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Gute Geschäfte im Blick

Der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft will Rußlands Potential ausschöpfen

Von Roland Zschächner *

Am gestrigen Mittwoch hatte der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft gemeinsam mit der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) zur Pressekonferenz in Berlin eingeladen. Im Mittelpunkt standen die jährliche Geschäftsklimaumfrage bei deutschen Unternehmen in Rußland, die Olympischen Winterspiele in Sotschi und die aktuelle Entwicklung in der Ukraine.

In dem vorgestellten Bericht über das Geschäftsklima in Rußland sind die Interessen der deutschen Unternehmen deutlich formuliert. Trotz des Beitritts Moskaus zur Welthandelsorganisation vermeldete der Ex-»Metro«-Chef und jetzige Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Eckhard Cordes, für das Jahr 2013 einen negativen Trend: Der BRD-Außenhandel mit Rußland ist um fünf Prozent zurückgegangen. Bisher liegen nur die Zahlen bis einschließlich November letzten Jahres vor. Als Hindernisse auf deutscher Seite sieht der Ausschuß-Vorsitzende zudem die Visapolitik, Zollbeschränkungen, Fachkräftemangel sowie Bürokratie und Korruption.

Wichtig sei, die »nicht zeitgemäße Spaltung Europas in Wirtschaftsregionen« zu überwinden, so Cordes. Notwendig wäre zudem eine Modernisierung Rußlands, um es »wettbewerbsfähig« zu machen und das dort vorhandene Potential auszuschöpfen. Wie dies geschehen soll, wußte Cordes auch: »Das Stichwort heißt Privatisierung«. Die mit der neoliberalen Roßkur verbundenen Folgen – von Massenarbeitslosigkeit bis hin zum Niedergang von ganzen Städten und Regionen – sind dabei mit einkalkuliert. Aber, so Cordes weiter, »anders ist die Kiste nicht zum Laufen zu bekommen«. Nach dem billigen Aufkauf der ökonomischen Filetstücke in Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern bietet Rußland dem expansionswilligen deutschen Kapital neue Möglichkeiten.

Der 1952 gegründete Ost-Ausschuß ist einer der wichtigsten Verbände der deutschen Außenwirtschaft (jW berichtete). Formal getragen wird er von fünf Organisationen, darunter dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Bankenverband. Mitglieder sind über 180 Unternehmen von BASF bis ThyssenKrupp. 21 Länder zählen zu dem von ihm »betreuten« Gebiet: von Südosteuropa über die Ukraine, Rußland bis hin zu den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens. Das Hauptanliegen dort ist die Schaffung einer deutschen Wirtschaftshegemonie. Die verfolgten Interessen stehen nicht selten im Widerspruch zur westorientierten Außenpolitik und zu antirussischen Kampagnen. Um so wichtiger ist die »Wirtschaftsdiplomatie« des Ausschusses, um die Politik der BRD und der betreffenden Staaten in die gewünschten Bahnen zu lenken.

Eine andere Position als die Mainstreammedien vertritt der Ost-Ausschuß zu den anstehenden Winterspielen und dem Versuch eines gewaltsamen Regierungswechsels in der Ukraine. So hätten die in Sotschi aktiven deutschen Unternehmen nach Informationen des Vorstandsvorsitzenden der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, Michael Harms, mit 1,5 Milliarden Euro einen guten Schnitt gemacht. Auch gehe er davon aus, daß die von ihm betreuten Firmen ordentlich gearbeitet haben. Kritik wäre daher nicht angebracht. Vielmehr gelte es, das Sportliche in den Mittelpunkt zu stellen.

In der Ukraine empfiehlt Cordes eine »aktiv vermittelnden Rolle« der Bundesrepublik. Die bisherige Strategie zur Einbindung Kiews – Druck zu machen, sich entweder für die EU oder für Rußland zu entscheiden – ist nicht aufgegangen. Nun sei es an Deutschland als wirtschaftlich stärkster Nation in Europa, das sich zudem wegen seiner geographischen Lage nach Osten orientieren müsse, Verantwortung zu übernehmen. Notwendig, so Cordes, seien trilaterale Gespräche zwischen der EU, der Ukraine und Rußland, das als »Faktor nicht übergangen werden kann«. Dies wäre auch im Interesse der 6100 deutschen Unternehmen in Rußland und der knapp 500 in der Ukraine. Die Unruhen hätten zwar noch keine Kapitalflucht zur Folge, doch befürchteten 39 Prozent der bereits vor den ersten Toten in Kiew befragten Firmenvertreter negative wirtschaftliche Auswirkungen durch den Konflikt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. Januar 2014


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