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Unter Dampf

remlpartei »Einiges Rußland« gewinnt Regionalwahlen. Beteiligung meist gering. Erstmals wählte auch Krim in Rußland

Von Reinhard Lauterbach *

Aus den Regionalwahlen in Rußland am Sonntag ist die Kremlpartei »Einiges Rußland« (ER) als mit Abstand stärkste Kraft hervorgegangen. Gesamtergebnisse lagen am Montag mittag noch nicht vor, aber es zeichnete sich ab, daß Vertreter der hinter Präsident Wladimir Putin stehenden Partei eine deutliche Mehrheit der Mandate gewinnen konnten. Selbst im traditionell Putin-kritischen Moskau, wo das liberale Milieu relativ stark ist, bekamen die Kandidaten von ER mit 28 von 45 Sitzen im Stadtparlament beinahe eine Zweidrittelmehrheit.

Zweitstärkste Kraft wurden generell die Kommunisten (KPRF), vor der nationalistischen Liberal-Demokratischen Partei von Wladimir Schirinowski. »Jabloko«, der seit Anfang der neunziger Jahre aktiven, größten Oppositionspartei des liberalen Spektrums, gelang nicht einmal in ihrer Hochburg Moskau der Einzug ins Stadtparlament. Vertreter der prowestlichen Opposition sprachen ebenso wie die von den USA finanzierte »Wahlbeobachtungsorganisation« Golos von massiven Wahlfälschungen. Sergej Mironow, Vorsitzender der auf sozial gebürsteten, konzessionierten Oppositionspartei »Gerechtes Rußland«, sprach dagegen von einer »Konsolidierung der Gesellschaft hinter dem Präsidenten« und erkannte die Niederlage seiner Partei an. Nach seinen Worten, die die russische Agentur RIA zitierte, hatten die meisten systemloyalen Oppositionskräfte ohnehin nur symbolischen Wahlkampf betrieben, um diese »Konsolidierung« nicht zu gefährden. Das linke Portal rabkor.ru äußerte angesichts solcher Scheinaktivitäten Verständnis für das verbreitete Desinteresse der Bürger an den Wahlen und relativierte am Beispiel Moskaus ihre Bedeutung: Interessanter seien die Stadtbezirksvertretungen, wo einzelne Abgeordnete als Aktivisten gegen Umweltzerstörung und Immobilienspekulation ansatzweise progressive Politik betrieben hätten.

Die Wahlbeteiligung schwankte zwischen 80 Prozent in der Republik Tatarstan an der Wolga und 25 Prozent in der fernöstlichen Region Chabarowsk. Dort erhielt »Einiges Rußland« 33 von 35 Sitzen, im Gebiet Penza im Ural 32 von 35. Bei der extrem niedrigen Beteiligung von 25 Prozent ist die Aussagekraft solcher »sowjetischen« Ergebnisse allerdings gering, und sie scheinen eher den Anteil des öffentlichen Dienstes an der Bevölkerung widerzuspiegeln als reale gesellschaftliche Kräfteverhältnisse. Daß die russische Wahlkommission keine Hochrechnungen, sondern traditionell nur Einzelergebnisse bekanntgibt, und dies teilweise vor dem Abschluß der Auszählung, macht die Zahlen noch weniger transparent.

Das gilt auch für die Wahl auf der Krim, die erstmals nach russischem Recht stattfanden. Nach letzten Angaben der Zentralen Wahlkommission lag die Wahlbeteiligung bei mindestens 53 Prozent, die Auszählung lief allerdings noch. Am Sonntag abend war aufgrund vorläufiger Daten ein Ergebnis von 70 Prozent für ER gemeldet worden; die Krimtataren, deren politische Vertretung die Übernahme der Krim durch Rußland nicht anerkennt, hatten zum Wahlboykott aufgerufen, ebenso die verbliebenen proukrainischen Kräfte. Klar dürfte sein, daß die Wahlbeteiligung hinter den 76 Prozent, die im März beim Unabhängigkeitsreferendum der Krim abstimmten, zurückbleiben wird. Der krimtatarische Politiker Refat Tschubarow sah darin eine »beginnende Ernüchterung«. Tatsächlich sind mit der Übernahme der Krim durch Rußland zwar die Renten gestiegen, aber auch die Preise.

Die Behörden in Kiew verlegten sich angesichts der Krim-Wahl auf Drohungen. Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft eröffnete Ermittlungsverfahren gegen die Organisatoren des Votums, denen nach ukrainischem Recht für die Veranstaltung illegaler Wahlen bis zu zehn Jahren Haft drohen. Der Koordinator des »Euromaidan Krim« hatte schon vor den Wahlen seinen Landsleuten Konsequenzen angedroht, wenn sie zur Wahl gingen: Da die Wahl eine Straftat sei, sei die Teilnahme an ihr Mittäterschaft. Der »Zug der Freundschaft«, den der »Rechte Sektor« den Krim-Bewohnern im März angedroht hatte, wird weiter unter Dampf gehalten.

* Aus: junge Welt, Dienstag 16. September 2014


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