Freies Schimpfen über Amerika
Saudi-Arabien: Schlängelnde Rhetorik
Die Schweizer Wochenzeitung WoZ wirft in ihrer neuesten Ausgabe einen Blick auf die Entwicklung in Saudi-Arabien. Bis vor wenigen Wochen noch Partner der Vereinigten Staaten, wird das Land jetzt seine amerikanischen Truppen verlieren. Dies verkündeten jedenfalls die beiden Verteidigungsminister Prinz Sultan bin Abdalasis und Donald Rumsfeld am 28. April in Riad. Zu den Hintergründen dieser "Trennung" und den Perspektiven des Landes ein Artikel von Laurenz Moor, den wir gekürzt dokumentieren.
Von Laurenz Moor, Riad
(...) Der Rückzug der USA
hat seine Gründe vor allem in der saudischen Innenpolitik; er lindert den
Widerspruch zwischen militärischer Allianz und einer fast pathologisch
US-feindlichen Öffentlichkeit.
Während die USA in Kuweit und Katar ihre Streitmacht für den Krieg
gegen den Irak in Stellung brachten, war die Stimmung im Königreich
gereizt. (...) Auch mancher Europäer wurde
beschimpft oder mit Steinen beworfen - auf den Pauschalverdacht hin,
Amerikaner zu sein. Westliche Botschaften gaben Sicherheitswarnungen
heraus, ein Brite wurde ermordet, und unbekannte Täter sprengten im
September einen Deutschen in die Luft (...).
Nicht alle ziehen ab
Nun sind mit den US-Militärs bald zumindest jene Westler weg, deren
Präsenz am heftigsten am saudischen Selbstbewusstsein geknabbert hat.
30.000 bis 40.000 US-Zivilisten und eine 400 Mann starke
"Trainingsmission" bleiben allerdings bis auf weiteres im Land. Die fast
sechzig Jahre alte Sicherheitsgarantie der USA für die herrschende
Familie as-Saud steht nicht infrage. Die ungleichen Partner könnten in den
nächsten Jahren schlicht zum Status vor 1990 zurückkehren: keine
Militärpräsenz, da keine unmittelbare Bedrohung besteht, aber
grundlegende, stille Kooperation in Sicherheits- und Energiefragen.
Die as-Saud sind mit dem Rückzugs-Deal ihrem typischen Muster gefolgt.
Kritik aus dem Volk gibt man nach, wenn sie zu ätzend wird, meist mit
einem symbolträchtigen Akt - und danach kehrt man, soweit möglich,
schweigend zum Gewohnten zurück. (...) die Medien im Königreich sind erheblich vielfältiger und - in bestimmten Grenzen - kritischer geworden. Verantwortlich dafür ist vor allem Kronprinz Abdallah, der seit Mitte der
neunziger Jahre faktisch die Regierungsgeschäfte führt.
Indem sie gewisse Kritik in sensiblen Bereichen zulässt, versucht die
saudische Führung, Zeit zu gewinnen. Meistens werden zu einer kritischen
Meinung auch Gegenstimmen in der saudischen Presse lanciert, was eine
kontinuierliche Debatte suggeriert und eine Interessensfindung, die
notwendigerweise langsam voranschreitet. Man bekommt deshalb zurzeit
auch auffällig US-freundliche Leserbriefe zu lesen. Die auf grünem Papier
gedruckte, einst "grüne Wahrheit" genannte Hofpostille "Arab News" und
ähnliche Organe wie "Riyadh Daily" oder "Saudi Gazette" sind kaum
wieder zu erkennen; eine Reihe von sozialen und wirtschaftlichen
Problemen werden klar beim Namen genannt.
Das Grundprinzip der kontrollierten saudischen Öffentlichkeit ist nicht mehr
das Totschweigen von Problemen, sondern geschickte Steuerung, Ab- und
Umlenkung von Kritik, manchmal ergänzt durch symbolisches, teilweises
Nachgeben in der praktischen Politik. Die Schwierigkeiten des saudischen
Staates seit dem Golfkrieg von 1991 sind zu offensichtlich geworden:
militärische und technologische Abhängigkeit von den USA, aber auch
massive soziale Verwerfungen in einer rapide wachsenden Bevölkerung,
die mit Öleinnahmen alleine nicht mehr durchzufüttern ist.
Ablenkung, Umlenkung
Inzwischen gibt es sogar Platz für Rechte saudischer Bürger: Die Presse
versucht zwar, das "unrealistische Anspruchsdenken" junger Saudis zu
bremsen, gleichzeitig aber wird eingeräumt, dass manche Rechte, etwa
auf Ausbildung oder funktionierende Infrastruktur, prinzipiell eingefordert
werden können - und dass sie nicht immer gewährleistet werden.
Auch auf den Islamseiten der Zeitungen werden neben Themen wie "Darf
ich während des Ramadan Zahnpasta benutzen?" (Antwort: nein) sensible
gesellschaftliche Fragen debattiert. Doch gerade hier bringt die Presse oft
auch Interessen verschiedener Gruppen geschickt gegeneinander in
Stellung, zum Beispiel in der Debatte über das symbolbeladene Fahrverbot
für Frauen. Darüber streiten liberale und konservative Saudis heftig, und
beiden Seiten wird viel Platz eingeräumt.
Ende der Heuchelei
Ähnlich deutlich unterscheiden sich die Meinungen über die offiziell
dekretierte "Saudisierung" des Arbeitsmarkts, also der Verdrängung
ausländischer Beschäftigter. Die Interessen der Wirtschaft und der
konservativen Gesellschaft widersprechen sich dabei, und auch hier sind
Lob wie harsche Kritik zu lesen. Nach der As-Saud-Logik aber verlangen
solch fundamentale Streitfragen nach einer übergeordneten schlichtenden
Instanz - der Königsfamilie.
Diese bleibt bei sämtlicher Kritik ausgespart. Opfer des Volkszorns über
verschmutztes Trinkwasser, schlechten Telefonservice oder mangelnde
öffentliche Sicherheit sind oftmals die Technokraten, mit denen sich die
Königsfamilie umgibt. Auch Minister können in die Schusslinie geraten und
müssen das einstecken, was der Saud-Familie gilt. Häufig jedoch richten
sich die vehementen Attacken gegen die anonyme Bürokratie. So
versickern die Beschwerden trotz aller Lautstärke relativ folgenlos, da sich
aus ihnen keine wirklichen politischen Folgerungen ergeben.
Aber mit dem Irak-Krieg lassen sich politische Fragen nicht mehr
ausklammern. Die saudische Presse greift deshalb die hohle, verknöcherte
und rückwärts gewandte arabische Politik an, die den Krieg nicht zu
verhindern wusste. (...) Wieder richtet sich der Zorn nicht
gegen das Königshaus. Ziel sind nicht einmal saudische Institutionen,
sondern die Regimes der ganzen Region. Ironischerweise nutzt man dazu
einen geographisch-ideologischen Bezugsrahmen, den einst in den
fünfziger und sechziger Jahren die progressiven Feinde des saudischen
Regimes geschaffen hatten: die arabische Nation.
Kronprinz Abdallah lässt die Presse wohl auch an der langen Leine, um
die Öffentlichkeit gegen ineffiziente und nepotistische Strukturen in
Stellung zu bringen, die er - auch zum eigenen Nutzen - in manchen
Bereichen beseitigen will. Noch scheint ihm eine Mehrheit der Bevölkerung
zu glauben. Wenn das Regiment des fast Achtzigjährigen anhält, könnte
sich Saudi-Arabien dauerhaft dem marokkanischen Modell annähern: Das
Königshaus fungiert als oberste, unersetzliche Schiedsinstanz, die
politisches Leben und Widerstreit in Grenzen zulässt, aber die Grenzen
unerbittlich bewacht - und selber ausserhalb der Grenzen steht.
Aus: WoZ, 8. Mai 2003
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