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Anschlag auf Moskauer Flughafen

Mindestens 35 Menschen starben bei Selbstmordattentat im Airport Domodedowo *

Bei einem Selbstmordanschlag auf dem internationalen Moskauer Flughafen Domodedowo sind am Montag (24. Jan.) mindestens 35 Menschen getötet und bis zu 130 verletzt worden.

Vermutlich sprengte sich auf dem Flughafen Domodedowo ein Attentäter aus dem Konfliktgebiet im russischen Nordkaukasus, wie russische Medien berichteten. Staatspräsident Dmitri Medwedjew schaltete den Inlandsgeheimdienst FSB ein und ordnete im ganzen Land erhöhte Alarmbereitschaft an. Auf Flughäfen und Bahnhöfen gelte von sofort an eine erhöhte Sicherheitsstufe, sagte Medwedjew am Montag im Staatsfernsehen.

Die Explosion, deren Wucht der Detonation von fünf bis zehn Kilogramm TNT entsprach, habe sich um 16.32 Uhr (14.32 Uhr MEZ) in der Ankunftshalle in der Nähe eines Cafés ereignet, meldeten russische Agenturen unter Berufung auf die Polizei. Auch Stunden nach dem Anschlag flossen Informationen über das Geschehen am modernsten Moskauer Flughafen nur spärlich: Selbst das russische Fernsehen zeigte zunächst keine eigenen Bilder, sondern brachte Videos, die Augenzeugen auf YouTube und andere Internet-Plattformen hochluden. Nach unbestätigten Berichten explodierten zwei Sprengsätze, die mit Metallstücken gefüllt waren. Dichter Rauch, Trümmer und Glassplitter in der Halle erschwerten die Bergungsarbeiten, berichteten Augenzeugen. Rund 50 Krankenwagen rasten zu dem etwa 45 Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Flughafen. Die Verletzten wurden in mindestens vier Kliniken gebracht.

Nach dem Anschlag gab es zunächst keine Hinweise auf deutsche Opfer. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, es gebe noch keine verlässlichen Angaben zur Herkunft der Toten und Verletzten. Mitarbeiter der deutschen Botschaft seien aber bereits am Flughafen und im Kontakt mit den russischen Behörden. Die russischen Behörden stoppten zunächst alle internationalen Flüge in Domodedowo, darunter auch Landungen der deutschen Gesellschaften Air Berlin und Lufthansa. Die Maschinen wurden auf die beiden anderen Moskauer Flughäfen Wnukowo und Scheremetjewo umgeleitet. Schon nach kurzer Zeit wurde der Flugbetrieb auf Domodedowo wieder aufgenommen.

Der internationale Flughafen Domodedowo ist der modernste und größte Airport der russischen Hauptstadt. 2009 wurden dort 18,7 Millionen Passagiere abgefertigt. Nach Angaben der Eigentümer-Gruppe East Line wird Domodedowo gegenwärtig von 77 Airlines angeflogen, 36 davon sind ausländische Fluggesellschaften. In den vergangenen Jahren wechselten mehrere internationale Airlines zu dem komplett renovierten Airport Domodedowo.

Medwedjew kritisierte, dass offenbar zu laxe Sicherheitsvorkehrungen zu dem Anschlag geführt hätten. Wegen der aktuellen Lage sagte er seine Eröffnungsrede auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos ab, zu dem er am heutigen Dienstag fliegen wollte. Regierungschef Wladimir Putin schaltete sich in die Ermittlungen ein. Die Sicherheitskräfte suchen nach drei verdächtigen Männern. Die Moskauer Behörden versetzten auch die beiden anderen internationalen Moskauer Flughäfen sowie die Metro in Alarmbereitschaft. In der U-Bahn gab es im März 2010 einen Selbstmordanschlag mit 40 Toten. Die Täterinnen kamen damals aus dem Unruhegebiet Nordkaukasus.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zeigte sich »geschockt« über das Attentat. Der Terrorismus sei eine »gemeinsame Bedrohung, der wir uns vereint stellen müssen«. Daher müssten die NATO und Russland ihre Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus verstärken.

* Aus: Neues Deutschland, 25. Januar 2011


Deutscher unter Toten des Terroranschlags in Moskau

Fast ein Drittel der Verletzten in kritischem Zustand / Dmitri Medwedew wies Flughafenbetreiber Verantwortung zu **

Bei dem Terroranschlag im Moskauer Flughafen Domodedowo ist nach Angaben des russischen Katastrophenschutzministeriums auch ein Deutscher ums Leben gekommen. Neben sieben anderen Ausländern sei auch ein im Jahr 1976 geborener deutscher Staatsbürger getötet worden, teilte die Behörde am Dienstag mit. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte dies zunächst nicht. »Wir gehen Hinweisen nach, wonach ein deutscher Staatsangehöriger ums Leben gekommen ist«, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur AFP. Er bestätigte zugleich, dass sich unter den Verletzten eine »Person mit deutscher Staatsangehörigkeit« befinde.

Nach Angaben des Katastrophenschutzministeriums in Moskau starben bei dem Anschlag auch zwei Briten, ein Bulgare und eine Ukrainerin, außerdem insgesamt drei Menschen aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien. Von 110 verletzten Menschen befinden sich dem Gesundheitsministerium zufolge 33 in einem kritischen Gesundheitszustand. Bei dem mutmaßlichen Selbstmordanschlag waren am Montagnachmittag mindestens 35 Menschen ums Leben gekommen. Die Explosion hatte sich in der Ankunftshalle des internationalen Terminals ereignet.

Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete am Dienstag (25. Jan.) unter Berufung auf Polizeikreise, dass der Anschlag möglicherweise von einer Attentäterin und einem Komplizen verübt wurde. Die Explosion habe sich in einem Moment ereignet, als eine Frau in Begleitung eines Mannes ihre Tasche geöffnet habe.

Russlands Präsident Dmitri Medwedew bezeichnete das Unglück als »Terrorakt« und wies dem Flughafenbetreiber die Verantwortung dafür zu. Es müsse »eindeutig Sicherheitslücken« gegeben haben, um »eine solch große Sprengstoffmenge« in den Flughafen zu bringen, wurde Medwedew von der Nachrichtenagentur Interfax zitiert.

** Aus: Neues Deutschland (online), 25. Januar 2011


Medwedew will „totale Kontrollen“ statt „Anarchie“ in Domodedowo ***

Es ist dem Attentäter leicht gefallen, in den Flughafen Domodedowo zu gelangen, stellen die Ermittler einen Tag nach dem blutigen Anschlag fest. Im Airport herrschte „Anarchie“, bekräftigt Präsident Medwedew und fordert „totale“ Kontrollen.

„Jetzt steht fest, dass es dem Terroristen nicht schwer gefallen war, in die Halle zu geraten, wo es dann zur Explosion kam. Denn ein effizientes Kontrollsystem am Flughafen-Eingang hat faktisch gefehlt“, sagte Wladimir Markin, Sprecher des russischen Ermittlungskomitees, am Dienstag.

Auch Präsident Dmitri Medwedew bekräftigte am Dienstag seine Vorwürfe gegen den Airport. In Sachen Sicherheit habe dort „Anarchie“ geherrscht, so der Kreml-Chef bei einer Beratung mit Geheimdienstlern. In die Wartehalle, wo man angekommene Fluggäste abhole, habe man praktisch ohne Kontrollen gelangen können.

Vom Inlandgeheimdienst FSB und dem Innenministerium forderte Medwedew, die Schuldigen an den entdeckten Sicherheitslücken zu entlassen und bei Bedarf zur Strafverantwortung zu ziehen.

Man werde im Transportwesen „totale“ Personen- und Gepäckkontrollen einführen müssen. „Für Passagiere nehmen diese Kontrollen wahrscheinlich mehr Zeit in Anspruch, das ist aber der einzige Ausweg“, so Medwedew.

Die Zeitung „Moskowski Komsomolez“ schrieb unterdessen, der Attentäter sei wahrscheinlich mit einem Auto zum Flughafen gekommen. Vom Parkplatz aus komme man praktisch ungehindert in die Wartehalle des internationalen Terminals, denn der Metall-Suchrahmen am Eingang funktioniere fast nie, hieß es. Der Selbstmordanschlag am frühen Montagabend hatte mindestens 35 Todesopfer gefordert.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 25. Januar 2011; http://de.rian.ru


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