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Außenminister Lawrow: "Unsere mögliche Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr ist nicht gegen irgend ein drittes Land gerichtet"

Rasmussen wirbt in Moskau für eine engere Kooperation mit der NATO / Transkript der Pressekonferenz von des russischen Außenministers


Am 3. November besuchte NATO-Generalsekretär A. Fogh Rusmussen Russland. In Moskau sprach er u.a. mit dem russischen Präsidenten Medwedjew und dessen Außenminister S. V. Lawrow. Lawrow gab im Anschluss eine Erklärung ab und stellte sich den Fragen der Journalisten.
Wir dokumentieren im Folgenden das Pressegespräch. Die Übersetzung aus dem Russischen besorgte für uns Karl-Heinz Wendt.


Außenminister S. V. Lawrow

Sehr geehrte Kollegen,
nach den Gesprächen fand heute morgen ein Treffen von Herrn Fogh Rasmussen mit dem Präsidenten der Russischen Föderation, D. A. Medvedev, im Kreml statt, das vor wenigen Minuten zu Ende ging. Das wesentliche Ergebnis des Treffens mit dem Präsidenten Russlands besteht darin, dass beide Seiten ihre Bereitschaft und Absicht zur Entwicklung normaler, gleichberechtigter, gegenseitig vorteilhafter Beziehungen zwischen Russland und der NATO bekräftigt haben, deren Ausrichtung auf eine möglichst effektive Nutzung des Potentials des Russland-NATO-Rates zielt.

Wir erachten es als äußerst wichtig – und das wurde heute bei den Kontakten mit unseren NATO-Partnern bestätigt – dass der am 20. November in Lissabon bevorstehende Gipfel einen starken politischen Impuls für gemeinsame Bemühungen zur Festigung der Grundlagen einer beiderseits vorteilhaften Zusammenarbeit und Partnerschaft des Russland-NATO-Rates geben wird.

Wir sind daran interessiert, dass auf dem Gipfel verantwortungsvolle, weitreichende Entscheidungen getroffen werden und dass wir in Lissabon den Übergang von der Etappe der Überwindung der Folgen des „Kalten Krieges“ zum Aufbau einer wirklich strategischen Partnerschaft für die Lösung gemeinsamer Aufgaben auf den Gebieten der Sicherheit vollziehen können und vor allem bei der praktischen Durchsetzung des Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit – einer gleichen, unteilbaren Sicherheit. Genau dieses Prinzip wurde in den Grundsatzdokumenten verankert, die den Rahmen für die Tätigkeit des Russland-NATO-Rates bilden.

Die Treffen, die heute in Moskau stattgefunden haben, belegen, dass wir ein gemeinsames Interesse daran haben, die Beziehungen zwischen Russland und der Allianz auf ein qualitativ neues Niveau zu heben. Das Leben selbst diktiert diese Notwendigkeit. Wir stehen vor gemeinsamen realen Herausforderungen. Das sind der Terrorismus, der Rauschgifthandel und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Trägermitteln. Das sind auch verschiedene Konflikte und Krisen, Piraterie, Natur- und technogene Katastrophen. Das ist auch der gesamte Problemkomplex, der mit der Lage in Afghanistan zusammenhängt. Auf all diese Herausforderungen und Gefahren effektiv zu reagieren ist nur dann möglich, wenn wir unsere Anstrengungen koordinieren, die Potentiale tatsächlich zusammenführen. Beispiele für eine solche Zusammenarbeit gibt es. Sie sind bekannt. Heute haben wir darüber gesprochen. Wir sind der übereinstimmenden Ansicht, dass es mehr solcher Beispiele geben muss. Insbesondere werden wir unsere Zusammenarbeit bezüglich Afghanistans weiter ausdehnen. Das ist in unserem gemeinsamen ureigensten Interesse.

Es soll auch gesagt werden, dass die heutigen Gespräche die Bereitschaft bekräftigen, die Dinge konstruktiv anzugehen. Wir erwarten, dass der Russland-NATO-Rat, und das unterstreiche ich nochmals, gestützt auf die Prinzipien der Deklaration von Rom, des Gründungsdokuments, sein Potential ausbauen wird. Diese Prinzipien setzen die Berücksichtigung der Interessen und Bedenken jeder Seite voraus. Sie sehen auch eine kollektive Arbeit in nationaler Eigenschaft jedes Mitgliedslandes des Russland-NATO-Rates vor, anders gesagt, eine Arbeit auf gleichberechtigter Grundlage außerhalb von Blöcken. Ich denke, wenn wir uns immer daran orientieren, diesen Prinzipien zu entsprechen, dann wird der Russland-NATO-Rat seiner Bestimmung – unter allen politischen Umständen zu arbeiten – gerecht werden können. Es ist klar, all das setzt zusätzliche Maßnahmen zur Schaffung und Festigung des Vertrauens, die Erhöhung der Vorhersagbarkeit bei militärpolitischen Dingen voraus. Darauf wird auch die sich verstärkende Zusammenarbeit in militärischer Hinsicht gerichtet sein. Wir erhielten heute auch zusätzliche Informationen dazu, was der Inhalt der neuen strategischen Konzeption der Allianz sein wird, die für die Annahme auf dem NATO-Gipfel in Lissabon vorbereitet wird. Wir hörten ergänzende Gedanken des Generalsekretärs dazu, wie nach Ansicht unserer Kollegen der NATO die Teilnahme Russlands an der Schaffung eines Raketenabwehrsystems aussehen könnte.

Der Präsident Russlands hat die Bereitschaft bestätigt, die Ansicht zu betrachten, die uns die NATO-Kollegen vorgetragen haben. Er hat bestätigt, dass wir zur Schaffung eines solchen gemeinsamen Systems bereit sind, beginnend mit der gemeinsamen Analyse dessen, was getan werden könnte und, selbstverständlich, auf der Grundlage eines gleichberechtigten Aufbaus des Systems, das auf die Neutralisierung für uns alle gemeinsamer Herausforderungen gerichtet ist.

Ich denke, die Gespräche waren sehr fruchtbringend. Wir haben vereinbart, dass die Ständigen Vertreter in Brüssel, die Botschafter im Rahmen des Russland-NATO-Rates, bereits in dieser Woche intensiv damit beginnen, konkrete Ergebnisse für den Gipfel vorzubereiten. Ich gehe davon aus, dass es uns gelingen wird, uns gut auf diese Veranstaltung vorzubereiten.

Frage: Herr Fogh Rasmussen hat heute, als er über die Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO im Rahmen des Raketenabwehrsystems gesprochen hat, darauf verwiesen, dass es nicht schlecht wäre, die Praxis gemeinsamer Übungen wieder aufzunehmen. Wie sehen Sie die Perspektiven einer solchen Zusammenarbeit? Wann können solche Übungen stattfinden?

S. V. Lawrow: Soweit ich verstehe, wenn es sich um die Wiederaufnahme der Praxis gemeinsamer Arbeit handelt, so bestand eines solche gemeinsame Arbeit seinerzeit in unserem Zusammenwirken bei der Abstimmung von Parametern der Raketenabwehr eines Kriegsschauplatzes. Dieses Projekt war so angelegt, Maßnahmen zum Schutz der Truppen zu erarbeiten, die an Friedensmissionen beteiligt sind. Das Projekt war relativ weit gediehen. Es hatte sogar bereits das Stadium von Computer-Übungen erreicht, die das Ziel hatten, die operative Kompatibilität von Kräften und Mitteln zu bestätigen. Eine solche Bestätigung wurde bei Computerspielen erreicht. Diese Übungen sollten sogar unter feldmäßigen Bedingungen fortgesetzt werden. Allerdings wurde dieses Projekt 2008 eingefroren – allerdings nicht auf unsere Initiative hin.

Jetzt schlagen die NATO-Kollegen eine Rückkehr zu diesem Projekt vor. Wir haben detaillierte Vorschläge dazu erhalten, wie das vonstatten gehen könnte. Wir werden uns diese Vorschläge ansehen. Die Vorschläge sind ernsthaft, pragmatisch. Wir werden uns also damit befassen und in allernächster Zeit dazu Stellung nehmen.

Natürlich ist auch eine neue Situation entstanden wenn man berücksichtigt, was gerade von Herrn Fogh Rasmussen ausgeführt wurde, insbesondere über die Entscheidung auf dem bevorstehenden NATO-Gipfel in Lissabon zur Schaffung eines territorialen Raketenabwehrsystems der Mitgliedstaaten der NATO. Uns hat man eingeladen, damit wir unseren Beitrag auf gleichberechtigter Grundlage leisten können – mit diesem Ziel wurde vorgeschlagen, eine gemeinsame Analyse der Fragen durchzuführen, die zu klären sind. Wir denken, dass ein solches Herangehen beachtenswert ist. Selbstverständlich werden wir diese neue Lage von verschiedenen Komponenten des Raketenabwehrsystems aus betrachten, um unsere Position für Lissabon vorzubereiten. In diesem Zusammenhang möchte ich eine nicht unwesentliche Tatsache unterstreichen. Unsere mögliche Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr in verschiedenen Aspekten, ebenso wie auch beliebige andere Formen der Zusammenarbeit zwischen Russland und der NATO, sind nicht gegen irgend ein drittes Land gerichtet und richten sich auf die Vorbereitung der Abwehr möglicher Bedrohungen, die, wenn Sie so wollen, grenzübergreifend auftreten können, weil die Bedrohungen eben gerade grenzübergreifend sind.

Frage: Sergej Viktorovich, Ihr japanischer Kollege hat heute erneut erklärt, dass die Kurilen japanisches Territorium seien, und dabei die Hoffnung geäußert, dass die russische Führung das bei der Planung künftiger Reisen berücksichtigt, auch auf die Kurilen. Bitte, kommentieren Sie das.

S. V. Lawrow: Es fällt mir schwer, dem etwas hinzuzufügen, was ich bereits früher gesagt habe. Man braucht uns zu diesem Thema keinerlei Ratschläge zu erteilen, und wenn die sehr detaillierten Erläuterungen, die vom Präsidenten der Russischen Föderation, von mir, und anderen Vertretern der russischen Führung nicht verstanden wurden, dann kann ich nur empfehlen, diese noch mal zu lesen. Darin ist alles gesagt: das ist unser Land, und der Präsident der Russischen Föderation berät sich mit niemandem, wenn er ein Gebiet der Russischen Föderation für seine Reise auswählt.

Frage: Heute hat der Außenminister Israels den Standpunkt geäußert, dass es besser wäre, wenn das Nahost-„Quartett“ seine Vermittlerrolle bei der Lösung des Nahost-Konfliktes aufgeben würde und das ausschließlich den Palästinensern und den Israelis überlassen würde. Wie kann Russland darauf reagieren?

S. V. Lawrow: Ehrlich gesagt, ich habe eine solche Erklärung nicht gehört, wir haben uns heute den ganzen Tag mit ernsthaften Dingen beschäftigt. Ich denke nicht, dass dieser Vorschlag produktiv und realistisch ist. Im Gegenteil, jetzt ist die überwältigende Mehrheit der internationalen Gemeinschaft, und erst recht die Mitglieder des „Quartetts“, daran interessiert, dass dieser Mechanismus noch aktiver tätig wird. Jetzt arbeiten wird an einem praktischen Plan für eine mögliches ministerielles Treffen des „Quartetts“ oder einen anderen Kontakt der Minister der „Vier“ unter Nutzung moderner technischer Mittel. Ich denke, das ist bei weitem aktueller, als dazu aufzurufen, die Palästinenser und die Israelis sich selbst zu überlassen.

Ich möchte mich zu der Frage äußern, die A. Fogh Rasmussen bezüglich der Möglichkeit der Einladung Russlands in die NATO gestellt wurde. Im vollen Umfang achten wir die Regeln, die Normen, die innerhalb der NATO bestehen. Wir können sie nicht verändern, wir haben keinerlei Vetorecht. Das ist alles verständlich. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass nicht der Prozess, sondern das Ergebnis wichtig ist, das heute von größter Notwendigkeit im Bereich der Festigung der Sicherheit ist. Die Dinge, mit denen sich der Russland-NATO-Rat befasst, die wir heute beraten und durchgegangen sind – das ist auch der Kampf gegen Terrorismus, auch der Kampf gegen Piraterie und Rauschgifthandel, und vieles andere – sie festigen die Sicherheit aller unserer Staaten ganz real. Das erfolgt ohne jede Einschränkung, was daran liegt, das Russland kein Mitglied der Nordatlantischen Allianz ist. Heute, glaube ich, ist es richtiger, sich nicht auf die Verfahrensweisen zu konzentrieren, die heute politisiert werden und die ganze Aufmerksamkeit der Presse auf sich ziehen, so als ein „Brennpunkt“, mit dem gern gearbeitet wird, damit sich die Nachrichten besser verkaufen lassen, sondern sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und eben dieses Herangehen an unsere Beziehungen zur NATO überwiegt heute meines Erachtens.

Frage: Was haben Sie heute Neues über die NATO gehört? Haben Sie den Eindruck, dass es sich tatsächlich um einen ernstzunehmenden Vorschlag handelt, dass das ernste Absichten sind?

S. V. Lawrow: Die NATO – das ist natürlich eine ernsthafte Struktur. Alles, was von der NATO ausgeht, betrachten wir ernsthaft, uns so werden wir uns auch zu den Vorschlägen verhalten, die Herr A. Fogh Rasmussen nach Moskau mitgebracht hat in Ergänzung zu dem, was früher erörtert wurde. Ohne aus verständlichen Gründen auf Einzelheiten einzugehen, kann ich sagen, dass unsere Partner in der NATO ein klares Verständnis dafür haben, dass die Teilnahme Russlands an einer solchen möglicherweise gemeinsamen Arbeit nur gleichberechtigt sein kann. Davon ausgehend, hat Herr A. Fogh Rasmussen vorgeschlagen, eine gemeinsame Analyse dessen vorzunehmen, was zu klären ist, bevor wir verstehen, ob eine solche Zusammenarbeit real ist oder nicht. Das ist in jedem Fall ein unabdingbarer Schritt, den wir, so hoffe ich, gehen werden. Das wird erledigt werden, erst dann werden die Chefs unserer Staaten die entsprechenden Entscheidungen treffen.

Frage: Was werden die nächsten Schritte der russischen Seite als Antwort auf die provokatorischen Handlungen Tokios sein?

S. V. Lawrow: Wir sind für eine allseitige Entwicklung der Zusammenarbeit mit Japan. Wir werden keinerlei Schritte unternehmen, die eine solche Zusammenarbeit erschweren können, und gehen davon aus, dass auch unsere japanischen Kollegen darauf verzichten, künstliche Hindernisse auf dem Weg unseres beiderseitig vorteilhaften Zusammenwirkens zu schaffen.

(Übersetzung aus dem Russischen: Karl-Heinz Wendt)

Originalquelle: Website des Außenministeriums (russisch)



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