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Viele Russen glauben keine Opposition zu brauchen

Lewada-Meinungsforscher sehen Präsident Putin unangefochten vorn, seine Gegner gelten als überflüssig oder Störfaktor

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Im Streit um die Ukraine hat der Präsident Putin Russland geeint und hinter sich. Eine Opposition wird dort als störend empfunden.

Spekulationen westliche Beobachter, wonach die prowestlichen Proteste auf dem Kiewer Maidan auch in Russland Schule machen könnten, dürften in überschaubaren Zeiträumen nicht aufgehen. Das zumindest glauben Wissenschaftler vom Lewada-Zentrum – Russlands derzeit einzigem unabhängigen Meinungsforschungsinstitut –, die jetzt die Ergebnisse ihrer Umfrage von Ende Mai vorstellten. Demzufolge halten ganze 57 Prozent eine politische Opposition für notwendig. 2012 waren es noch 72 Prozent. Auch glaubten damals immerhin noch 66 Prozent, dass es in Russland eine Opposition gibt. Inzwischen sind es weniger als 50 Prozent. Und fast jeder Vierte – 23 Prozent – hält Opposition sogar für überflüssig. Weiteren 20 Prozent ist das Thema egal.

Der Chefsoziologe des Lewada-Zentrums, Denis Wolkow, erklärte das Phänomen mit der Zustimmung für Wladimir Putin und sein Vorgehen in der Ukraine-Krise. In der Tat hatte der Präsident gleich nach dem Beitritt der Krim zu Russland rekordverdächtige 86 Prozent eingesammelt. Zumindest auf Zeit konnte er die seit dem Ende der Sowjetunion tief gespaltene russische Gesellschaft konsolidieren. Das zählt nicht nur für Putin, der im März 2000 erstmals gewählt wurde, zu den wichtigsten innenpolitischen Prioritäten.

Wladimir Putin, so auch der unabhängige Politologe Dmitri Oreschkin, habe sich als starke Führungspersönlichkeit erwiesen, um die sich die Massen scharen wollen. Die Opposition werde dabei als Störfaktor empfunden – vor allem die nicht angepasste, außerparlamentarische. Sie organisierte nach angeblich manipulierten Parlamentswahlen Ende 2011 die stärksten Massenproteste seit Ende der Perestroika, gab dann aber ruhmlos den Geist auf.

Für das Umfragedesaster will der Oppositionelle Wladimir Ryshkow, Kovorsitzender der neoliberalen PARNAS-Partei, nicht nur Putin verantwortlich machen. Die Zustimmung für die Opposition sinke, weil sie ihre Aktivitäten erheblich eingeschränkt habe. Gebeutelt von Konflikten der rivalisierenden Gruppen und vom Machtgerangel ihrer Führer, seien die Gegner Putins nicht in der Lage, gegen ihn Front zu machen. Der Kreml gebe die Tagesordnung vor: Krim und Ukraine. Die Opposition stoße keinen Diskurs zu brisanten Problemen wie Wirtschaftskrise, wachsende Verschuldung der Regionen und Ineffizienz der Macht an.

Eine Trendwende erwartet Ryshkow erst, wenn die Nation am eigenen Leibe erfahren muss, dass sie für den »Sieg« in der Ukraine massiv zur Kasse gebeten wird. Das indes ist so sicher nicht. Bei einer anderen Umfrage des Lewada-Zentrums erklärte eine deutliche Mehrheit, der Status einer Weltmacht sei ihr wichtiger als ein hoher Lebensstandard.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Juni 2014


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