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Nach 26 Jahren - neue Spur im Mordfall Palme

Die kürzlich verstorbene Tetrapack-Erbin Eva Rausing will den Mörder des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme gekannt haben

Von André Anwar, Stockholm *

Die Tetrapack-Erbin Eva Rausing, die vor einigen Wochen unter mysteriösen Umständen umgekommen ist, will gewusst haben, wer vor zwei Jahrzehnten den schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme umgebracht hat und wo die Pistole steckt.

Es scheint, als gäbe es im Mordfall Olof Palme eine neue Spur. Die Ermordung des ehemaligen schwedischen Ministerpräsidenten im Jahr 1986 konnte trotz mannigfacher Spuren, die von der CIA über Südafrikas Apartheidsregime bis zum Stockholmer Polizeichor reichten, nie gelöst werden. Eva Rausing, die kürzlich unter sonderbaren Umständen in London verstorbene Ehefrau des schwedischstämmigen Tetrapak-Erben Hans Kristian Rausing, hat vor ihrem Tod E-Mails an den schwedischen Autor und Palme-Experten Gunnar Wall geschrieben. In denen macht sie einen schwedischen Großunternehmer für den Mord an Palme verantwortlich. Die bis heute im Einsatz befindliche Palme-Mordkommission bestätigte der schwedischen Presse, dass nun zu dem Material ermittelt werde. Man habe vor, Hans Kristian Rausing zu befragen, um herauszufinden, ob sich die Behauptungen seiner Frau bestätigen lassen.

Die schwedische Tageszeitung »Dagens Nyheter« veröffentlichte jedoch ausgesuchte Teile aus Eva Rausings Korrespondenz mit dem bekannten Autor Gunnar Wall aus dem Sommer 2011. Rausing nahm damals Kontakt mit Wall auf und schrieb ihm in ihrer ersten E-Mail als Überschrift: »Ich weiß, wer Olof Palme ermordet hat«. Dann folgen die Worte: »Mein Name ist Eva Rausing. Ich bin mit Hans K. Rausing verheiratet und habe vor Kurzem von meinem Ehemann, mit dem ich 20 Jahre lang verheiratet war, erfahren, dass XX hinter dem Mord an Olof Palme steckt«, zitiert »Dagens Nyheter«, ohne den Namen des Beschuldigten zu offenbaren. »Mein Ehemann hat das vor vielen Jahren durch einen Zufall entdeckt. Dieses Wissen hat ihm seither zugesetzt«, schreibt Rausing an den Autoren und fügt an, dass sie auch glaube zu wissen, wo sich die bis heute spurlos verschwundene Mordwaffe befinde. Das Mordmotiv ist laut Rausings Beschreibung ein ökonomisches gewesen. »XX befürchtete, dass Palme eine Bedrohung für sein Unternehmen darstellt.«

Dass Beschuldigungen in diese Richtung ausgerechnet von einer der reichsten Familien der Welt mit entsprechenden Kontakten in die höchsten Wirtschaftskreise kommen, sorgt dieser Tage in Schweden für Aufsehen. Zwar nennt Rausing in den zwölf E-Mails keine konkreten Beweise. Doch die Stringenz, mit der sie den Namen des Mordauftraggebers und dessen Motive preisgibt, seien eindeutiger Ausdruck dafür, dass Rausing völlig von dem überzeugt war, was sie schrieb, wertet ein Kommentator der »Dagens Nyheter«, der das Material gelesen hat.

Noch in ihrer Korrespondenz schrieb die Milliardärin immer wieder, dass sie um ihr Leben fürchte. »Ich habe Angst vor XX, er ist kein guter Mensch, aber ich würde niemals so etwas erzählen, wenn es nicht wahr wäre«, schrieb Rausing und bat Wall, halb im Spaß, im Falle ihres Ablebens die Staatsanwaltschaft zu informieren. Die Leiche der 48-jährigen Rausing wurde am 9. Juli 2012 in ihrer Londoner Villa gefunden. Da war sie schon 48 Tage lang tot. Ihr Mann hatte den Leichnam seiner Ehefrau einfach in eines der vielen Zimmer gelegt und die Türen mit Isolierband vor dem Leichengestank abgedichtet. Die Todesursache ist nicht völlig geklärt. Laut Rechtsmedizinern hatte sie kurz vor ihrem Tod Drogen, unter anderem Kokain, genommen. Sowohl sie als auch ihr Mann hatten bereits zuvor Drogenprobleme. Die beiden begegneten sich vor über 20 Jahren in einer Entzugsklinik für junge Reiche. Hans Rausing wurde Anfang August zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er die ordnungsgemäße Beerdigung seiner Frau verhindert hatte. Als mildernde Umstände erkannte das Gericht an, dass der Milliardär durch eigenen Drogenmissbrauch nicht in der Lage war, rationale Beschlüsse zu fassen.

Wall sagte der britischen Zeitung »Guardian«, Rausing habe ihm zuletzt mitgeteilt, dass sie Staatsanwälte in Schweden informieren wollte. Die bürgerliche Boulevardzeitung »Expressen« berichtet hingegen, dass Rausing bereits 2010 schwedische Ermittler kontaktiert haben soll. Damals sei sie von der schwedischen Polizei als unglaubwürdig eingestuft worden.

Palme, Ministerpräsident von 1969 bis 1976 und von 1982 bis 1986, war im Februar 1986 nach einem Kinobesuch auf offener Straße mit einem Revolver erschossen worden. 2010 wurde in Schweden rechtzeitig zur Verjährung des Mordes die 25-jährige Verjährungsfrist abgeschafft. Ein Mörder könnte also noch immer verurteilt werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. August 2012


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