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Putins Sieg polarisiert

Tausende Kremlkritiker protestierten in Moskau / Opposition droht die Spaltung

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Sicherheitskräfte waren am Montagabend (5. März) in Moskau massiv präsent. Trotzdem protestierten Tausende Kremlkritiker gegen den Sieg Wladimir Putins bei der Präsidentenwahl. Es gab zahlreiche Festnahmen.

Alle 250 Teilnehmer von Massenprotesten, die die Polizei in Moskau am Montagabend festnahm, sind inzwischen wieder auf freiem Fuß und warten auf ein Verfahren vor dem Friedensrichter. Ihnen drohen bis zu 15 Tage Arrest und Ordnungsstrafen von 2000 Rubel, das sind etwa 50 Euro.

Das amtliche Wahlergebnis

Die Zentrale Wahlkommission Russlands hat das offizielle Ergebnis der jüngsten Präsidentenwahl in der Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta" am Donnerstag (8. März) veröffentlicht.

Demnach haben 45 602 075 Bürger für Regierungschef Wladimir Putin votiert. Das entspricht 63,6 Prozent der Stimmberechtigten, die an der Wahl teilgenommen haben. Die Wahl wurde für gültig erklärt. Für den entsprechenden Beschluss stimmten am Mittwochabend alle 15 Mitglieder der Wahlleitung.

Beim Urnengang am 4. März war Kommunistenchef Gennadi Sjuganow mit 17,18 Prozent der Stimmen auf Platz zwei gelandet. Ihm folgten der Milliardär Michail Prochorow (7,98 Prozent), der Vorsitzende der Liberaldemokratischen Partei (LDPR), Wladimir Schirinowski (6,22 Prozent) und der Chef der Partei Gerechtes Russland, Sergej Mironow (3,85 Prozent).



Nach Angaben der Polizei waren es rund 14 000 Menschen, nach Darstellung der Organisatoren bis zu 60 000, die sich auf dem Moskauer Puschkinplatz eingefunden hatten, um gegen Manipulationen bei der Präsidentenwahl am Sonntag zu protestieren. Dabei wurden erneut auch Forderungen nach Wiederholung der Parlaments- wie der Präsidentenwahl laut. Ebenso nach Rücktritt von Wladimir Tschurow, Russlands Oberstem Wahlleiter, nach Freilassung all jener, die die Opposition zu politischen Gefangenen erklärt hat und nach Abschaffung der Zulassungspflicht für Parteien. Der dazu von Noch-Präsident Dmitri Medwedjew eingebrachte Gesetzentwurf, den die Duma in erster Lesung bereits behandelte, geht der außerparlamentarischen Opposition nicht weit genug. Die Stadtregierung hatte die Kundgebung genehmigt. Die Polizei griff daher erst ein, als ein Teil der Protestler sich nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung weigerte, den Platz zu räumen. Bürgerrechtler kritisierten den »unverhältnismäßigen« Einsatz von Gewalt dabei. In der Tat wurden viele Protestierende bei der Festnahme über den Schnee geschleift, darunter auch Frauen. Vier Personen mussten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.

Zuvor hatten Ordnungskräfte bereits ein nicht genehmigtes Meeting des ultra-radikalen Flügels der außerparlamentarischen Opposition auf dem Lubjanka-Platz, in dessen Nähe sich die Zentrale Wahlkommission befindet, mit Gewalt aufgelöst. Auch dort kam es zu Festnahmen.

Führer des radikalen Flügels der Protestbewegung - darunter der Blogger Alexej Nawalny, Nationalist und Verfechter der Legalisierung von freiem Waffenbesitz, und der Chef der »Linken Front«, Sergej Udalzow - hatten, noch bevor der erste Stimmzettel in die Urne flog, Gewaltbereitschaft erkennen lassen. Anhänger Nawalnys versuchten Ende voriger Woche sogar, Zelte für ein Dauermeeting wie bei der »Revolution in Orange« 2004 in der Ukraine zu verteilen. Ordnungskräfte hatten dies jedoch vereitelt und General Wladimir Kolokolzew, der Chef der Moskauer Polizei, die Opposition ausdrücklich davor gewarnt, es auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen. Gemeint waren vor allem Aufrufe der Radikalen in virtuellen sozialen Netzen, sich zu den Protesten mit Knüppeln zu bewaffnen.

Pragmatiker wie Expremier Michail Kasjanow oder der Liberale Boris Nemzow hatten sich mit aller Deutlichkeit von Gewaltanwendung distanziert. Die Masse misstraut ehemaligen Politikern jedoch gründlich und argwöhnt, diese könnten sich erneut mit der Macht arrangieren. Eskaliert der Konflikt zwischen Radikalen und Programmatikern weiter, ist die Spaltung der Protestbewegung eine bloße Zeitfrage.

Die nicht genehmigte Fortsetzung der Kundgebung mindert auch die Chancen der Opposition, sich mit der Stadtregierung über weitere Proteste zu einigen. Auf die für Donnerstag und Freitag geplanten Meetings haben die Organisatoren - auch wegen geringen Zuspruchs - bereits verzichtet. Am Sonnabend planen sie einen Marsch über den Neuen Arbat oder den Kutusow-Prospekt, die Straße nach Westen, die auch Putin und Medwedjew für die Fahrt zu ihren Residenzen benutzen.

* Aus: neues deutschland, 7. März 2012


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