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Achse verschoben

Geopolitische Neugewichtung: Die westliche Politik im Ukraine-Konflikt dürfte die energiepolitische Zusammenarbeit von Rußland und China beschleunigen

Von Rainer Rupp *

Wenn es die Absicht des Westens war, Moskau und Peking noch näher zusammenzubringen als bisher, dann läuft alles nach Plan. Der von den USA und der EU gesteuerte Putsch in der Ukraine und die neue prowestliche Regierung in Kiew sorgen dafür, das Zusammenwirken der Militär- und Rohstoffgroßmacht Rußland und der industriellen und finanziellen Supermacht China zu stärken. Das dürfte die beiden Länder ihren gemeinsamen Zielen näherbringen, insbesondere die Zurückdrängung der globalen Hegemonialansprüche Washingtons und die Marginalisierung des Dollars.

Als Reaktion auf die anmaßenden und scheinheiligen Bestrafungsaktionen durch die USA und die EU-Länder wegen des Vorgehens auf der Krim manifestiert sich in Moskau eine geopolitische und wirtschaftliche Um­orientierung: weg von Europa und den USA in Richtung der Märkte in China, Indien etc. Die von Washington so dringend geforderte energiepolitische Abwendung Westeuropas von Rußland könnte daher schon bald, aber ganz anders als sich das die Scharfmacher hier erträumen, über die Europäer hereinbrechen. Für Mai, wenn der russische Präsident Wladimir Putin Peking besucht, wird erwartet, daß das von den Medien als »Heiliger Gral« bezeichnete Mega-Gasgeschäft unterzeichnet wird (siehe unten). Jahrelang waren die diesbezüglichen Verhandlungen zwischen Rußland und China immer wieder gescheitert, u.a. an unterschiedlichen Preisvorstellungen. Nun scheinen die jüngsten schlechten Erfahrungen mit dem Westen den Kreml dazu bewogen zu haben, die letzten Hürden für eine schnelle und umfassende, energiepolitische Zusammenarbeit mit der Volksrepublik im Handumdrehen aus dem Weg zu räumen.

Zugleich soll ein ähnlich großer Energiedeal zwischen Rußland und Indien verhandelt werden. Deshalb klingen die von westlichen Scharfmachern in Medien und Politik arrogant abgegebenen Erklärungen ziemlich hohl, die Russen müßten sich wegen der gegenseitigen Abhängigkeit – »Wir brauchen russisches Gas, aber die Russen brauchen unser Geld genauso dringend« – die Sanktionen des Westens gefallen lassen, ohne reagieren zu können. Rußland kann sich jetzt innerhalb weniger Jahre ein solides asiatisches Standbein schaffen und sich dadurch von seiner Exportabhängigkeit vom Westen befreien, im Unterschied zu Westeuropa, das noch sehr lange keinen Ersatz für russisches Gas finden wird. Dies ist das vorläufige Resultat der Politik von Washington, Berlin, Paris und Brüssel gegenüber Moskau.

Aber auch die USA dürften nicht ungestraft davonkommen. Finanzexperten des Investmentportals Zero Hedge spekulierten Mitte März, daß Rußland und China durch das »Heilige-Gral«-Geschäft »mit einer auf Rohstoffen gestützten Achse verbunden« seien. Die könne das »Fundament für eine gemeinsame, durch Rohstoffe abgesicherte Reservewährung« bilden und habe »das Potential, den Dollar links liegen zu lassen«.

Der Status des Dollars als Welt­reservewährung ist auch heute noch einer der Hauptpfeiler der globalen Machtprojektion Washingtons. Dies erlaubt dem US-Imperium, einen gigantischen Militärapparat zu unterhalten, der im wesentlichen von Ausländern über den Kauf von Regierungsanleihen bezahlt wird. Daher haben die US-Amerikaner alle bisherigen Versuche, den Dollar zu entthronen, stets als Angriff auf ihre nationale Sicherheit begriffen und entsprechend aggressiv reagiert, u.a. im Irak, als Saddam Hussein begonnen hatte, sein Öl für Euro – statt wie weltweit üblich – für US-Dollar zu verkaufen. Inzwischen ist auch der Iran vom Dollar abgerückt. Teheran verkauft Öl für Gold an Indien und für die chinesische Währung Renminbi an China. Schon machen Gerüchte die Runde, wonach sogar Saudi-Arabien, dessen größter Kunde China ist, daran denkt, vom Petro-Dollar abzuweichen, zumal der Renminbi weltweit zunehmend als Reservewährung gehandelt wird. So ist verständlich, daß sich auch der Finanzplatz Frankfurt am Main rechtzeitig ein Stück von diesem großen Kuchen sichern will.

Anläßlich des Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in der vergangenen Woche in Deutschland unterzeichnete die Bundesbank mit der Chinesischen Zentralbank (PBOC) ein Abkommen für Clearing und Zahlungsgeschäfte in Renminbi. Das britische Schatzministerium schloß am Montag ebenfalls ein ähnliches Abkommen ab. Paris und Luxemburg wollen folgen.

Rußlands, aber insbesondere Pekings handelspolitischer Einflußbereich, erstreckt sich von Süd- und Ostasien nach Afrika bis hin nach Lateinamerika. Mit vielen Staaten dieser Regionen treibt Peking schon jetzt unter Umgehung des Dollars seinen bilateralen Handel. Das gilt auch für den schnell wachsenden Warenaustausch mit Rußland, der in Rubel und Renminbi stattfindet. Besorgt sehen westliche Analytiker in dieser Entwicklung einen ernst zu nehmenden Angriff auf die jahrzehntelange, unantastbare Position des Dollars. Diese Verschiebung der geopolitischen Achse gen Osten findet vor dem Hintergrund des nachlassenden globalen Einflusses der USA und der Gruppe der sieben hochindustrialisierten Nationen statt, von denen die meisten haushoch überschuldet sind.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. April 2014


Nicht in Europas Interesse

China importiert bald mehr russisches Gas als die BRD. Deutsche Konzernchefs warnen vor Sanktionen gegen Moskau

Von Rainer Rupp **


Ein Megageschäft im Energiesektor zwischen Rußland und China steht vor dem Abschluß. In der ersten Phase des als »Heiliger Gral« geltenden Deals soll der russische Gasprom-Konzern bereits im Jahr 2018 die gigantische Menge von 38 Milliarden Kubikmeter Gas über eine erste Pipeline in die Volksrepublik pumpen. Laut »Statista.com« sind das 2,5 Milliarden Kubikmeter mehr, als Deutschland im vergangenen Jahr aus Rußland importiert hat. Zählt man die anderen europäischen Länder wie Italien (23,9 Milliarden), Ungarn (7,9 Milliarden), Frankreich (7,6 Milliarden), Tschechien (6,4 Milliarden) und Polen (6 Milliarden Kubikmeter) dazu, dann belief sich der russische Gasexport in die EU 2013 auf 104,3 Milliarden Kubikmeter. Zugleich hat China Deutschland als größten Abnehmer von russischem Rohöl abgelöst. In die Wege geleitet wurde das durch den größten russischen Ölkonzern Rosneft, der in den letzten Jahren seine Hauptaufmerksamkeit gen Asien gerichtet und neue Lieferabkommen an Land gezogen hat, die über die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline und einer weiteren durch Kasachstan bedient werden.

Aber bei gigantischen russischen Gas- und Ölgeschäften mit China und anderen asiatischen Staaten allein wird es nicht bleiben. Das hat Igor Setschin, Chef von Rosneft, am 20. März während eines Besuchs in Tokio deutlich gemacht hat. »Wenn es Ziel des Westens ist, Rußland zu isolieren, dann wird Moskau in Zukunft seine neuen Geschäfte, Energieabkommen, militärische Zusammenarbeit und politische Allianzen im Osten suchen«, erklärte er. Daß das keine leeren Worte sind, erkennt man z.B. an der Reaktion deutscher Wirtschaftskreise. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, warnte am Wochenende die Bundesregierung, Rußland könne sich nach China orientieren, wenn sich Europa abwende. »Rußland wird sich, wenn Europa seine Energieimporte einschränkt, neue Absatzmärkte in China suchen«, so Cordes. Daran könne Europa kein Interesse haben.

Zuvor hatte Siemens-Chef Joe Kaeser mit Blick auf den Ukraine-Konflikt die deutschen und europäischen Politiker gewarnt, »daß man gegen niemanden Sanktionen verhängt, von dem man abhängig ist«. Dafür und für seinen Besuch beim Kreml-Chef Wladimir Putin mußte Kaeser im ZDF in der vergangenen Woche ein Strafgericht-ähnliches Interview über sich ergehen lassen, das von dem vor Selbstgefälligkeit platzenden Claus Kleber geführt wurde. Das hat andere deutsche Konzernchefs auf den Plan gerufen, darunter Heinrich Hiesinger von der Stahlschmiede ThyssenKrupp, Herbert Hainer vom Sportartikelhersteller Adidas und Frank Appel von der Deutschen Post. Im Interview mit der Welt kritisierten sie den Umgang der EU und der USA mit Rußland. Die drei erinnerten daran, daß in der deutschen Industrie mindestens 300000 technische Arbeitsplätze für Hochqualifizierte direkt vom Rußland-Geschäft abhängen. Wenn der Westen seine konfrontative Politik gegenüber Moskau ablegen würde und statt dessen kooperativ wäre, könnten große Veränderungen bewirkt werden. Post-Chef Appel faßte das Problem Deutschlands und Europas wie folgt zusammen: »Da wir keine bedeutenden Rohstoffvorkommen in Europa haben, werden wir immer von anderen abhängig sein, (…) und deshalb frage ich mich, ob Abhängigkeit vom Nahen Osten oder Venezuela besser ist als die von Rußland.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. April 2014


Gemeinsames Gegengewicht

Im Westen suggerieren Politiker und die Mainstreammedien, daß die chinesische Regierung Rußlands Eingliederung der Krim mißbilligt. Der angebliche Beweis: China hat sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Ungültigkeit des Referendums auf der Schwarzmeerhalbinsel der Stimme enthalten. Daß die Volksrepublik dies nur getan hat, um separatistischen Kräften in eigenen unruhigen Regionen wie Tibet und Xinjang keinen Präzedenzfall zu liefern, wird von antirussischen Scharfmachern verschwiegen. Kein Wort fällt auch darüber, daß Peking sich trotz vielfältiger Anstöße des Westens beharrlich geweigert hat, Moskau auch nur indirekt zu kritisieren. Im Gegenteil, hinter den Kulissen scheint der Kreml auf viel Wohlwollen gestoßen zu sein. Und als der russische Präsident Wladimir Putin und sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping sich am 4. März telefonisch über die Krim austauschten, hieß es seitens des Kremls, daß die Positionen »nahe beieinander« lagen. In der vergangenen Woche hat Putin China öffentlich für dessen »Verständnis für die Krim« gedankt, eine Geste die er einen Tag später gegenüber Indien wiederholte. Von diesen beiden Ländern bekam Moskau für seinen Widerstand gegen den vom Westen gesteuerten und bezahlten Staatstreich in der Ukraine so gut wie uneingeschränkte Unterstützung.

Xi zeigte im vergangenen Jahr seine besondere Wertschätzung für Putin, indem er seinen ersten Auslandsbesuch nach seinem Amtsantritt in Rußland machte. Und im Unterschied zu den meisten westlichen Staatschefs nahm der chinesische Präsident an den Eröffnungsfeierlichkeiten der Olympischen Winterspiele in Sotschi teil. Im Gegensatz zur Häme hierzulande waren die chinesischen Medien voll des Lobs für die Organisation der Wettkämpfe. Sowohl China als auch Rußland wissen, daß sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur durch ein noch engeres Zusammenrücken ein Gegengewicht gegen die Supermacht USA schaffen können. Neben der Ausweitung des bilateralen Handels bedeutet das mehr gemeinsame Investitionen in die Infrastruktur bis hin zur Intensivierung der militärischen Zusammenarbeit auf allen Gebieten. Auch bei letzterem, etwa der Lieferung des hochmodernen russischen Kampfjets Sukhoi SU-35 an China – in Diskussion seit 2010 – deuten sich jetzt Fortschritte an. (rwr)




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