Russland: Zeitdruck bei Arktisplänen
Moskau will Wirtschaftszone erweitern
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Spätestens im Dezember will Moskau der UNO Gesteinsproben und mehrere Meter Akten
übergeben. Forderungen Russlands nach Erweiterung seiner Wirtschaftszone in der Arktis, so
Minister Igor Trutnjew, zuständig für die Nutzung natürlicher Ressourcen, seien berechtigt und
könnten jetzt hieb- und stichfest bewiesen werden.
Zwar dürfte die Auswertung aller Daten der diesjährigen Arktis-Expedition noch mehrere Wochen in
Anspruch nehmen. Mit der Untersuchung des geologischen Materials, das Anfang August bei
spektakulären Tauchgängen am Pol in 4000 Meter Tiefe geborgen wurde, waren die Forscher
allerdings schon Ende letzter Woche weitgehend fertig. Ihr Fazit: Zwei Unterseegebirge in Polnähe –
der Lomonossow- und der Mendelejew-Rücken – sind die direkte Fortsetzung des sibirischen
Festlandsockels. Kommt Moskau mit seinen Forderungen durch, erweitert sich Russlands
Wirtschaftszone im Nördlichen Eismeer um rund 1,2 Millionen Quadratkilometer. In dem fraglichen
Gebiet sollen bis zu neun Milliarden Tonnen fossiler Brennstoffe lagern. Insgesamt wird in Polnähe
rund ein Viertel aller Öl- und Gasvorkommen weltweit vermutet.
Das Internationale Polarjahr, das eigentlich die Forschungskooperation fördern sollte, hat daher das
genaue Gegenteil bewirkt: Beinharte Konkurrenz im Nordpolarmeer, wo neben Russland auch
Norwegen, Schweden, Finnland, vor allem aber Dänemark und Kanada handfeste eigene Interessen
haben. Zankapfel ist der Lomonossow-Rücken, ein bis zu 3000 Meter hohes Unterwassergebirge
unter dem Pol, das sich von der Laptew-See vor Sibirien bis in die Nähe von Grönland und der
Ellesmere-Insel erstreckt. Dänemark und Kanada versuchten daher bereits mit eigenen
Expeditionen nachzuweisen, dass der Unterwasser-Höhenzug die Fortsetzung der Erdplatten ist, auf
denen ihre Inseln ruhen. Auf Russlands angeblich wasserdichte Beweise reagierten beide mit großer
Skepsis.
Bei den Gesteinsbohrungen, so ihr Argument, sei mit einer Tiefe von mal gerade 30 Zentimetern nur
der Erdmantel angekratzt worden. Ob die Forderungen rechtmäßig sind, könne erst mit Bohrkernen
aus einer Tiefe von 3000 Metern bewiesen werden. Dabei jedoch spielt die Technik gegenwärtig
noch nicht mit.
Auch sonst hat die UNO-Sonderkommission allen Grund zur Vorsicht bei der Entscheidung, weil
damit Präzedenzrecht geschaffen wird. Russland ist der erste Staat, der versucht, die Grenzen der
1982 verabschiedeten internationalen Seerechtskonvention voll auszureizen. Diese sieht
Erweiterungen der 200-Meilen-Wirtschaftszone ausdrücklich vor, wenn die Antragsteller für
entsprechende Forderungen die wissenschaftlichen Beweise vorweisen können. Genau damit aber
haperte es bei Moskaus erstem Antrag 2001. Und inzwischen wird die Zeit knapp.
Nach der Ratifizierung räumt die Konvention den Signatarstaaten zehn Jahre für Forderungen nach
Erweiterung ihrer Wirtschaftszonen ein. Russland ratifizierte 1997. Und Wladimir Putin würde seine
Präsidentschaft im nächsten März gern mit einem außenpolitischen Paukenschlag beenden. So
schnell dürfte die UNO jedoch nicht entscheiden. Auch wollen deren Experten eine von Dänemark
angeregte Konferenz über den künftigen Status des Nordpols abwarten, Sie soll Ende Mai 2008 in
Grönland stattfinden.
* Aus: Neues Deutschland, 25.09.2007
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