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Medwedjew kritisiert "aggressive Finanzpolitik" der USA - und preist Russlands Wirtschaftskraft

12. Wirtschaftsforum in St. Petersburg - Abschlüsse in Milliardenhöhe. Vier Beiträge



Gipfel des Selbstbewußtseins

Rußland inszenierte sich bei Wirtschaftsforum in St. Petersburg als Gegengewicht zum Westen. Präsident Medwedew übt scharfe Kritik an Vereinigten Staaten

Von Tomasz Konicz *

Wer im Gebiet der ehemaligen Sowjetunion Rang und Namen hat, kam am Wochenende (7./8. Juni) in St. Petersburg zusammen. Im ehemaligen Leningrad fand das 12.Wirtschaftsforum der Region statt. Neben einem Dutzend Staats- und Regierungschefs und etwa 1500 Journalisten kamen auch Rußlands Oligarchen in die Stadt an der Newa. Für besonderes Aufsehen sorgte die 115 Meter lange Jacht des Milliardärs Roman Abramowitsch, der sein Prunkstück symbolträchtig neben dem Panzerkreuzer Aurora ankern ließ. Dessen Feuersalven hatten einst die Oktoberrevolution eingeleitet.

Bestärkt durch eine boomende Wirtschaft, die ihr Wachstum größtenteils den Deviseneinnahmen aus dem Export von Energieträgern verdankt, forderte der russische Präsident Dmitri Medwedew in seiner Eröffnungsrede am Samstag (7. Juni) global agierende Konzerne zu Investitionen in Rußland auf. Sie könnten so eine »entschiedene Rolle« bei der Modernisierung des Landes spielen.

Zugleich griff Medwedew die Finanzpolitik der USA scharf an: »Einer der entscheidenden Gründe für die aktuelle Krise ist die Diskrepanz zwischen der Rolle der USA in der Weltwirtschaft und den wirklichen Kapazitäten dieses Landes.« Die »aggressive Finanzpolitik« Washingtons führe hingegen zu einer Zunahme der Armut in der Welt, bemerkte Medwedew, der sein Land als ein mögliches Gegengewicht ins Spiel brachte: »Rußland ist seit langem ein Global Player. Wir wollen nun auch die Spielregeln mitbestimmen.« Man werde Moskau zu einem »weltweit bedeutenden Finanzzentrum« ausbauen, so Medwedew weiter.

Bei Treffen mit den Staatschefs von zehn ehemaligen Sowjetrepubliken bemühte sich Medwedew überdies um eine Intensivierung der regionalen Kooperation. Von besonderer Brisanz waren die Gespräche zwischen dem russischen Präsidenten und dem georgischen sowie ukrainischen Amtskollegen Michail Saakaschwili und Viktor Juschtschenko. Die Führungen dieser Länder sind derzeit bemüht, in die NATO aufgenommen zu werden und stoßen dabei auf den erbitterten Widerstand Moskaus.

Bei den am Freitag abgehaltenen Konsultationen mit Juschtschenko warnte der russische Präsident ausdrücklich davor, weiterhin einen Beitritt zum Nordatlantikpakt anzustreben, da dies den 1997 verabschiedeten Freundschaftsvertrag zwischen Rußland und der Ukraine verletzen würde. Eine ähnliche Warnung hatten Außenminister Sergej Lawrow und Medwedew am Freitag an Saakaschwili gerichtet. Ein Beitritt Georgiens zur NATO würde eine »Spirale der Konfrontation« auslösen«, hieß es nach dem Gespräch.

* Aus: junge Welt, 9. Juni 2008


Moskau will »Spielregeln mitbestimmen«

Präsident Medwedjew beansprucht für Russland eine Führungsrolle in der Weltwirtschaft **

Der russische Präsident Medwedjew hat vor internationalen Topmanagern eine Führungsrolle seines Landes in der Weltwirtschaft beansprucht und die Finanzpolitik der USA kritisiert.

»Russland ist seit langem ein Global Player. Wir wollen nun auch die Spielregeln mitbestimmen«, sagte Dmitri Medwedjew auf einem internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg. Der Staatschef kritisierte einen »wachsenden nationalen Egoismus« der führenden Industriestaaten. Die USA seien ihrer Verantwortung als führende Finanzmacht in der jüngsten Krise nicht gerecht geworden. Auch internationalen Finanzinstitutionen wie Weltbank und Internationaler Währungsfonds stellte er ein schlechtes Zeugnis aus. »Die jüngsten Finanz- und Lebensmittelkrisen sowie eine Reihe weltweiter Katastrophen haben klar gezeigt, dass das heutige System der globalen Regulierungsinstitute den Herausforderungen nicht gewachsen ist«, erklärte Medwedjew.

Die »aggressive Finanzpolitik der USA« und eine inkorrekte Risikobewertung durch Aktiengesellschaften hätten nicht nur zu der Finanzkrise geführt. Zudem sei die Mehrheit der Menschen auf dem Planeten ärmer geworden, sagte Medwedjew. Während sich andere Länder dem Biotreibstoff gewidmet hätten und damit die weltweite Nahrungskrise verschärften, liberalisiere Russland seinen Gasmarkt und kurbele die Ölproduktion wieder an, sagte der russische Staatschef in Anspielung auf die hohe Produktion von Biokraftstoff in den USA. Russland trage mit seinen Maßnahmen zu einer »Stabilisierung der weltweiten Energiemärkte« bei.

Der russische Präsident stellte eine stärkere Präsenz seines Landes auf den internationalen Finanzmärkten in Aussicht. »Wir haben den Plan, Moskau zu einem weltweit bedeutenden Finanzzentrum auszubauen und den Rubel zur führenden regionalen Reservewährung zu machen«, sagte Medwedjew. Russland wolle noch 2008 eine große Finanzkonferenz mit Analysten, Managern und Wissenschaftlern ausrichten.

Der russische Vizepremier Igor Schuwalow kündigte einen Rückzug des Staates aus »unnötigen« Kontrollbereichen der Wirtschaft an. Noch unter Präsident Wladimir Putin waren mehr als 40 Branchen definiert worden, in denen ausländische Unternehmer nur mit staatlicher Genehmigung und unter Auflagen eine Mehrheit erwerben dürfen. Dazu zählen unter anderem die Flugzeug-, Atom- und Rüstungsindustrie sowie Flughäfen und Häfen. Die Maßnahme war im Westen als Investitionshürde kritisiert worden.

** Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2008


GUS-Gipfel verschärfte Differenzen

Russlands Präsident Medwedjew warnte Georgien und Ukraine vor einem NATO-Beitritt

Von Irina Wolkowa, Moskau ***

Korrespondenten russischer Medien fühlten sich beim informellen Gipfel der GUS-Staatschefs am Wochenende in St. Petersburg, dem ein internationales Wirtschaftsforum folgte, an die Mongolenherrschaft erinnert.

Russlands Großfürsten seien, selbst als die Macht der Goldenen Horde bereits wankte, vollzählig in Saray am Unterlauf der Wolga erschienen, wenn der Khan sie rief, und hätten von diesem sogar ihre internen Streitigkeiten schlichten lassen. Auch hätten die Vasallen trotz aller Emanzipierungsversuche damals wie heute aufmerksam registriert, wie lange die Audienzen der Kollegen beim Herrscher dauerten, um daraus Rückschlüsse auf deren Marktwert zu ziehen.

Dieser Logik folgend, waren sowohl der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko als auch Georgiens Michail Saakaschwili die großen Verlierer von St. Petersburg. Beide hatten mit jeweils einer Stunde gerechnet, wurden aber bereits nach knapp fünfzehn Minuten verabschiedet. Mehr noch: Russland neuer Präsident Dmitri Medwedjew gab klar zu erkennen, das er dem geplanten NATO-Beitritt von Tbilissi und Kiew ähnlich ablehnend gegenübersteht wie Amtsvorgänger Wladimir Putin und auch zu ähnlichen Konsequenzen wie dieser bereit ist. Verkündet wurden sie anschließend von Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Georgien warnte, den Konflikt mit seinen abtrünnigen Autonomien – Südossetien und Abchasien – durch einen NATO-Beitritt lösen zu wollen. Hoffnungen auf Besserung des gespannten Verhältnisses zu Russland hielten sich bei Georgien ohnehin in Grenzen. Zwar hatte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Alexander Lomaja, vor Beginn der Konsultationen von Medwedjew »Einsicht« dafür gefordert, dass Russland »durch seine jüngsten einseitigen Maßnahmen« – gemeint waren besondere Beziehungen zu Abchasien und die Entsendung paramilitärischer Einheiten der russischen Staatsbahnen in die Region – eine »akute Krise« der bilateralen Beziehungen heraufbeschworen habe, und auf Rückkehr zum bisherigen Zustand gedrängt.

Von Medwedjews Konfliktmanagement hatte man sich in Tbilissi zudem Aufschlüsse über dessen außenpolitischen Spielraum erhofft. Dieser, so Oppositionspolitiker David Berdsenischwili, tendiere offenbar gegen Null, da Russland an seinen bisherigen Positionen festhält. Medwedjew käme dabei auch zupass, dass Saakaschwili nach den Unruhen im November und wegen des schlechten Ergebnisses bei den Präsidentenwahlen im Januar akut geschwächt ist.

Medwedjews erste Begegnung mit seinem ukrainischen Amtskollegen Juschtschenko bezeichneten Delegationskreise als ähnlich frostig. Auch weil die Duma am Vortag Präsident und Regierung aufgefordert hatte, den 1997 mit der Ukraine geschlossenen Großen Freundschaftsvertrag zu kündigen, sollte Kiew weitere Schritte in Richtung eines NATO-Beitritts unternehmen, gegen den Russland Sturm läuft. Vor allem damit erklärten Experten Ankündigungen Medwedjews, wonach die Ukraine bereits im kommenden Jahr für russische Gaslieferungen das Doppelte berappen müsse. Offiziell begründeten er und Außenminister Lawrow dies mit erklärten Absichten der Staaten Zentralasiens, ab 2009 auch für ihre Gasexporte Weltmarktpreise zu verlangen.

Gleichzeitig aber machte Medwedjew deutlich, dass ein NATO-Beitritt Kiews gegen den Freundschaftsvertrag verstoße, in dessen Präambel sich beide Staaten als blockfrei definieren. Für weiteren Zündstoff sorgten Absichten Moskaus, seine Flottenpräsenz im ukrainischen Sewastopol aufzustocken, obwohl der Pachtvertrag für den dortigen Marinehafen 2017 ausläuft. Kiew drängt daher darauf, schon jetzt mit Verhandlungen über den etappenweisen Abzug der dort stationierten russischen Schwarzmeerflotte zu beginnen, Moskau dagegen will die Verlängerung der Abkommen.

*** Aus: Neues Deutschland, 10. Juni 2008

Aktuelle Meldung

St. Petersburger Wirtschaftsforum endet mit Abschluss von Milliardendeals ****

SANKT PETERSBURG, 09. Juni (RIA Novosti). Beim zwölften Internationalen St. Petersburger Wirtschaftsforum sind 17 größere Verträge im Gesamtwert von 14,6 Milliarden US-Dollar abgeschlossen worden.

Im vergangenen Jahr hatte der Gesamtwert der getätigten Geschäfte 13,5 Milliarden US-Dollar betragen.

Dies teilte die russische Wirtschaftsministerin Elvira Nabiullina am Montag zu den Ergebnissen des Forums mit.

Nach Angaben der Ministerin nahmen insgesamt mehr als 10 000 Besucher, darunter 2300 Delegierte und 800 Medienvertreter, am diesjährigen Forum teil. 74 offizielle Delegationen waren zu dem Forum angereist. Unter den Teilnehmern befanden sich Staatschefs, ranghohe Staatsbeamte sowie Leiter von weltweit führenden Unternehmen. Außerdem nahmen sieben Delegationen von internationalen Organisationen wie der IWF, die Weltbank und die EBWE an dem Forum teil.

Laut Nabiullina war das Forum inhaltsreich und interessant. Das zweitägige Programm umfasste zwei Plenarsitzungen, elf Konferenzen und 13 Rundtisch-Gespräche.

Die Gouverneurin von Sankt Petersburg, Valentina Matwijenko, berichtete über eine Reihe von Abkommen, die am Rande des Forums signiert wurden, sowie über andere bedeutsame Ereignisse. Dazu zählte sie die Ergebnisse der Ausschreibung für den Bau der ersten Maut-Schnellstraße im Westen des Landes.

Laut Matwijenko handelt es sich um das erste Konzessionsabkommen seit der Oktoberrevolution (von 1917) in Russland. Das Projekt sieht staatliche und private Investitionen von insgesamt rund zehn Milliarden US-Dollar vor.

Zu dem für diesen Zweck gebildeten internationalen Betreiberkonsortium ZSD Newski Meridian gehören Strabag AG, Bouygues Travaux Publics, Hochtief PPP Solutions, Egis Projects, die Aktiengesellschaft Mostrotrest 19 und Basel.

Nach Angaben der Gouverneurin werden sich die internationale Geldinstitute EBWE und Severny Bank an der Finanzierung des Projekts beteiligen. Die Finanzierung des Projektes erfolgt im Rahmen einer staatlich-privaten Partnerschaft, wobei 50 Prozent der Investitionen von Privatunternehmen und die restlichen 50 Prozent vom Staat geleistet werden. Zwei Drittel der Finanzmittel werden aus dem Investmentfonds und ein Drittel aus dem Haushalt der Stadt Sankt Petersburg geschöpft.

Im Rahmen des Wirtschaftsforums wurde auch der Grundstein für ein Hyundai-Autowerk gelegt. Der Mobilfunkbetreiber MTS und die US-Gesellschaft Intel schlossen ein Abkommen über die Umsetzung des Bildungsprojektes "Ein Schüler - ein Computer".

Unterzeichnet wurden auch Abkommen mit Developerunternehmen über den Bau eines Industrieparks und von Wohnvierteln im Gesamtwert von rund 3,5 Milliarden US-Dollar.

**** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 9. Juni 2008




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