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Salomoninseln

Putsch wie in Fidschi

Am 6. Juni 2000, also knapp drei Wochen nach dem Putschversuch auf den Fidschi-Inseln haben Aufständische auch auf der benachbarten Inselgruppe der Salomonen wichtige Behörden besetzt. Der zunächst in Geiselhaft genommene Premierminister Bartholomew Ulufa'alu wurde nach australischen Angaben wieder freigelassen, nachdem er - wie von den Putschisten gefordert - zurückgetreten ist. Diplomaten in der Hauptstadt Honiara sagten, ein Anwalt namens Andre Nori führe die Aufständischen an, die der Rebellengruppe Malaita Eagle Force (MEF) angehörten. Auch Polizeieinheiten hätten an dem Aufstand teilgenommen. Premierminister Ulufa'alu und Generalgouverneur John Lapli seien zunächst von sechs bewaffneten Männern unter der Führung von Nori gefangen genommen worden. Nach Angaben des australischen Außenministers Alexander Downer seien beide jedoch nicht mehr in Gefangenschaft. Dennoch würden sie weiter von den Aufständischen überwacht. Nach seiner Einschätzung gebe es keine weiteren Geiseln. Der Premierminister habe bereits vor Tagen von sich aus seinen Rücktritt angeboten.

Über die möglichen Hintergründe schreibt am 07.06.2000 der Berliner "Tagesspiegel":
"Hintergrund des Umsturzversuches sind seit eineinhalb Jahren schwelende ethnische Konflikte zwischen der einheimischen Bevölkerung der Hauptinsel Guadalcanal und Zuwanderern von der Nachbarinsel Malaita über Landrechte. Vermittlungsbemühungen mehrerer ausländischer Politiker waren in der vergangenen Woche gescheitert."

Mehr Nachrichten gab es einen Tag später. Die Süddeutsche Zeitung berichtete u.a.:

Nach dem Putschversuch auf den Salomonen haben sich rivalisierende Milizen am Mittwoch (08.06.) heftige Kämpfe geliefert. Mehrere tausend Guerilla-Kämpfer kämpften um den internationalen Flughafen der Hauptstadt Honiara. Der neuseeländische Außenminister Phil Goff warnte vor einem drohenden Bürgerkrieg in dem südpazifischen Inselstaat. Ein Beobachter der Menschenrechtsorganisation amnesty international erklärte, die Rebellenorganisation Malaita Eagle Force (MEF) schieße mit einem gestohlenen Kanonenboot auf die Hauptstadt. Dabei sei eine zuvor evakuierte Schule zerstört worden. MEF-Führer Andrew Nori erklärte sich unterdessen bereit, ein Regierungsangebot zur Lösung der Krise anzunehmen. Der seit Montag als Geisel gehaltene Ministerpräsident Bartholomew Ulufa'alu wurde von den Rebellen freigelassen. Er soll sich nächste Woche im Parlament einem Misstrauensvotum stellen.

Bei den Kämpfen um den Flughafen seien zwischen 50 und 100 Kämpfer der mit der MEF rivalisierenden Milizengruppe Isatabu Freedom Movement (IFM) getötet worden, sagte Nori. Eine unabhängige Bestätigung gab es nicht. Ein örtlicher Journalist berichtete, die Gefechte hätten fünf Stunden gedauert. Er befürchtete, dass es zahlreiche Todesopfer gebe. Der Pazifik-Beauftragte von Amnesty international, Heinz Schurmann-Zeggel, sprach von dem "schlimmstmöglichen Szenario".

Milizenführer Nori erklärte, mit dem Lösungsangebot der Regierung kehre "wieder Normalität ein". Ministerpräsident Ulufa'alu hatte seinen Rücktritt angeboten, um einen Bürgerkrieg abzuwenden. Beobachter erwarteten, dass das Parlament am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammenkommen würde, um den Rücktritt offiziell zu bestätigen.

Der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Australien, Urs Wälterlin, schrieb zum Putsch auf den Salomonen aus Canberra ("Australien ignorierte Hilferuf von Salomonen"):

"Wer seine Nachbarn vernachlässigt, muss dafür bezahlen". Mit dieser Attacke gegen die Regierung fasste der frühere Labour-Minister Gordon Bilney zusammen, was viele in Australien denken. Die Theorie, Canberra sei am jüngsten Putsch auf den Solomon-Inseln mit verantwortlich, fand am Mittwoch weitere Anhänger. Im Parlament führten die Vorwürfe zu Auseinandersetzungen zwischen der liberal-konservativen Koalitionsregierung unter Premierminister John Howard und der Labor-Opposition. Für längjährige Beobachter der Situation im Südpazifik ist klar, dass die australische Regierung genügend Vorwarnzeit hatte, um den Coup in Honiara vorauszusehen. Schon vor Monaten bat der jetzt von Rebellen festgehaltene Premierminister Bartholomew Ulufa'alu in Canberra um Unterstützung, um den eskalierenden Konflikt zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen auf den Solomon-Inseln unter Kontrolle zu bringen. Ulufa'alu bat seinen australischen Kollegen um die Entsendung von Polizisten. Doch Howard winkte ab. John Howard hat sich in den letzten Jahren kaum um die Beziehungen zu den Miniaturstaaten im Pazifik gekümmert. Der Premier sah sich zweimal innerhalb von vier Jahren nicht veranlasst, am Südpazifikforum teilzunehmen. Dieses Treffen der Regierungschefs der Region hat in erster Linie den Austausch von Informationen und die Förderung des gegenseitigen Verständnisses zum Ziel.

Howards Hinweis, die Solomon-Inseln müssten mit ihren Problemen selber fertig werden, ist nach Ansicht vieler Experten eine richtige Einschätzung. Denn die Gründe für Konflikte in vielen Kleinstaaten liegen nicht nur in den Spannungen zwischen den verschiedenen Ethnien. Vielmehr genießen gerade Länder wie die Solomon-Inseln eine künstlich aufgebaute Existenz. Jahrzehntelang ausgebeutet von Kolonialmächten haben die wenigsten heute nennenswerte Einkommensquellen. Die in vielen Fällen zwar vorhandene, aber kleine Tourismusindustrie reicht nicht aus, die Bevölkerung zu ernähren. Viele Pazifikstaaten leben zu einem wesentlichen Teil von Auslandsunterstützung.

Für Marie-Louise O'Callaghan, Korrespondentin der Zeitung The Australian in Honiara, steht außer Frage, dass die Rebellen auf den Solomon-Inseln durch den Coup in Fidschi ermutigt wurden. Sie vermutet, dass Suva und Honiara nur der Beginn eines "Dominos der Regierungsümstürze" im Pazifik sind. Ein Kommentator meinte am Mittwoch, die Region könne zu einer "Art Afrika werden, in dem seit Jahrzehnten Bürgerkriege toben und die Länder kaum je Ruhe finden". Auch in Canberra macht man sich ernsthaft Sorgen, dass es im Nachbarland Papua-Neuguinea zu einer ähnlichen Entwicklung kommen könnte. Premierminister John Howard sagte seinem Kollegen in Port Moresby, Mekere Morauta, bereits volle Unterstützung zu.
Aus: SZ, 08.06.2000

In der Frankfurter Rundschau hieß es:

Einen Tag nach dem Umsturzversuch auf den Salomonen-Inseln ist der von den Putschisten festgehaltene Regierungschef Bartholomew Ulufa'alu zurückgetreten. Einer entsprechenden Erklärung seiner Regierung, die in Anwesenheit der Rebellen tagte, waren am Dienstag im Südsee-Staat schwere Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen in der Hauptstadt Honiara vorausgegangen. Nach Angaben eines neuseeländischen Regierungsmitarbeiters lieferten sich etwa 1000 Menschen in der Nähe des Flughafens von Honiara ein Feuergefecht. Die Rebellen der Miliz Malaita (Adler-Streitmacht) hatten am Montag (5. Juni) den Ministerpräsidenten unter Hausarrest gestellt.

Ulufa'alu hatte bereits vergangene Woche seinen Rücktritt angeboten, die dazu erforderliche Versammlung der Regierungsvertreter der verschiedenen Inseln kam aber nicht mehr vor dem Putsch am Montag zu Stande. Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung der Hauptinsel Guadalcanal und Zuwanderern der Insel Malaita eskalieren seit November 1998 in gewalttätige Auseinandersetzungen. Bisher wurden dabei 50 Menschen getötet und 20 000 aus ihren Häusern vertrieben.

Wegen des Putschversuches können zwei britische EU-Abgeordnete die Inseln nicht verlassen und haben die Europäische Union aufgefordert, zur Beendigung der Krise beizutragen. Die EU-Kommission in Brüssel verurteilte in einer Erklärung am Dienstag den Umsturzversuch. Bei einem Treffen der Commonwealth-Außenminister am Dienstag wurden bereits über Strafmaßnahmen gegen den Fidschi-Staat beraten.
Aus: FR, 07-06.2000

Einen Tag später begannen die Ausländer das Land zu verlassen. Aus Angst vor einer möglichen Eskalation der Rebellenkämpfe auf den Salomon-Inseln haben Australien und Neuseeland am Donnerstag (8.Juni) mit der Evakuierung ihrer Staatsbürger aus dem Südpazifik begonnen. Rund 200 Menschen gingen bis zum Abend auf der Hauptinsel Guadalcanal an Bord eines Schiffs der Kriegsmarine, teilte der neuseeländische Hochkommissar Nick Hurley in der Hauptstadt Honiara mit. 200 weitere seien zur Ausreise bereit. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Canberra leben auf den Salomonen rund 700 Australier. Das Kriegsschiff "Tobruk" könne bis zu 800 Menschen aufnehmen. Auch 30 der 220 dort lebenden Neuseeländer wollen den Inselstaat verlassen.

Der Ministerpräsident der Salomonen, Ulufa'alu, der von den Rebellen wieder frei gelassen wurde, sagte, er habe um sein Leben gebangt, sei aber nicht von seinem Amt zurückgetreten. In einer Woche soll das Parlament über einen Misstrauensantrag gegen den Ministerpräsidenten abstimmen. In einer Rundfunkansprache forderte Ulufa'alu ein Eingreifen benachbarter Länder. Australien und Neuseeland haben indessen bereits ausgeschlossen, Truppen zu schicken.


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Siehe auch:
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