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Russland und Westen: Weder Freundschaft noch Feindschaft, nur gegenseitiges Verstehen

Bericht von der "Waldai"-Konferenz: Brainstorming russischer und internationaler Politikexperten

Von Dmitri Kossyrew *

Die Sitzungen des Waldai-Klubs verliefen zwei Tage lang sehr fern von Moskau, in Jakutien.

Dieses Brainstorming von ausländischen Russland-Experten und ihren russischen Kollegen ist ein 2004 ins Leben gerufenes gemeinsames Projekt des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und der RIA Novosti. Seitdem finden die Konferenzen Anfang September alljährlich in verschiedenen Städten Russlands statt.

Es ist nicht erst seit einem Jahr klar: Was in den Waldai-Sitzungen besprochen wird, findet später in der internationalen Politik an der Linie Russland - Westen auf die eine oder andere Weise seine Widerspiegelung. Denn es treffen sich dabei im Grunde in dieser sensiblen Frage erfahrene Berater von Staats- und Regierungschefs.

Was erwartet Moskau im nächsten Jahr an der amerikanisch-europäischen Front, wenn man vom Verlauf des diesjährigen Treffens ausgeht? Nichts Besonderes, weder Gutes noch Schlechtes. Alles in allem eine Pause.

Die diesjährige Konferenz verlief in vier Tagungen. Die Themen lauteten ungefähr wie folgt: Ist ein Kalter Krieg im Gange? Sind die neuen Herausforderungen danach angetan, Russland und den Westen einander näher zu bringen oder zu entzweien? Wie steht es um den "Neustart" in den Beziehungen Russland - USA? Und wie muss sich die europäische Architektur verändern?

Bei all den unterschiedlichen Meinungen lautete die Antwort: Keine Rede von einem Kalten Krieg, es ist einfach so, dass wir uns bisweilen zanken, aber eher schlaff. Das geschieht deshalb, weil vergessen wurde, besagten Kalten Krieg, wie es sich gehört, mit einem Friedensvertrag zu beenden. Zudem hält sich jede Seite für den Sieger, weshalb sich überaus zahlreiche Reizfaktoren, viel Unverständnis angesammelt haben und jede Seite der anderen müde ist.

Aber deshalb etwas tun, das heißt, jenen Friedensvertrag ausarbeiten? Selbst wenn das geschieht, dann nur zwischen den USA und Russland, und auch das nur äußerst vorsichtig. In Europa ist überhaupt keine Bewegung zu bemerken, zwar sind die Europäer über die heutige Situation nicht erfreut, jedoch nicht bereit, etwas daran zu ändern.

Gemäß den Regeln des Waldai-Klubs ist ein direktes Zitieren von Stellungnahmen auf der Konferenz verboten. Es kommt jedoch nicht so sehr darauf an, wer etwas gesagt hat, wichtiger ist das Was. Wichtig ist außerdem, was nicht gesagt wurde. Über den vorjährigen Krieg, über Georgien (und selbst über die Ukraine) - so gut wie nichts. Über die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Moskau - so gut wie nichts. Vorbei, vorüber, und hier werden alle von allen verstanden.

Was den "Neustart" in den Beziehungen zu den USA angeht, so drohten Gäste, die der Republikanischen Partei nahe stehen: Wenn ihr von Obama alles, was ihr wolltet, bekommt, ohne ihm etwas als Gegenleistung zu geben, so werden wir, einmal wieder an der Macht, einen gänzlich anderen Neustart vornehmen. Menschen aus Obamas näherer Umgebung äußerten den gleichen Gedanken, aber in etwas gemilderter Form.

Was gab es noch Interessantes? Erklärungen bezüglich der schlaffen europäischen Reaktion auf beliebige russische Initiativen. Wortwörtlich: "Der Westen wird die Entwicklung in Russland - eine Stärkung oder Schwächung - abwarten." Kommt Russland geschwächt aus der Krise hervor, so wird es alle Bedingungen annehmen. Wenn es sich aber stärkt... Hier reicht die Einbildungskraft vorläufig nicht weiter, offenbar wird an eine solche Option nicht sehr geglaubt.

"Der nicht sinkende Grad der Rhetorik der russischen Führung zu diesen Fragen ist kontraproduktiv": Folglich hat es keinen Sinn, die Europäer zu animieren und ihnen ins Gewissen zu reden. Das betrifft auch die Beziehungen zu den USA, bei denen vorläufig den wichtigsten Reizfaktoren vorsorglich ausgewichen wird.

Apropos Reizfaktoren: Gleich zwei Menschen, ein Franzose und ein Russe, äußerten den Gedanken, dass das Gerede von der Demokratie für lange Zeit von den Erörterungsthemen auszuschließen sei, denn sonst reizen sich die Seiten noch mehr.

Mit der Promotion der Demokratie (nicht nur nach Russland und nicht nur bei dessen Nachbarn) hat sich der Westen überhaupt über die Gebühr eifrig gezeigt, indem er die Erfahrungen der Wühlarbeit der Komintern zwischen beiden Weltkriegen kopierte - und nun auf die gleichen Probleme gestoßen ist wie die letztendlich bankrotte Komintern.

Es gab viele pessimistische Äußerungen über die Zukunft. Erstens schrumpft der Einfluss sowohl der USA und Europas als auch Russlands zusammen. Zweitens denken wir immer noch in den Kategorien von Staaten, dabei "hat eine Konfrontation von nicht staatlichen Kräften begonnen. Die Grenzen und Staaten haben im heutigen Kampf nicht die frühere Bedeutung, und die Aufgabe heißt, zu erreichen, dass die neuen Realitäten nicht zu Kriegen führen."

Schließlich noch etwas: Der Waldai-Klub hatte es gut in Jakutien. Die Behörden der russischen Teilrepublik in Ostsibirien organisierten eine Schifffahrt zu den natürlichen Felsensäulen am Lena-Ufer (das war herrlich) und das Erlebnis "Eishöhlen-Besuch". Ohne lebende und tote Mammute kam man aus. Die Gäste wurden darüber aufgeklärt, dass die globale Erwärmung Jakutien mit seinen ewigen Frostböden bisher nicht sehr beunruhigt.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 11. September 2009; http://de.rian.ru



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