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Frauen sollen Frieden bringen

Diallo Fatou Gueye über Sozialarbeit im konfliktreichen Süden Senegals

Diallo Fatou Gueye ist pädagogische Mitarbeiterin von USOFORAL, einer Frauenorganisation in der konfliktreichen Casamance im Süden Senegals. Dort wird seit 1982 für die Unabhängigkeit gekämpft, seit 2004 besteht ein brüchiger Waffenstillstand. USOFORAL bemüht sich mit Unterstützung des Weltfriedensdienstes (WFD) um gewaltfreie Problemtransformation oder -lösung. Mit der 58-Jährigen sprach im Rahmen der Solidaritätsaktion 2009/10 für das "Neue Deutschland" (ND) die Ethnologin Julia Ziegler, die als WFD-Fachkraft im senegalesischen Ziguinchor arbeitet.



ND: Was machen Sie, um Ihren Lebensunterhalt zu sichern?

Guyey: Ich arbeite für die Frauenorganisation USOFORAL, die sich für Frieden in der Casamance einsetzt und die vom Weltfriedensdienst unterstützt wird. Ich bin für die Trainings verantwortlich. Wir führen zum Beispiel in unseren Projektgebieten mit der ländlichen Bevölkerung Weiterbildungen zu Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung durch. So werden sie in die Lage versetzt, alle Arten von Konflikten, die in ihrer Umgebung entstehen können, selbst zu regeln.

Sie haben früher als Lehrerin am Gymnasium Djinabo in Ziguinchor gearbeitet. Hat sich Ihr Leben durch die Arbeit für USOFORAL verändert?

In der Tat, denn jetzt lebe ich ganz für meine Arbeit, die mir zur Leidenschaft geworden ist. Heute bin ich ständig in Kontakt mit den Menschen an der Basis. Als Lehrerinnen unterstützen wir zunächst beispielsweise den Zusammenschluss von Frauengruppen, die gemeinsam wirtschaftliche Aktivitäten entwickeln oder sich zu Gesundheitsthemen austauschen. Mit Hilfe der Frauen wollten wir indirekt auch den Kindern Perspektiven eröffnen. Daraus ist schließlich eine Reflexionsgruppe zur Rolle der Frauen im Casamancekonflikt entstanden. Denn bei den Diola und Manding (in der Casamance gibt es daneben zahlreiche andere ethnische Gruppierungen - d. Red.) hatten die Frauen traditionell die Möglichkeit, sich zwischen bewaffnete Gegner zu stellen. Ihrer Aufforderung, die Waffen niederzulegen, mussten die Männer Folge leisten. Aber just im Casamancekonflikt haben die Frauen nicht reagiert. Wir haben uns also gefragt, ob sie eine aktive Rolle darin spielen oder ob sie sich des Ausmaßes dieses Konflikts nicht bewusst sind: Seit 1996 wurde die Region von den Kriegsparteien sogar vermint, was schlimme Folgen hatte und hat. 1998 haben die Schwierigkeiten zugenommen, darum haben wir die Reflexionsgruppe initiiert, um zu sehen, wie wir die Frauen einbeziehen können in unsere Suche nach Frieden.

Hat diese Arbeit Ihre Sicht der Zukunft beeinflusst? Der Zukunft der Casamance oder der Zukunft im Allgemeinen?

Ja, sie hat unsere Vision deutlich gestärkt, eine Vision, die ich nun mit vielen Menschen teile, eine Vision der Zukunft, die wir uns für die Casamance wünschen, in der Gleichberechtigung selbstverständlich ist. Eine Gesellschaft, in der die Frauen sich in den Friedensprozess einbringen, aber auch Visionen von ihrer Rolle als Staatsbürgerinnen haben. Die das Schicksal dieser Region in die Hand nehmen und sich dabei auch für andere Bereiche der Entwicklung engagieren, die ihr Staatsbürgersein hervorheben. Das macht für uns eine Gesellschaft der Gleichberechtigung aus, eine Gesellschaft, in der die Frauen stark sind und ihre Belange wirklich respektiert und umgesetzt werden. Das große Ziel ist die Vernetzung zwischen all diesen Frauenorganisationen in ländlichen Gemeinden, so dass sie in der Lage sind, eine Frauenbewegung in der Casamance zu initiieren.

Wovon träumen Sie?

Mein Traum ist, dass die Frauen in fünf, zehn Jahren auch ohne unsere Unterstützung stark sind. Sie sind ausgebildet, ihre Anliegen selber zu vertreten, in Lobbying und konstruktiver Konfliktbearbeitung, so dass sie für sich und ihre Gemeinden die Dinge in die Hand nehmen. Wenn wir da hinkommen, dann kann ich es mir erlauben, mich auszuruhen. Dann kann ich meinen Enkeln mit Recht sagen, dass man in seinem Lebensumfeld nichts vollbringen kann, wenn man nur für sich und seine Familie arbeitet. Dass man für die Gesellschaft als ganze arbeiten muss, nützlich sein in ihr. Diese Art, von sich zur Ruhe zu setzen, wenn ich dahin komme, bin ich sehr glücklich.

Darf ich fragen, mit wem Sie diese Ideale teilen?

Mit der Koordinatorin von Usoforal, Seynabou Male, weil wir uns nicht erst seit Kurzem zusammengetan haben. Wir haben lange miteinander in der Linken gekämpft. Es ist dieses Verständnis von Gesellschaft, das wir noch immer versuchen zu realisieren. Es gibt auch noch eine Reihe anderer Frauen, mit denen wir diese Ideale teilen.

Welche Bedeutung hat Ihr Alter für die Arbeit?

Älter werden heißt auch weiser werden, Abstand nehmen können und von seiner Kindheit bis heute anschauen, welche Möglichkeiten man genutzt hat, was man vollbracht hat, was ist positiv und was negativ. Was muss und kann korrigiert werden, um der jungen Generation etwas zu hinterlassen? Denn was wir tun, ist sicherlich nicht abgeschlossen und wird nie abgeschlossen sein. Die folgenden Generationen können es weiterentwickeln, korrigieren und verbessern. Unsere Sorge heute ist, an wen unsere Arbeit übergeben? Wie diejenigen vorbereiten, an die wir unsere Arbeit eines Tages übergeben werden? Wie die Kontinuität all dessen, was wir eingebracht haben, gewährleisten? Aber trotzdem gibt es ein bisschen Hoffnung, weil es auch junge Menschen gibt, die sich engagieren

Wie sieht die Jugend das Altsein und ihre Rolle gegenüber älteren Menschen?

So, wie die Dinge gerade sind, fürchte ich, dass junge Menschen sich nicht in gleicher Weise um ihre Eltern kümmern werden, wie diese es für ihre Eltern getan haben. Weil heute auch die Lebensbedingungen schwierig sind. Auch in kultureller Hinsicht sind ältere Menschen bei uns enorm wichtig. Man ist oft auf ihre Erfahrungen angewiesen. Vielleicht werden die jungen Leute deshalb weiterhin für die älteren sorgen. Weil sie diese älteren Menschen ab und zu brauchen, um sich zu regenerieren.

Sie sind Muslima und haben einen starken Glauben. Wirkt sich Ihre Religion auf Ihre Vorstellung vom Alter aus?

Ja das ist der Fall. In meiner Religion muss man sich auch über die Zukunft jenseits des Lebens Gedanken machen. Ich muss mich in meiner Gesellschaft einbringen und für ihre Entwicklung arbeiten, als ob ich ewig leben würde, aber ich muss mich auch vorbereiten und mir sagen, dass dieses Leben auf Erden jeden Moment zu Ende sein kann und dass ich diese Reise vorbereiten muss. Diese beiden Gedanken muss ich als Muslima verbinden.

Und wenn wir ein bisschen im Raum reisen, nicht nur in der Zeit - haben Sie selbst eine Frage, die Sie zu den Verhältnissen in Europa stellen würden?

Oft sehen wir im Fernsehen Altersheime, in die Greise von ihren Kindern eingeliefert werden, wahrscheinlich, weil die Jungen nicht immer die Alten in ihre Familie aufnehmen können, weil sie zu beschäftigt sind. Ich weiß nicht, ich finde das irgendwie undankbar von diesen Menschen. Schließlich haben sich ihre Eltern um sie gekümmert, als sie Kinder waren. Werden alte Menschen in Europa wirklich so wahrgenommen oder ist es nur eine bestimmte Schicht der europäischen Gesellschaft, die so mit den alternden Eltern umgeht? Oder gibt es auch andere, die nach wie vor mit ihren Eltern zusammenleben, auch wenn sie in fortgeschrittenem Alter sind, die diese akzeptieren, sich mit ihnen austauschen, um von ihren Erfahrungen zu profitieren?

* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2009


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