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Opposition in der Duma oder auf der Straße

Linker russischer Regierungskritiker unter Hausarrest gestellt

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Was wird aus der russischen Protestbewegung, die vor einem Jahr – nach den Parlamentswahlen im Spätherbst 2011 – ihren Zenit erreichte, danach jedoch zusehends an Zustrom verlor?

Ein Gericht in Moskau ordnete am Sonnabend für den des gewaltsamen Umsturzversuches angeklagten Regierungskritiker Sergej Udalzow zwei Monate Hausarrest an. Gemeinsam mit Ilja Ponomarjow hatte der Führer des linken Flügels der Protestbewegung für den 2. März zu einem sozialen Marsch in Moskau aufgerufen. Dabei soll es um Dinge gehen, die den Massen wirklich unter den Nägeln brennen: Instandsetzung und Modernisierung von Plattenbauten aus Haushaltsmitteln der Stadt und Volksentscheide zu wichtigen Bauvorhaben. Bei der Demonstration wollen beide Politiker für ein Wahlbündnis werben, das sie gleich danach gründen wollen. Arbeitstitel: Moskauer Bürgerunion. Der Zeitpunkt ist mit Bedacht gewählt. Im September bestimmen die Moskauer die Zusammensetzung ihrer neuen Stadtverordnetenversammlung, der Stadtduma.

Die Bürgerunion will ins Wahlrennen gehen und über ihre Kandidatenliste demokratisch im Internet abstimmen lassen. Außerdem fordert sie, die Anzahl der Mandate im Stadtparlament zu erhöhen. Ilja Jaschin, auch er gehört zum Politnachwuchs der Opposition, ist aber dem sozialliberalen Flügel zuzurechnen, hält soziale Forderungen für richtig und längst überfällig. Mit abstrakten politischen Losungen, die bisher Markenzeichen der Massenproteste waren, würden die Gegner Wladimir Putins den Quantensprung zu einer politisch relevanten außerparlamentarischen Opposition nicht schaffen. Die Bildung des Wahlbündnisses sei dennoch ein Fehler, denn es vollende die organisatorische Spaltung der Bewegung.

Die Mehrheit der Beobachter sieht das ähnlich. Der unabhängige Politikwissenschaftler Dmitri Oreschkin vermutet als Grund wachsende Differenzen im Führungsorgan der Protestbewegung, dem im Oktober gewählten Koordinationsrat. Dort gäben Liberale den Ton an, Linke wie Ponomarjow und Udalzow hätten wenig Einfluss auf Entscheidungen und würden daher versuchen, eigene Strukturen aufzubauen. Mit sozialen Forderungen können sie nach Oreschkins Meinung aber nur bei den klassischen Industriearbeitern punkten, die sich »ein kleines Stück Sowjetunion« zurückwünschen. In Großstädten wie Moskau dagegen würde ihre ohnehin überschaubarer Anhang weiter schrumpfen.

Die Akteure selbst sehen das anders und hoffen zudem auf Unterstützung durch die in der Duma vertretenen Oppositionsparteien, die sich bisher der Kooperation mit der Protestbewegung verweigerten. Und auch diesmal dürfte es damit kaum etwas werden. Schon Mitte Januar stellte die Mitte- Links-Partei »Gerechtes Russland« allen Fraktionsmitgliedern, die sich in der Protestbewegung engagieren, ein Ultimatum: Binnen eines Monats müssten sie ihr Mandat im Koordinationsrat niederlegen, andernfalls ihr Parteibuch abgeben. Damit würden sie über kurz oder lang wohl auch ihren Sitz im Parlament los.

Betroffen sind neben Ponomarjow auch Dmitri Gudkow, der Sohn Gennadi Gudkows, dem der Ethikausschuss im Herbst auf Initiative der Kremlpartei »Einiges Russland« das Mandat aberkannte, und Oleg Schein. Er wurde landesweit durch seinen Hungerstreik gegen Manipulationen bei der Stimmauszählung nach der Bürgermeisterwahl in Astrachan bekannt. Schein hatte dort kandidiert und gegen den Bewerber der Kremlpartei verloren. Allen drei Abgeordneten werfen Partei- und Fraktionsführung vor, die »gesellschaftliche Resonanz ihrer Aktionen « schädige die Partei. Gemeint war offenbar ihre prominente Rolle bei der Januar-Demonstration gegen das vom Parlament beschlossene Verbot der Adoption russischer Kinder durch Pflegeeltern in den USA. Dafür hatten über 400 der 450 Duma-Abgeordneten – darunter auch fast alle »Gerechten Russen« – und nahezu alle Senatoren gestimmt. Die Demonstranten führten ihre Fotos mit sich, darauf stand »Posor« (Schande).

* Aus: neues deutschland, Montag 11. Februar 2013


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