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Allzwecklösung Fremdenlegion

Russland öffnet seine Streitkräfte für Ausländer und will so viele Fliegen mit einer Klappe schlagen

Von Reinhard Lauterbach *

Russland öffnet seine Streitkräfte für Ausländer. Präsident Wladimir Putin hat Anfang des Jahres einen Erlass unterzeichnet, der Ausländern den Dienst in der russischen Armee ermöglicht. Zu den Bedingungen gehören das Beherrschen der russischen Sprache und eine Verpflichtung für mindestens fünf Jahre; auch dürfen die Bewerber keine Vorstrafen haben. Anders als im Zarenreich, als Ausländer oft als Offiziere in russische Dienste traten, zielt der neue Erlass in erster Linie darauf, einfache Soldaten und Unteroffiziere zu rekrutieren. Ihnen winkt ein Monatssold von umgerechnet 500 Euro und die Aussicht auf die russische Staatsbürgerschaft. Damit ist auch angedeutet, auf wen das Angebot in erster Linie abzielt: arbeitslose junge Männer aus ehemaligen Sowjetrepubliken wie Armenien, Kirgistan oder Tadschikistan, aber auch aus den von Russland abhängigen Regionen Abchasien, Südossetien und Transnistrien.

Wenn das Angebot, in russische Dienste zu treten, auf Interesse stößt, verspricht es, aus russischer Sicht mehrere Probleme auf einen Streich zu lösen. Das erste ist der Bevölkerungsrückgang, der das Reservoir potentiell wehrpflichtiger junger Männer schrumpfen lässt. Die Bevölkerungszahl Russlands ist von 150 Millionen zum Ende der Sowjetunion auf heute 143 Millionen zurückgegangen, und Schätzungen besagen, dass sie bis 2030 auf 130 Millionen fallen wird. Gleichzeitig ist der Gesundheitszustand auch junger Leute oft nicht mehr so, dass damit eine Armee von einer Million Soldaten aufrechterhalten werden kann. Das Ergebnis der letzten Einberufungswelle in Russland im Herbst 2014 war alarmierend: Von 300.000 potentiellen Rekruten waren nur 154.000 tauglich.

Zudem plant Russland ohnehin, sein Militär von einer Wehrpflicht- zu einer Berufsarmee umzubauen. Die schwindenden demographischen Grundlagen für eine Massenarmee aus Wehrpflichtigen sind dabei nur ein Grund. Der Grundwehrdienst dauert heute in Russland ein Jahr – nach Auffassung der Militärs zu wenig, um die Soldaten an komplexen modernen Waffensystemen auszubilden. Für diese sind also ohnehin länger dienende Spezialisten erforderlich. Gleichzeitig ist der Wehrdienst in Russland unbeliebt, weil notorische Missstände wie das Schinden neuer Rekruten durch ältere noch immer bestehen.

Die größten Vorteile verspricht der Plan aber im Verhältnis Russlands zu den Staaten seines »nahen Auslands«: Gelingt er, würde das bedeuten, den Arbeitsmarkt für Söldner in diesen Ländern präventiv leerzufegen und so das Potential für das Fußvolk künftiger »Farbenrevolutionen« etwa in Zentralasien zu verringern. Die Erfahrungen der »orangen Revolution« und des Euromaidan in der Ukraine haben gezeigt, dass große Teile dieses Fußvolks auf Honorarbasis angeheuerte Arbeitslose waren. Und schließlich: Sollten diese nichtrussischen Soldaten irgendwann zum Einsatz kommen, ist die Chance groß, dass dies innerhalb Russlands keine politischen Probleme bereitet, weil eventuelle Hinterbliebene im Ausland leben. Denn es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass russische Einheiten – und darunter auch Wehrpflichtige – in der Ostukraine eingesetzt (gewesen) seien und dort hohe Verluste erlitten hätten. Westlich gesponserte Organisationen wie das »Komitee der Soldatenmütter« halten diese Mutmaßungen durch eine Flut von Einzelfallmeldungen am Leben. Quellen werden – wie es heißt, zum Schutz der Betroffenen – nicht angegeben. Zuletzt wurde von dieser Seite die Zahl von gut 600 gefallenen und einigen tausend verwundeten russischen Soldaten genannt. Bilder von angeblich geheimen Begräbnissen – die aber offensichtlich mit offener Kamera aufgenommen wurden und deshalb so geheim nicht gewesen sein können – zirkulieren im Internet und halten diese Stimmung aufrecht. Amtliche Schweigegebote für die Angehörigen der angeblich bei Manöverunfällen umgekommenen Soldaten tragen aber auch nicht dazu bei, das Misstrauen zu besänftigen. Sie zielen eher darauf ab, die Hinterbliebenen vereinzelt zu halten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Januar 2015


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