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Russische Märsche mit »deutschem Gruß«

Rechtsextreme und Nationalisten machten in Moskau zum Staatsfeiertag mobil / Nawalny rief zur Teilnahme auf

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Russlands Staatsfeiertag stand am Montag in Moskau im Zeichen der Rechtsextremen: Sie formierten sich zum »Russischen Marsch«.

Gleich an zwei Orten durften sich Nationalisten am diesjährigen 4. November zusammenrotten: im Süden und im Norden der Hauptstadt Russlands. Ihr Ziel ist ein Nationalstaat mit eindeutigen Privilegien für die Titularnation. Die Organisatoren hatten mit 15 000 Teilnehmern gerechnet, trotz strömenden Regens kamen nach Polizeiangaben immerhin 8000.

Gut zwei Dutzend der Demonstranten wurden zeitweilig festgenommen. Sie hatten Plakate mit Losungen mitgeführt, die unter den Straftatbestand »Anstiftung zu ethnischem Hass« fallen. Darüber hinaus sah man nationalsozialistische Symbolik.

Es gebe drei Tage im Jahr, sagte der Kirgise Onurbek, der bei der Moskauer Stadtreinigung arbeitet, an denen er sein Wohnheim »nicht einmal, wenn sie mir kündigen« verlassen würde. Er meinte den 20. April als »Führers Geburtstag« und den 2. August als »Tag der Luftlandetruppen«, an dem aktive und ehemalige Soldaten im Wodka-Dusel gern Jagd auf Arbeitsmigranten nichtslawischen Aussehens machen. Dazu kommt der 4. November, Russlands Staatsfeiertag, der 2005 als Ersatz für den Jahrestag der Oktoberrevolution am 7. November eingeführt worden war. Die Nation soll der Vertreibung der polnisch-litauischen Okkupanten durch die Moskauer Bürgerwehr im Jahre 1612 gedenken. Rechtsextreme tun das auf ihre Weise: mit »Russischen Märschen«, bei denen Hunderte, die Hand zum »deutschen Gruß« erhoben, fremdenfeindliche Parolen grölen. Die Stadtregierung tut sich bei der Genehmigung von Demonstrationen von Oppositionellen aus dem liberalen und dem linken Lager schwer. Bei der Heerschau der Neonazis sieht sie offenbar keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung.

Auch Politiker, die auf dumpfe Fremdenfeindlichkeit setzen, sind damit auf der sicheren Seite. Ein Beispiel ist der wegen seiner Gegnerschaft zu Wladimir Putin voreilig zum Demokraten geadelte Alexej Nawalny. Er fuhr bei den Oberbürgermeisterwahlen in Moskau im September 27 Prozent der Stimmen ein. Seine Fans rief er nun ausdrücklich zum »Russischen Marsch« auf.

Ein »Extremismusgesetz« trat im Jahr 2005 in Kraft. Auch faschistoide Organisationen mussten sich damals auflösen. Vom Tisch ist das Problem nicht. Der »Abschaum Russlands«, so Alexander Werchowski von »Sowa«, einer auf die Beobachtung Rechtsextremer spezialisierten nichtstaatlichen Organisation, mache im Untergrund weiter. Werchowski rechnet mit russlandweit mehr als 50 000 aktiven Neonazis und mindestens ebenso vielen Sympathisanten. Die meisten sind unter 30 Jahre alt, viele minderjährig und häufig gewaltbereit. Immer wieder empört sich die demokratische Öffentlichkeit über Morde und Überfälle mit rassistischem Hintergrund. Opfer sind häufig auch Bürger Russlands aus dem Nordkaukasus. Die Täter kommen zum Teil mit milden Strafen davon. Die Geschworenen haben nicht nur mit dem zarten Alter der Delinquenten Mitleid, sondern zuweilen auch Verständnis für deren Motive.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 5. November 2013


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