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Putin punktet mit Punkerinnen

Amnestie des russischen Präsidenten bringt auch den Pussy-Riot-Frauen die Freiheit zurück

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Als junge Frauen, die wegen Rowdytums verurteilt wurden und kleine Kinder haben, fielen auch die Punkerinnen von Pussy Riot unter die Amnestie des Präsidenten.

Nicht nur der kremlkritische Oligarch Michail Chodorkowski kann das Fest der Liebe im trauten Kreis der Familie begehen. Am Montag öffneten sich in Russland die Lagertore auch für andere bekannte Häftlinge: die 25-jährige Maria Aljochina und die ein Jahr jüngere Nadjeshda Tolokonnikowa, Mitglieder der feministischen Aktionsgruppe Pussy Riot.

Die Performance-Gruppe hatte kurz vor den Präsidentenwahlen im März 2012 in der Moskauer Christus- Erlöserkirche ein »Punk-Gebet« an die Muttergottes um Vertreibung Putins gerichtet und dabei die orthodoxe Liturgie persifliert. Aljochina und Tolokonnikowa kassierten dafür jeweils zwei Jahre Haft wegen Rowdytums. Als Dritte im Bunde kam die 30-jährige Jekaterina Samuzewitsch mit zwei Jahren auf Bewährung davon.

Das Urteil hatte im Westen für Aufregung gesorgt. Prominente Künstler wie Sting oder Peter Gabriel hatten sich mit den Frauen solidarisiert: Ihre Performance in der Kirche sei durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt. So sahen das auch Regimegegner in Russland. Dort allerdings nannten selbst Wohlgesinnte den Auftritt in der Kirche geschmacklos, die Reaktion der Justiz sei jedoch unverhältnismäßig gewesen und habe einer talentfreien Band unverdient zu hoher Bekanntheit verholfen.

Aljochina und Tolokonnikowa fallen unter die Amnestie, die das russische Parlament – die Duma – auf Vorschlag Putins und seines Beirats für Menschenrechte Mitte Dezember zum 20. Jahrestag der Verfassung erlassen hatte. Sie erstreckt sich auf gewaltfreie, geringfügige Vergehen. Berücksichtigt werden auch humanitäre Gründe. Die beiden Pussy-Frauen sind Mütter kleiner Kinder.

Die Amnestie habe mit Humanismus nichts zu tun, sei eine Farce und ein PR-Gag des Kremlchefs, erregte sich Aljochina in ihrem ersten Interview in Freiheit, das sie dem oppositionellen Fernsehsender Doschd (Regen) gab. Von dem Schock, den sie angeblich bei der Freilassung bekam, war dabei nichts zu merken. Sie werde vorerst nicht nach Moskau zurückkehren, erklärte sie, und sich künftig vor allem für den Schutz von Menschenrechten engagieren. Gleich nach der Freilassung hatte sie dazu die örtliche Vertretung des »Komitees gegen Folter« in Nishni Nowgorod aufgesucht. In der Nähe der Wolgastadt hatte sie ihre Strafe verbüßt.

»Russland ist nach dem Modell einer Strafkolonie aufgebaut«, klagte Nadjeshda Tolokonnikowa kurz nach ihrer Freilassung in Krasnojarsk, wo sie den letzten Haftmonat im Krankenhaus verbrachte. »Straflager und Gefängnisse sind das Gesicht des Landes.« Zum Dialog mit den beiden Aktionsfrauen ist inzwischen aber sogar die Russisch-Orthodoxe Kirche bereit. Wsewolod Tschaplin, oberster Öffentlichkeitsarbeiter im Moskauer Patriarchat, bescheinigte ihnen im Gespräch mit RIA Novosti eine gewisse Läuterung.

Beobachter rechnen damit, dass auch die 30 Greenpeace-Aktivisten, die im September versucht hatten, per Schiff eine Ölbohrplattform im Eismeer zu stürmen, Russland bald verlassen können und das gegen sie laufende Verfahren wegen Rowdytums eingestellt wird. Die Duma hatte in letzter Minute Putins Entwurf des Amnestie-Erlasses so korrigiert, dass sich der Straferlass nicht nur auf rechtskräftig Verurteilte erstreckt, sondern auch auf Angeklagte in schwebenden Verfahren.

Unter die Amnestie fallen auch Teilnehmer der Massenproteste gegen eine dritte Amtszeit Putins, die nach Unruhen in Moskau im Mai 2012 in U-Haft kamen. Der Prozess soll nur jenen gemacht werden, die sich wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten müssen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. Dezember 2013


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