlgang sollte ein Kandidat nur zugelassen werden, wenn er im ersten Wahlgang 25 Prozent der Stimmen erreicht hat. Kann nur ein Kandidat dieses Quorum aufweisen, ist er im ersten Wahlgang gewählt.

In Senegal hat ein amtierender Präsident im ersten Wahlgang nie weniger als 40 Prozent der Stimmen erhalten, auch Abdou Diouf 2000 nicht, als Wade ihn, an zweiter Position liegend, in der Stichwahl besiegte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kandidat Wade im ersten Wahlgang mehr als ein Viertel der Stimmen erhalten kann, die absolute Mehrheit aber verfehlt. Zudem ist damit zu rechnen, dass außer Wade kein anderer Kandidat die 25 Prozent in der ersten Runde erreicht.

Die Opposition ist zwar größtenteils im Bündnis »Bennoo Siggil Senegaal« organisiert und will einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schicken. Es ist aber fast sicher, dass populäre Oppositionspolitiker wie der Ex-Premierminister Macky Sall auch neben einem Kandidaten, der im Bündnis die Mehrheit gefunden hat, kandidieren werden.

Unterm Strich hätte die Verfassungsänderung also fast alle Probleme des Kandidaten Wade gelöst. Es bliebe nur noch offen, ob er überhaupt für ein drittes Mandat kandidieren darf. Denn die Verfassung schließt das eigentlich aus. Im September wird der Verfassungsrat diese Frage entscheiden. Seine fünf Mitglieder wurden allerdings alle von Wade selbst nominiert, so dass eine Entscheidung für die Kandidatur – darauf basierend, dass die geltende Verfassung erst während Wades erster Amtszeit in Kraft trat – als wahrscheinlich gilt.

Wäre die Verfassungsänderung durchgegangen, hätte Wade die Wahl faktisch schon gewonnen, urteilen ausländische Beobachter nahezu einstimmig. Jetzt könnte er alles verloren haben. »Wir müssen weiter demonstrieren, bis Wade zurücktritt«, sagt Prof. Maguèye Kassé, Mitglied des Politbüros der Partei der Unabhängigkeit und der Arbeit (PIT). Etwas weniger direkt, aber offensichtlich deutlich genug, sagte dies auch Aïssata Tall Sall in der Fernsehdiskussion.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2011


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