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Russland rüstet zur See

Mehr moderne Schiffe für die Schwarzmeerflotte

Von Klaus Joachim Herrmann *

Schon lange vor seinem Rauswurf aus dem Klub der G8 und den stark verschlechterten Beziehungen zum Westen hat sich Russland auf den Wert eigener Stärke besonnen. Andernfalls hätte das Informations- und Presseamt des russischen Verteidigungsministeriums am Dienstag kaum weitere Aufrüstungserfolge der Kriegsmarine mitteilen können. Die nämlich brauchen größeren Vorlauf.

Die Seekriegsflotte werde in diesem Jahr mehr als 40 Schiffe und U-Boote bekommen, listete die offizielle russische Agentur RIA/Novosti auf. Die Rede war dabei von Schiffen und Atom-U-Booten der neuen Generation des Typs Jassen mit hochpräzisen Angriffs- und U-Boot-Bekämpfungswaffen. Hinzu gesellten sich hochmoderne universelle Kampfschiffe und ein Zerstörer, Küstenschutz- und Raketenschiffe.

Im Blickpunkt befindet sich wegen der Krim-Krise derzeit naturgemäß das Schwarze Meer. Bereits im Zuge der Angliederung der Halbinsel wurden fast 150 Stützpunkte und weitere Einrichtungen des ukrainischen Militärs sowie über 50 Schiffe von der russischen Seite übernommen, hieß es vor einigen Tagen unter Berufung auf das Verteidigungsministerium in Moskau. Allein schon dies stellte eine erhebliche Stärkung der russischen Marine dar, die über die Sicherung der Krim als Flottenbasis hinaus reicht.

Russlands Marinebefehlshaber, Admiral Viktor Tschirkow, wies gegenüber der »Rossiskaja Gasjeta« erfreut darauf hin, dass der Einzug der Krim in den russischen Staatsverband ein weiteres Problem löse. So habe Kiew in den vergangenen Jahren stets Widerstand gegen eine Modernisierung der Schwarzmeerflotte geleistet. Das ist nun vorbei.

Bis 2015 sind der Schwarzmeerflotte sechs neue U-Boote nicht nur zugesagt, sondern zum Teil schon auf Kiel gelegt worden. Marschrichtung und Aufgabenstellung der modernisierten Flotte sind klar. Sie soll laut Admiral Tschirkow die Stabilität und nationale Sicherheit im Schwarzen und im Mittelmeer »effektiv gewährleisten«.

Die oft beschworene Sicherheit der Südgrenzen Russlands dürfte Moskau angesichts des Vordringens von EU und NATO wichtiger denn je sein. Größtes Unbehagen löste während des Krieges mit Georgien im Jahre 2008 das Erscheinen eines US-Kriegsschiffes im Schwarzen Meer aus. Auch während der Olympischen Spiele in Sotschi war die US-Flotte mit mehreren Kampfschiffen präsent. Ein ganzer Verband kam just während der Krim-Krise zu Manövern mit Bulgarien und Rumänien vorbei. Der beschwichtigende Hinweis auf »tägliche Routine« dürfte eher für Unruhe gesorgt haben.

Nun hat sich das politische Klima weiter verschlechtert. Die geopolitische Lage verändert sich mit dem Vordringen von EU und NATO zusehends zum Missfallen des Kremls. Nicht das erste Mal käme damit Sewastopol als ein inzwischen wieder russischer Stützpunkt zu Ehren. Von hier aus kann die Marine nicht nur Kurs auf das Mittelmeer, sondern auch auf die Ozeane nehmen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013


Polen wird die ukrainischen Geister nicht los

Regierungspartei PO und nationalkonservative PiS wetteifern vor der Europawahl in Angstmache

Von Julian Bartosz, Wroclaw **


Obwohl das polnisch-ukrainische Verhältnis in der Vergangenheit nicht immer ungetrübt war, sieht sich Warschau derzeit als zuverlässiges Hinterland des Nachbarn – und Vorposten des Westens.

Donald Tusk, als Regierungschef der Hauptdarsteller auf Polens politischer Bühne, sieht sich derzeit in der historischen Rolle des Frontmanns bei der Verteidigung des »freien Westens«. Während eines Blitzbesuchs an der Weichsel in der vergangenen Woche klopfte ihm US-Vizepräsident Joe Biden dafür auf die Schulter: »Good boy!« In einer Fernsehansprache an die Nation hatte Tusk erklärt, die vierte Säule der Sicherheit Polens – neben den USA, der NATO und der EU – sei eine freie Ukraine. Und dem zur Parteikonferenz seiner Bürgerplattform (PO) nach Warschau eingeflogenen Vitali Klitschko versicherte der polnische Premier, dass eine freie, prowestliche Ukraine zur polnischen Staatsräson gehöre.

Auf der Parteikonferenz, die eigentlich der Nominierung der PO-Kandidaten für die Europawahlen im Mai gewidmet war, wurde im offensichtlichen Wettbewerb mit der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Kriegsangst geschürt. Diese EU-Wahlen seien die wichtigsten in der bisherigen Geschichte, behauptete der studierte Historiker Tusk, denn sie entschieden über nichts Geringeres als den Fortbestand Europas. Eine Katastrophe für die Ukraine wäre zugleich eine Katastrophe für Polen, betonte er. Und deshalb bedürfe es des solidarischen gesamteuropäischen Engagements für den bedrohten Nachbarn.

Fast gleichzeitig erklärte Jaroslaw Kaczynski auf dem Parteitag seiner PiS, dass Polen ohne einen Regierungswechsel nicht stark und sicher sein werde. Da beklagte selbst die konservative »Rzeczpospolita« anderntags einen Tabubruch in der polnischen Politik: »Das Thema ›bewaffneter Konflikt‹ wird zum Hauptmotiv im Duell der beiden wichtigsten Parteien.«

Der Politologe Kazimierz Klik von der Universität Kielce bezeichnete Tusks Aussage denn auch als verlogene Propaganda. Wieso solle das Verhältnis Europas zur Ukraine darüber entscheiden, ob Europa überdauert? Den Versuch, Russland zu marginalisieren, nannte er geradezu unsinnig und für Polen schädlich.

Die ukrainischen Themen sind wie die Geister aus Goethes »Zauberlehrling«: Man wird sie nicht los. Die Medien schüren die Angst vor Russland. Nachdem bereits zwölf F-16-Maschinen aus den USA auf dem Militärflughafen Lask stationiert wurden, ist von »verstärkten Manövern« unter möglicher Teilnahme französischer, britischer und dänischer Kampfflugzeuge die Rede.

In der Redaktion der »Gazeta Wyborcza« spornte Anne Applebaum, die publizierende US-amerikanische Gemahlin des polnischen Außenministers Radek Sikorski, die »Kollegen« an, konsequent für die Stärkung des östlichen NATO-Vorpostens einzutreten. Ihr Gatte mühte sich derweil, die Sorgen polnischer Wirtschaftsmanager um Exportverluste im Falle verschärfter Sanktionen gegen Russland zu zerstreuen. »Sanktionen sind wie Atomwaffen, man kann mit ihnen drohen, mit der Anwendung kann es Probleme geben«, sagte Sikorski. Was jetzt geschehe, sei »angemessen«. Und übrigens habe die Krise auch Vorteile: Das Weimarer Dreieck (Frankreich-Deutschland-Polen) sei enger zusammengerückt und die baltischen Staaten wollten sich ihm anschließen.

Seriöse Lageanalysen sind momentan in Polen vorzugsweise von Satirikern zu erwarten. So umschrieb Przemyslaw Cwiklinski in der Wochenzeitschrift »NIE« die Republik Polen als »einen Dritten im zweiseitigen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland«. Und was ist die »internationale Gemeinschaft?«, fragte der Autor, um darauf zu antworten: »Sie ist ein politisch imaginäres Wesen, das höchster Richter zu sein beansprucht.«

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 26. März 2013


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