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Reinfeldt sucht nach Partnern

Konservatives Bündnis gewann "Schicksalswahl" in Schweden

Von Gregor Putensen *

Zeitgleich fanden am Sonntag in Schweden Wahlen zum Reichstag und zu den Provinz- und Kommunalparlamenten statt. Während der bisherige Premier Reinfeldt mit seiner bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition als Sieger aus der Abstimmung hervorging, ist die Stimmauszählung in den Regionen noch nicht abgeschlossen.

Die Wahlbeteiligung für den Reichstag lag bei etwa 84 Prozent und trug der von allen Seiten beschworenen »Schicksalhaftigkeit« Rechnung. Die Meinungsumfragen vor den Wahlen hatten sich als ziemlich präzis erwiesen – allerdings auch hinsichtlich der Möglichkeit, dass keiner der beiden Wahlblöcke eine absolute Mehrheit erreicht. So brachte der Wahlabend zwar einen Sieg der bürgerlichen Vier-Parteien-Koalition über das rot-rot-grüne Bündnis von Sozialdemokratischer Arbeiterpartei mit der Linkspartei und der grünen Umweltpartei. Der ungefähr vierprozentige Vorsprung der von der großbürgerlichen Moderaten Sammlungspartei geführten bisherigen Regierungskoalition reichte allerdings nicht zu einer eigenen absoluten Mehrheit im Reichstag, da die neofaschistischen Schwedendemokraten mit 5,7 Prozent erstmals in das Stockholmer Parlament einzogen.

Der von der Allianz bürgerlicher Parteien erreichte Stimmenanteil von etwas mehr als 48 Prozent lässt lediglich die Bildung einer Minderheitsregierung zu, was in der politischen Geschichte Schwedens allerdings kaum etwas Neues darstellen würde. Beide Parteienbündnisse – sowohl die Vertreter der rot-rot-grünen Opposition als auch der Regierungskoalition – beeilten sich noch am Abend der Stimmauszählung mit der Versicherung, jegliche Zusammenarbeit mit den Neonazis zu verweigern, die nach Zahl der Parlamentsmandate (157 Rot-Rot-Grün, 172 Regierungsallianz, 20 Schwedendemokraten) die Rolle des Zünglein an der Waage spielen könnten.

Schaut man sich die Wahlergebnisse an, so bestätigt sich auch für Schweden ein in der gesamten EU bestehender Rechtstrend, der sich nicht nur im alarmierenden Einfluss neofaschistisch-nationalistischer Parteien, sondern auch im erheblich gewachsenen Wählerzuspruch für rechtskonservative Parteien manifestiert. Der Stimmenzuwachs für die Moderate Sammlungspartei unter Führung des bisherigen Ministerpräsidenten Fredrik Reinfeldt von 3,8 Prozent auf 30 Prozent bei gleichzeitigem Rückgang der übrigen drei bürgerlichen Allianzparteien (Volkspartei, Zentrumspartei, Christdemokraten) wird von dem für die schwedische Sozialdemokratie seit rund 100 Jahren schlechtesten Wahlergebnis flankiert: Sie verloren fast 4,5 Prozent und behaupteten nur noch mit 30,9 Prozent äußerst knapp ihren Platz als stärkste Einzelpartei des Landes.

Gemessen an den Abstimmungen der 80er und 90er Jahre, die stets einen Stimmenanteil von etwa 40 bis 45 Prozent brachten, sind die letzten Wahlen für die Sozialdemokraten ein katastrophaler Einbruch. Dieser Abstieg macht das unverkennbare Ende der jahrzehntelangen wohlfahrtsstaatlich-sozialdemokratischen Prägung Schwedens deutlich. Enttäuschend sind auch die bescheidenen 5,6 Prozent der Linkspartei (mit 0,3 Prozent Stimmverlusten). Nur die Grünen konnten einen Stimmenzuwachs verbuchen – um zwei Prozent auf 7,2 Punkte.

Im Mittelpunkt des Wahlkampfes standen Probleme wie die relativ hohe Arbeitslosigkeit, ein sich zunehmend differenzierendes und privatisiertes Schulwesen, ein immer stärker profitorientiertes Gesundheits-, Pflege- und Krankenversicherungswesen sowie die Frage, ob eher individuelle Steuern gesenkt oder allgemeine Wohlfahrtsstrukturen ausgebaut werden sollen. Die Klimakrise und die Außenpolitik des Landes spielten keine größere Rolle.

Dagegen erhielt die Reduzierung von Politik auf Personen gegenüber sachorientierter Auseinandersetzungen ein unverhältnismäßig großes Gewicht. Dies zeigte sich insbesondere in den Medien, vor allem in den Printmedien (etwa 80 Prozent gehören zur bürgerlichen Monopolpresse). Der Ministerpräsident und Chef der Moderaten Partei Reinfeldt scheute sich nicht, seine Partei als die wahre Partei der Arbeitnehmer zu proklamieren, während einflussreiche Medien ihn daraufhin eilfertig zum neuen Arbeiterführer hochstilisierten. Der sozialdemokratischen Oppositionsführerin Mona Sahlin blies in der Medienlandschaft scharfer Gegenwind ins Gesicht, vor allem mit der wenig objektiven Unterstellung mangelnder Führungsschwäche.

Alle Führungen der bisher im Reichstag vertretenen Parteien zeigten sich ziemlich ratlos angesichts der neuen parlamentarischen Konstellation. Die bürgerlichen Allianzparteien wollen weiter regieren. Der bisherige Regierungschef Reinfeldt machte noch am Wahlabend den Grünen eine Offerte zur Zusammenarbeit, um so doch noch eine Parlamentsmehrheit zu erreichen. Hier spekuliert er nicht ganz ohne Grund, da sich im Vorfeld des Wahltages eine Reihe von Distriktsleitungen der Grünen für eine solche Option ausgesprochen hatten, falls den Schwedendemokraten eine entscheidende Rolle zufallen sollte.

Die beiden Sprecher der Grünenführung reagierten hierauf vorerst ablehnend. Trotzdem bleiben generell viele Fragen für das Oppositionsbündnis offen: Wird das rot-rot-grüne Bündnis überhaupt weiter bestehen? Bleibt Mona Sahlin Vorsitzende der Arbeiterpartei? Und nicht zuletzt: Wird die Linkspartei weiterhin an dem Bündnis Interesse haben, nachdem sie trotz erheblicher Kompromisse zugunsten dieses Projektes deutlich hat Federn lassen müssen?

* Aus: Neues Deutschland, 21. September 2010


Gefahr von rechtsaußen

Schweden: Offene Rassisten erstmals im Reichstag. Konservative regieren weiter. Linkspartei mit leichten Verlusten

Von Edeltraut Felfe **


Die bürgerliche Regierungskoalition wird Schweden weiter regieren. Allerdings erreichten die vier daran beteiligten Parteien bei den Wahlen am Sonntag keine absolute Mehrheit: Trotz des deutlichen Stimmenzuwachses für die konservative »Moderate Sammlungspartei« (MS) auf 30 Prozent sorgten die Verluste ihrer Koalitionspartner dafür, daß sie im Stockholmer Parlament zukünftig über 172 der 349 Sitze verfügen (bisher: 178). Zusammen erreichten sie bei einer Beteiligung von 82 Prozent der 7,1 Millionen Stimmberechtigten zusammen 49,3 Prozent der Stimmen gegenüber 43,6 Prozent (157 Sitze) für das Oppositionsbündnis von Sozialdemokraten (SAP, 30,8 Prozent), Grünen (7,2) und Linkspartei (5,6). Sie verlor 0,3 Prozent gegenüber 2006.

Für eine bittere Komponente sorgte zudem das Abschneiden der fremdenfeindlichen, rassistischen, mit neonazistischen Kräften verbundenen Partei der Schwedendemokraten. Diese überwanden die Vierprozenthürde und zogen erstmals mit 20 Mandaten (5,7 Prozent) in den Reichstag ein.

Während die MS ihr bestes Ergebnis seit Bestehen des allgemeinen Wahlrechts einfahren konnten, sind die Sozialdemokraten auf ihrem tiefsten Punkt angekommen. Sie verloren noch einmal 4,2 Prozent. Seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hatte sich angedeutet, daß zu Zeiten wirtschaftlicher Krisenprozesse und einer weltweiten neoliberalen Offensive auch der von der SAP jahrzehntelang geprägte Reformkapitalismus zurückgedrängt wurde. In ihren letzten drei Regierungsperioden bis 2006 gab die SAP mit Deregulierungen, Privatisierungen, mit der »Flexibilisierung des Arbeitsmarktes« sowie Steuersenkungen für Unternehmen frühere Positionen preis. Viele traditionell SAP-Wähler aus dem Gewerkschaftsbereich wandten sich folglich ab. Am Sonntag erreichte sie unter der Arbeiterschaft noch etwa 51 Prozent der Stimmen.

Zuvor hatte sich die konservative MS als »neue Arbeiterpartei« und »Fortsetzerin des Wohlfahrtslandes« ausgegeben. Sie nutzte den aktuellen Konjunkturaufschwung ebenso wie ihre ökonomische und mediale Übermacht. Weit über die Stimmen der betuchteren Kreise der Gesellschaft hinaus erreichte sie auch die Klientel der »Leistungsträger« und erwerbstätigen Lohnabhängigen.

Mit dem Einzug einer ausländerfeindlichen Partei ins Parlament verfestigt sich eine »europäische Normalität« von Italien über Frankreich und die Niederland bis nach Dänemark auch in Schweden. Ersten Verlautbarungen zufolge will sich Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt (MS) allerdings nicht von den Schwedendemokraten abhängig machen. Er richtete am Sonntag abend Offerten für eine Zusammenarbeit an die Grünen als fünfter Regierungspartnerin. Diese lehnten zunächst ab, signalisierten indes »grundsätzliche Gesprächsbereitschaft«. Möglich wäre auch eine bürgerliche Minderheitenkoalition, die von Fall zu Fall mit anderen Parteien zusammenarbeitet.

Welche Schlußfolgerungen die Sozialdemokratie aus ihrer schweren Niederlage ziehen wird, bleibt abzuwarten. Die im rosa-rot-grünen Bündnis agierende Linkspartei konnte trotz antikommunistischer Propaganda und Verleumdung ihr Ergebnis von vor vier Jahren nahezu halten. Sie erklärte, innerhalb des Oppositionsbündnisses mit aller Kraft gegen den zunehmenden Einfluß von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus kämpfen zu wollen.

** Aus: junge Welt, 21. September 2010


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