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Reizthemen für zwei alte Bekannte in Moskau

Russlands Außenminister Lawrow warnt zu Steinmeiers Antrittsbesuch vor ukrainischer »Straßendemokratie«

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der deutsche Außenminister landete am Donnerstag in Moskau. Hier gibt es Gesprächsbedarf bei vielen Themen.

Die Moskau-Visite von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier ist kein klassischer Antrittsbesuch, sondern das Wiedersehen mit einem guten alten Bekannten – Russlands Außenamtschef Sergei Lawrow. Beide schätzen sich aus den Zeiten der ersten schwarz-roten Koalition. Als deren Außenminister versuchte Steinmeier, jenen moskaufreundlichen Kurs fortzusetzen, den er zuvor als Kanzleramtschef der von Gerhard Schröder geführten rot-grünen Koalition mit konzipiert hatte. Erfolg war ihm nur in Teilen beschieden.

Zwar vermeidet Bundeskanzlerin Angela Merkel, wo immer es geht, öffentliche Kritik an der Marginalisierung von Opposition und Zivilgesellschaft in Russland. Aus ihren Sympathien für die politischen Gegner von Präsident Wladimir Putin macht sie indes keinen Hehl. Das kam bei Kreml und Außenamt nicht gut an.

Als Steinmeier an Guido Westerwelle übergab, häuften sich die Irritationen. Unbeliebt machte sich der Liberale vor allem mit seiner scharfen Polemik gegen ein Gesetz, das Propaganda von Homosexualität zum Schutz von Minderjährigen untersagt, und durch den demonstrativen Schulterschluss mit den Massenprotesten in Kiew.

Moskau wirft Europa Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vor. Es sei inakzeptabel, »echte demokratische Willensbildung in der Ukraine durch »Straßendemokratie« zu ersetzen. So Außenamtschef Lawrow in einem Aufsatz, den die Moskauer Tageszeitung Kommersant unmittelbar vor Steinmeiers Besuch am Donnerstag veröffentlichte. Wandel dürfe nur im Rahmen des Gesetzes erfolgen. Russland fürchtet, die Unruhen könnten zum Bürgerkrieg eskalieren und dieser die Ukraine spalten

An den Entwicklungen dort dürften Lawrow und Steinmeier nicht vorbeikommen. Ihre Gespräche sollten Donnerstag mit einem längeren Abendessen beginnen und am heutigen Freitag in größerer Runde fortgesetzt werden. Dabei gehe es, wie auf der Website des russischen Außenministeriums nachzulesen ist, vor allem um die Vorbereitung neuer bilateraler Regierungskonsultationen im April in Deutschland.

Auf dem Programm stehen Reizthemen der internationalen Politik: die Situation in Syrien, das iranische Kernforschungsprogramm, Afghanistan und die Lage im Nahen Osten. Hinzu kommen die Erneuerung der europäisch-atlantischen Sicherheitsarchitektur, Abrüstung und Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, Kampf gegen internationalen Terrorismus und andere gemeinsame Bedrohungen.

Russland hofft, nach Steinmeiers Besuch werde das Verhältnis zu Deutschland wieder so ungetrübt wie zu Zeiten von Altkanzler Schröder. Die deutsche Wirtschaft sieht das offenbar ähnlich. In Russland tätige deutsche Unternehmen kritisierten bei einer Umfrage des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft im letzten Sommer, Russland würde derzeit in der deutschen Politik »keine angemessene« Rolle spielen.

Fast zeitgleich machte sich Russland-Experte Alexander Rahr von der Deutschen außenpolitischen Gesellschaft in einem Interview für die regierungsnahe Moskauer Tageszeitung »Iswestija« für eine Neuauflage der Ostpolitik Willy Brandts stark. Ausdrücklich warnte er dabei vor dem neuen Superbündnis, in das die USA Europa mit dem Freihandelsabkommen drängen wollten. Dies würde alten Institutionen wie NATO, Internationalem Währungsfonds und G8 neuen Atem einhauchen und Möglichkeiten der Kooperation mit Russland oder China Grenzen zu setzen.

An Russland ging die Empfehlung des deutschen Politologen zu neuer »positiver Westpolitik« als Voraussetzung für wirtschaftliche Modernisierung und innenpolitische Stabilität. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle Russland auf dem »europäischen Weg« sehen. Sollte in Russland eine positive Westpolitik entstehen, würde es Deutschland leichter fallen, zu einer konstruktiven Ostpolitik zurückzukehren.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 14. Februar 2014


Heikle Themen bei Steinmeiers Antrittsbesuch in Moskau **

Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier soll am Donnerstag in Moskau eintreffen, schreibt die „Nesawissimaja Gaseta“. Am Freitag sind Gespräche geplant. Formell ist es der erste Russland-Besuch des neuen deutschen Außenministers. Im Kreml ist Steinmeier als früherer Vizekanzler und Außenminister während seiner Amtszeit von 2005 bis 2009 gut bekannt. Damals war es Steinmeier, der die Idee einer Modernisierungspartnerschaft mit Russland vorgeschlagen hatte. In der deutschen Presse gilt Steinmeier als „russenfreundlich“.

„Bei allen Differenzen müssen wir gemeinsam mit Russland nach Ansatzpunkten suchen, um unser Verhältnis konstruktiver und kooperativer zu gestalten. Nur gemeinsam mit Russland kann ein Übereinkommen mit dem Iran gelingen. Dasselbe gilt für die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Wir machten einen Fehler, würden wir die Zukunft Europas ohne oder gar gegen Moskau denken“, sagte Steinmeier bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

Wegen der Ukraine-Krise gewinnt dieses heikle Thema besonders an Aktualität. Entsprechende Gespräche werden in Moskau erwartet. Berlin hält es bislang nicht für notwendig, die Spannungen in der Ukraine mit Sanktionen zu erhöhen, sondern strebt eine politische Lösung an. Gleichzeitig ist in der EU-Politik mit Deutschland als Taktgeber jedoch der Wunsch zu erkennen, die Ukraine auf Distanz zu Russland zu bringen.

Der Moskau-Besuch Steinmeiers bietet die Möglichkeit, einen ausführlicheren Dialog zu führen. Wegen der Bundestagswahlen und der langwierigen Regierungsbildung musste der Termin für ein Treffen mehrmals verschoben werden. Präsident Wladimir Putin und Kanzlerin Angela Merkel vereinbarten telefonisch, das 15. Regierungstreffen im April nachzuholen. Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland brauchen neue Impulse. Im Sommer beginnt das Russland-Deutschland-Jahr der Sprache und Literatur.

Beide Länder sind zwar weiterhin strategische Partner, doch Berlin scheint sich seiner Beziehungen zu Russland zu schämen. Der deutsche Regierungssprecher berichtete zwar vom Telefongespräch zwischen Putin und Merkel. Dass ein Treffen für April geplant ist und dass Merkel dem russischen Olympia-Team Erfolg wünschte, erwähnte er jedoch mit keinem Wort.

Am wichtigsten ist jedoch, dass sich die russisch-deutsche Partnerschaft weiterentwickelt. Auch bei internationalen Themen werden Kontakte unterhalten. Deutschland bekennt sich jedoch nicht offen zu seinen Beziehungen zu Moskau. In deutschen Experten- und Journalistenkreisen wird häufig davon gesprochen, dass die Diskriminierung von Homosexuellen, der Umgang mit Oppositionellen und die Rolle Moskaus in der Ukraine-Krise die russisch-deutschen Beziehungen belasten.

Laut einer ARD-Umfrage ist Russland für die Mehrheit der Bundesbürger kein Partner, der Vertrauen verdient. Nur 18 Prozent der Deutschen vertrauen Russland. In Bezug auf die USA sind es 39 Prozent.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 13.Februar 2014; http://de.ria.ru


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