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Putins Versöhnungsgeste gegenüber Polen

Russlands Ministerpräsident wird im April gemeinsam mit Donald Tusk der Opfer von Katyn gedenken

Von Krzysztof Pilawski, Warschau *

Historische Versöhnungsgeste: Der russische Regierungschef Wladimir Putin hat seinen polnischen Kollegen Donald Tusk eingeladen, im April - 70 Jahre nach der Ermordung polnischer Soldaten in Katyn durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD - gemeinsam der Opfer zu gedenken.

Wladimir Putins Einladung an Donald Tusk ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der polnische Ministerpräsident und dessen politisches Lager in Moskau als Partner betrachtet werden, mit denen man sprechen und Geschäfte machen kann. Polens Staatspräsident Lech Kaczynski und die durch seinen Bruder geführte Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gehören nicht dazu.

Die Kaczynski-Brüder zahlen einen gepfefferten Preis für ihre Kardinalfehler in der Ostpolitik. Im Januar ignorierte Dmitri Medwedjew Kaczynskis Einladung zu den Feierlichkeiten aus Anlass des 65. Jahrestags der Befreiung von Auschwitz. Der als einer der engsten Verbündeten des polnischen Staatspräsidenten geltende Ukrainer Viktor Juschtschenko erklärte gleichsam als Abschiedsgruß Stepan Bandera zum untadeligen Streiter für die ukrainische Unabhängigkeit, was in Polen manches Kopfzerbrechen hervorrief.

Vor den Wahlen 2005 beschuldigten die Kaczynski-Brüder die damals regierenden Sozialdemokraten und den damaligen Präsidenten Aleksander Kwasniewski, sie seien Moskau gegenüber zu nachgiebig. Als Kwasniewski zum 60. Jahrestag des Sieges über den Faschismus nach Moskau reiste, argwöhnte Jaroslaw Kaczynski, Moskau verfüge über Dokumente über die Vergangenheit des Präsidenten, die Kwasniewski in seinen Entscheidungen befangen machten. Das ganze gipfelte in der Vermutung, Polens Runder Tisch im Februar 1989 sei überhaupt ein Werk des KGB gewesen. Im Lager der Kaczynskis standen plötzlich alle Außenminister Polens nach 1989 unter Generalverdacht.

Als Lech Kaczynski dann zu präsidieren anfing, stellte er die Bedingung, zunächst müsse Russlands Präsident nach Warschau kommen, dann erst könne er den Kreml besuchen. Als sich Donald Tusk nach den gewonnenen Parlamentswahlen 2007 in Moskau zeigte, wurde er beschimpft wie zuvor Kwasniewski.

Jetzt aber, da seine Amtsperiode abläuft, möchte Lech Kaczynski plötzlich doch ganz gerne nach Moskau reisen, denn an den Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag des Sieges über den Faschismus würde er, wie aus seiner Umgebung verlautet, gerne teilnehmen. Die Uhr des Wahlkampfs beginnt zu ticken.

Donald Tusk darf also zufrieden sein, auch wenn er 2005 die Moskau-Reise Kwasniewskis noch ganz im Stile der Kaczynski-Brüder bewertete. Nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen 2007 zeigte sich Tusk rasch in einem anderen Licht. Er verzichtete darauf, Moskau Bedingungen zu stellen. Er machte auch Katyn nicht zu einer solchen. Er kehrte die Kaczynski-Logik um, denn er erkannte, dass gute polnisch-russische Beziehungen die Voraussetzung für die Klärung schwieriger Fragen aus der Vergangenheit sein können.

Die pragmatische Sicht erwies sich als richtig. Während des Tusk-Besuchs in Moskau erklärte Putin, Katyn sei ein stalinistisches Verbrechen. Am 1. September 2009 nahm er an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Gdansk teil. Den Ribbentrop-Molotow- Pakt nannte er »unmoralisch«. Das PiS-Lager dagegen versuchte mit Unterstützung des Staatspräsidenten, den sich anbahnenden Dialog zu stören, verlangte es doch, in der Sejm- Resolution zum 17. September 1939 Katyn als »Völkermord« zu bezeichnen, während alle anderen Parlamentsparteien die Bezeichnung »Kriegsverbrechen« für angemessen hielten.

Putins Geste ist hoch anzuerkennen. Der russische Premier könnte viele Gründe anführen, schickte er nur einen Minister nach Katyn. Für die Mehrheit der Menschen in Russland wäre das ein völlig normaler Vorgang, denn wozu muss man sich Asche aufs Haupt streuen vor Nachbarn, die in weiten Teilen der Öffentlichkeit als voreingenommen und misstrauisch gelten. Außerdem gibt es in Russland auch heute noch einflussreiche Kreise, die die Schuld für Katyn den Deutschen oder gar den Polen selbst geben.

Weshalb entschied Putin anders? Wohl gleichfalls aus pragmatischen Gründen, denn Polens politisches Gewicht in der EU nimmt zu, das Land ist außerdem ein wichtiger werdender Handelspartner. In Polen also einen Partner zu suchen verspricht mehr, als es einer Koalition feindlich gesinnter Staaten zu überlassen.

Zum ersten Mal wird ein russischer Regierungschef an den Gedenkfeierlichkeiten in Katyn teilnehmen. Auch ohne Ansprache wird das ein historisches Ereignis werden. Eine weitere Etappe im Ringen um geschichtliche Verständigung findet ihren Abschluss. Begonnen hatte, als Wojciech Jaruzelski und Michail Gorbatschow 1987 eine gemeinsame Historikerkommission beriefen. Im April 1990 übergab Gorbatschow im Kreml Jaruzelski Dokumente, die davon zeugten, dass die Verantwortung für das Verbrechen bei den Machtstrukturen der UdSSR lag. Lech Walesa und Aleksander Kwasniewski erhielten durch Boris Jelzin die wichtigsten Katyn-Dokumente, die russischen Behörden erklärten sich einverstanden mit der Einrichtung von Ehrenfriedhöfen an den Verbrechensorten. Den mit Abstand kleinsten Anteil an der polnisch-russischen Verständigung hat der amtierende Staatspräsident Lech Kaczynski.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2010


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