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Regierungswechsel in Schweden: Ab durch die Mitte

Schweden bekommt Minderheitsregierung. Sozialdemokrat Stefan Löfven präsentierte in Stockholm sein Kabinett. Stockholm anerkennt Palästina als Staat, Tel Aviv reagiert brüskiert

Von Peter Steiniger *

Der ehemalige Schweißer Stefan Löfven hat einen Auftrag pünktlich ausgeführt. Der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei den Wahlen zum schwedischen Reichstag vom 14. September wurde am vergangenen Freitag, dem letzten Tag der vorgeschriebenen Frist, in Stockholm zum neuen Ministerpräsidenten bestimmt. Die Abgeordneten der abgewählten bürgerlichen Vier-Parteien-»Allianz für Schweden« enthielten sich ebenso wie die der Linkspartei (Vänsterpartiet). Die rechtsradikalen fremdenfeindlichen »Schwedendemokraten« konnten somit auf den Ausgang dieser Abstimmung keinen Einfluss nehmen. Mit dem Wechsel endete die Ära von Fredrik Reinfeldt, der seit 2006 in Stockholm regierte. In seiner Antrittsrede am Freitag im Parlament kündigte Schwedens neuer Ministerpräsident an, dass sein Land Palästina formell anerkennen werde. Damit solle eine Zweistaatenlösung unterstützt werden. Die israelische Regierung reagierte auf die Ankündigung mit scharfem Protest, Israels Außenminister Avigdor Lieberman warf Löfven Unkenntnis des Nahostkonflikts vor. Für den heutigen Montag wurde Schwedens Botschafter in Tel Aviv, Carl Magnus Nesser, ins israelische Außenamt einbestellt.

Am Sonnabend präsentierte Löfven seine neue Regierungsmannschaft. Zusammengebracht hat er eine Koalition mit der Umweltpartei (MP). Es ist eine wacklige Konstruktion. Die beiden Partner verfügen über relativ wenig Hinterland in der Wählerschaft des größten skandinavischen Staates. Lövfens Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SAP) konnte sich zwar mit leichten Zugewinnen und 31,2 Prozent als stärkste politische Kraft behaupten. Sechs der 24 Ministerposten gehen an die Grünen, darunter das Umweltressort, das Asa Romson führen wird, die zugleich Löfvens Stellvertreterin ist. Die Hälfte des Kabinetts besetzen Frauen. Die frühere Sozialministerin und EU-Kommissarin Margot Wallström wird neue schwedische Außenministerin. Sie tritt die Nachfolge von Carl Bildt an.

Die neue Minderheitsregierung hängt an einem äußerst dünnen Faden. Die vier Parteien der bürgerlichen Opposition haben im Reichstag mehr Mandate als Sozialdemokraten und Grüne, die zusammen nur auf 138 im 349 Sitze zählenden schwedischen Parlament kommen. Um ihren Haushalt durchzubringen, benötigen sie die 21 Stimmen der Linkspartei – oder eine Übereinkunft mit Konservativen und Liberalen. Die mit 12,9 Prozent zur drittstärksten Kraft aufgestiegenen Schwedendemokraten könnten mit ihren 49 Abgeordneten Vorlagen der Opposition unterstützen und so Löfven einen Strich durch die Rechnung machen. Ein Scheitern des Budgets würde sehr wahrscheinlich Neuwahlen nach sich ziehen. Ob die sozialdemokratischen Parteitaktiker diese Möglichkeit bewusst mit einkalkulieren, ist eine nicht ganz abwegige Spekulation. Schwedens neuer Premier Löfven steht erst seit zwei Jahren an der Spitze der Sozialdemokraten. Davor leitete er die große IF-Metall-Gewerkschaft.

In den Verhandlungen zur Regierungsbildung ließ sich eine deutliche Drift in die politische Mitte ausmachen. Der Einladung der Sozialdemokraten ins Kabinett vorläufig nicht gefolgt sind Liberale und Zentrumspartei. Die von Löfven angekündigte »blockübergreifende Zusammenarbeit« dürfte in der Praxis für eine Schaukelpolitik stehen, bei der die Bürgerlichen häufig mit im Boot sitzen. Diese haben bereits angekündigt, die neue Regierung von Fall zu Fall unterstützen zu wollen. Auch Schwedens Grüne rüsten nun mit. Ihre Ministerposten erhalten sie im Tausch gegen die Zustimmung zu einem höheren Wehretat und zur Anschaffung neuer U-Boote und JAS-Kampfflugzeuge. Regeln zum Waffenexport sollen hingegen verschärft werden. Früher geschlossene Übereinkommen mit den Rechtsparteien in der Rentenfrage und zur Einwanderungspolitik bleiben in Kraft. Mit einer Beschleunigung des Atomausstiegs ist nicht zu rechnen. Die von der Umweltpartei geforderte Abschaltung zweier Reaktoren fällt aus. Eine Kommission soll den Verzicht auf die Kernkraftnutzung in absehbarer Zeit planen, der nicht zu Lasten von Arbeitsplätzen und Energieversorgung gehen soll. Von grüner Politik bleibt nicht viel mehr übrig als Ökorhetorik im Koalitionsvertrag.

Kräftig verschaukelt fühlen sich die schwedischen Linken. Mit einem Ergebnis von 5,7 Prozent stagnierte Vänster und blieb sowohl hinter den Prognosen als auch den eigenen Erwartungen zurück. Statt, wie erhofft, mit auf die Reise genommen zu werden, schlug ihnen Löfven die Tür zum Kabinett vor der Nase zu. Auch gesenkte Preise halfen nicht: Ihre zentrale Forderung nach einem Verbot der Profitorientierung im sozialen Sektor milderte die Linke nach der Wahl ab. Als Gratisstütze des Löfven-Regierung möchte Vänster dennoch nicht dienen. Für Budgetgespräche mit Sozialdemokraten und Grünen machte Linke-Parteivorsitzender Jonas Sjöstedt erkennbare Schritte gegen die »Jagd auf Gewinne in der Wohlfahrt« zur Voraussetzung.

* Aus: junge Welt, Montag, 6. Oktober 2014


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