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Rasmussen zum Antrittsbesuch in Moskau

Die NATO verspricht bessere Zusammenarbeit mit Russland und denkt an den Afghanistan-Krieg

Von Olaf Standke *

Anders Fogh Rasmussen hat gestern seinen ersten Moskau-Besuch als NATO-Generalsekretär begonnen. Heute (16. Dez.) trifft er mit dem russischen Präsident Dmitri Medwedjew zusammen.

Der »Neustart«, den USA-Außenministerin Hillary Clinton als diplomatische Vokabel für das amerikanisch-russische Verhältnis eingeführt hat, ist auch in den NATO-Sprachgebrauch übergegangen. Generalsekretär Rasmussen hat den Begriff in seiner kurzen Amtszeit wiederholt bemüht, nun will er bei einem dreitägigen Antrittsbesuch in Moskau ausloten, wohin dieser Neubeginn die Beziehungen führen könnte.

Der Nordatlantik-Pakt hatte sie nach dem Kaukasus-Konflikt im August vergangenen Jahres erst einmal auf Eis gelegt. Bei ihrem Treffen am 5. März in Brüssel beschlossen die NATO-Außenminister dann eine Rückkehr zur Zusammenarbeit, was im Juni am Rande des OSZE-Treffens mit Moskaus Vertreter bekräftigt wurde. Und auf der jüngsten Tagung des Russland-NATO-Rates Anfang Dezember in Brüssel wurden schließlich alle drei zur Diskussion vorgelegten Dokumente gebilligt: Der Auftrag an die 29 Botschafter, die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu analysieren, ein Arbeitskalender des Rates für 2010 und ein Dokument über die Optimierung seiner Arbeit. Die beschlossenen Reformen würden den Rat »hoffentlich anpassungsfähiger« machen, heißt es dazu in Brüssel.

Zugleich einigten sich beide Seite auf eine Wiederaufnahme der militärischen Zusammenarbeit, wobei sich Rasmussen zuversichtlich zeigt, »dass wir einander nicht gegenseitig als Bedrohung betrachten«. Russland und die NATO wollen unter anderem bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Piraterie zusammenwirken. Bei seinem Besuch will Rasmussen jetzt auch über eine Neuauflage der US-amerikanischen Raketenabwehr sprechen. Und Moskau ist bereit, die logistische Unterstützung für die in Afghanistan eingesetzten NATO-Truppen wieder zuzulassen. Nach Expertenschätzungen sparen allein die USA durch diesen »russischen Korridor« beim Transport von Ausrüstung, Munition, Lebensmitteln, Medikamenten und Truppen jährlich etwa 180 Millionen Dollar ein, mit der begonnenen Aufstockung des Kontingents würden es über 200 Millionen Dollar sein.

Rasmussen will nun noch mehr: Hunderttausende Kalaschnikows für die afghanische Armee etwa, auch von Pistolen, tragbaren Luftabwehrraketen, Geschützen und Truppentransportern ist in Brüssel die Rede. Oder von Öl- und Gas-Lieferungen für die ISAF-Truppen, und das möglichst zu Vorzugskonditionen. Überhaupt könnte sich Russland stärker am Aufbau der Infrastruktur am Hindukusch und an der Ausbildung afghanischer Polizisten beteiligen, so NATO-Diplomaten. Militärexperten in Moskau sprechen schon vom NATO-Wunsch nach einer »zweiten Front«. Zumindest will Moskau noch bis Jahresende 50 russische LKW und zwei Feuerwehrautos kostenlos übergeben. Zugleich sieht man gute Chancen der Kooperation mit der NATO im militärtechnischen Bereich, vor allem bei der Modernisierung russischer Hubschrauber des Typs MI.

Die Einsicht wachse, »dass Sicherheit in Europa nicht ohne Russland garantiert werden kann«, ist sich Moskaus Außenminister Sergej Lawrow sicher. Allerdings wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die Pläne für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa, die Präsident Medwedjew vorgelegt hat, stoßen in der Allianz auf wenig Gegenliebe. Man befürchtet in Brüssel und Washington, dass Moskau mit dem Projekt die transatlantische Allianz unterlaufen wolle. Also verspricht die NATO sorgfältige Prüfung, doch könne es »keinen Zweifel geben, dass das Bündnis unser Rahmen für die euroatlantische Sicherheit bleibt«, wie Rasmussen betont.

Russland aber sieht mit der geplanten weiteren NATO-Ausdehnung in den »postsowjetischen Raum« seine Sicherheit bedroht. Streit gibt es vor allem um die Beitrittswünsche Georgiens und der Ukraine. Mit Blick auf Tbilissi etwa lässt Rasmussen kaum Spielraum: »Die Vereinbarungen von Bukarest bleiben in Kraft, Georgien wird NATO-Mitglied.« Die Allianz ruft Moskau auf, den Beschluss über die Anerkennung der Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien zurückzunehmen. Immerhin forderte Rasmussen nicht nur die Ukraine zu mehr politischen Reformen auf, sondern auch Georgien zum Dialog mit Russland. Das werde die Chancen beider Länder verbessern, in den Nordatlantik-Pakt aufgenommen zu werden.

Ein Artikel im Moskauer Entwurf für ein neues Sicherheitsabkommen hält übrigens fest, dass kein Vertragsmitglied auf Kosten eines anderen seine Sicherheitsinteressen durchdrücken dürfe. Wenn dieser Ansatz nicht durchzusetzen ist, gibt es im Kreml einen Plan B: Die weitere Entwicklung der Beziehungen Russland-NATO werde davon abhängen, ob das strategische Konzept der Allianz der UN-Charta Rechnung trägt, sagt Außenminister Lawrow.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2009

Meldungen von RIA Novosti

Nato-Chef in Moskau: Eisenbahn-Waffentransport nach Afghanistan auf Tagesordnung

MOSKAU, 16. Dezember (RIA Novosti). Die Nato ist ernsthaft an einem Eisenbahntransport von Waffen und Munition - den so genannten "lethalen Gütern" - über das Territorium Russlands nach Afghanistan interessiert. Das berichtet die Tageszeitung "Kommersant" am Mittwoch (16. Dez.).

Dies soll eines der Themen der Verhandlungen von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in Moskau werden. Der offizielle Teil seines Russland-Besuchs beginnt am heutigen Mittwoch.

"Rasmussen kommt zu uns mit einer Liste von Ideen und Wünschen", teilte ein russischer Diplomat, der anonym bleiben wollte, der Zeitung mit. Besonderes Interesse der Allianz "gilt einer Erweiterung des Gütertransports über Russlands Territorium nach Afghanistan. Der Transport von ‚nicht lethalen' Gütern läuft ja bereits."

Nun will die Nato die russischen Partner um einen ähnlichen vereinfachten Modus für den Transport von "lethalen Gütern", d. h. von Waffen und Munition, ersuchen, die per Eisenbahn nach Afghanistan befördert werden sollen.

Das Abkommen über den Transit der "nicht letalen Güter" war zwischen Moskau und der Allianz beim Nato-Gipfel im April 2008 unterzeichnet worden. "Seit dem Februar dieses Jahres haben die Amerikaner mehr als 4 000 Container per Eisenbahn nach Afghanistan befördert", so der Diplomat. "Die Beförderung eines Containers kostet über 3 000 Euro."

Auch Russlands Nato-Botschafter Dmitri Rogosin ist über den Wunsch der Nato, Waffen und Munition mit der russischen Eisenbahn nach Afghanistan zu befördern, gut informiert. "Diese Frage wurde bei verschiedenen Konsultationen angeschnitten", zitiert das Blatt den Nato-Botschafter. "Ein offizieller Antrag blieb allerdings vorerst aus."

Ein Nato-Sprecher in Brüssel bestätigte gegenüber der Zeitung das Interesse an einem Ausbau des Bodentransports. "Der Generalsekretär ist auf ein ernsthaftes politisches Gespräch in Moskau eingestellt", sagte er. "Er will über die Zukunft unserer Partnerschaft mit Russland sprechen, die den Stand einer strategischen Partnerschaft durchaus erreichen könnte. Das wird er auch in seinem Vortrag in der Moskauer Diplomatenhochschule MGIMO öffentlich verkünden. Jetzt ist die richtige Zeit, um Grundlagen für eine Zusammenarbeit in der Zukunft zu schaffen. Diesbezüglich gibt es verschiedene Ideen, einschließlich einer Erweiterung des Transits. Heute wird der Transit von nicht lethalen Gütern über Russland abgewickelt, es wird nun erwogen, diese Praxis auf die Waffen zu erweitern."

Nach Ansicht des Nato-Diplomaten könnte eine entsprechende Einigung nach dem Muster des Abkommens zwischen Washington und Moskau gestaltet werden, das den Lufttransit von Militärgütern nach Afghanistan gestattet. Die Präsidenten beider Länder haben ein entsprechendes Dokument bei ihrem Moskauer Treffen im Juli signiert. Wie es darin heißt, werden täglich rund 15 amerikanische Transportmaschinen mit Waffen und Militärtechnik, aber auch mit Militärpersonal über das russische Territorium nach Afghanistan fliegen.

"Man kann darüber sprechen, erst wenn die Dokumente vorliegen", äußerte Andrej Klimow, Vizechef des auswärtigen Staatsduma-Ausschusses. "Der Transit von Militärgütern über das Territorium Russlands ist ein Thema, das ernsthaft diskutiert werden muss. Wir sind daran interessiert, dass das Afghanistan-Problem gelöst wird und dass Afghanistan keine Gefahrquelle mehr ist. Wenn die Amerikaner diese Aufgabe meistern können - warum soll ihnen dabei nicht geholfen werden?"


OVKS erhofft von Rasmussens Moskau-Besuch Impuls für Kooperation mit NATO

MOSKAU, 15. Dezember (RIA Novosti). Der Moskau-Besuch von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kann der Kooperation zwischen der Nordatlantischen Allianz und der Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) einen Schub geben.

Das sagte Nikolaj Bordjuscha, der Generalsekretär, am Dienstag Journalisten in Moskau.

"Ich hoffe, dass dieser Moskau-Besuch den NATO-Generalsekretär dazu bewegt, nähere Informationen über die OVKS zu bekommen." Rasmussen solle konkrete Schritte unternehmen, damit einige Länder der Zusammenarbeit zwischen beiden Bündnissen nicht im Wege stünden, sagte Bordjuscha.

Ihm zufolge gibt es gegenwärtig keine positiven Änderungen in den Beziehungen zwischen der NATO und der OVKS. Die Allianz wolle zu solchen komplizierten Problemen wie Afghanistan kaum kooperieren.

Der OVKS gehören Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Russland, Weißrussland, Tadschikistan und Usbekistan an.


Nato drängt Russland zu mehr Hilfe für Afghanistan-Einsatz - "Nesawissimaja Gaseta"

MOSKAU, 15. Dezember (RIA Novosti). Der wichtigste Punkt des ersten Russland-Besuchs von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen wird wohl Afghanistan sein. Darüber schreibt die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" am Dienstag.

In der Nato wird von Moskau mehr Hilfe beim Kampf gegen die Taliban erwartet. Aber Experten zufolge entspricht eine "Militarisierung" von Russlands Rolle in Afghanistan nicht dessen Sicherheitsinteressen.

Die Verhandlungen des neuen Generalsekretärs, der erst im August sein Amt angetreten hat, mit der russischen Führung sollten eigentlich vor einem günstigerem Hintergrund verlaufen. Erst vor kurzem fand in Brüssel die nach dem Krieg in Südossetien erste offizielle Sitzung des Russland-Nato-Rats auf Ministerebene statt, bei dem eine Arbeitsgruppe für Afghanistan gebildet wurde.

Wie sich jedoch gestern erwies, ist die Gefahr in Afghanistan bereits zu einem Auslöser für Reibungen in den Russland-Nato-Beziehungen geworden, die sich gerade erst anbahnen. In der Nato nimmt die Enttäuschung darüber zu, dass Moskau die Allianz in Afghanistan nicht genügend unterstütze. So erklärte ein hochrangiger Nato-Diplomat, der ungenannt bleiben wollte: "Die Russen könnten weit mehr tun. Sie könnten AK-47-Maschinenpistolen liefern. Sie haben Erdöl und Gas, die Rohstoffe könnten sie der Allianz überlassen, statt sie zu verkaufen."

Zehn Jahre Krieg in Afghanistan

Der Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan und der Machtantritt der Taliban würden Russlands nationale Sicherheit bedrohen, findet Alexej Arbatow, korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, deshalb müsse der Allianz geholfen werden. "Der Allianz Öl und Gas zu überlassen, ist nicht realistisch, aber Lieferungen von Maschinenpistolen und schweren Waffen wären möglich. Selbstverständlich nicht unentgeltlich", sagt der Experte.

Pawel Solotarjow, Vizedirektor des USA-Kanada-Instituts an der Russischen Akademie der Wissenschaften, entgegnet: Die Erlaubnis des Waffentransits durch Russland, ganz zu schweigen von Lieferungen von Maschinenpistolen in das von Konflikten zerrüttete Land, würden wohl kaum den Sicherheitsinteressen Russlands entsprechen.

"Wir sind an der Stabilisierung der Situation in Afghanistan interessiert", erklärte Solotarjow. "Aber andererseits unternimmt Russland bereits nicht wenig, indem es afghanische Kräfte für den Kampf gegen den Drogenhandel ausbildet. Außerdem sind wir auf den Abschluss des Abkommens über den militärischen Transit mit den USA eingegangen.

Seiner Relevanz nach ist es mit der amerikanischen Lend-Lease-Hilfe während des Zweiten Weltkriegs vergleichbar. Jetzt führen die Amerikaner einen Krieg, und wir helfen ihnen. Jetzt wollen die Amerikaner anscheinend, dass wir in Afghanistan eine 'zweite Front' eröffnen. Aber wir hatten schon die erste Front in Afghanistan.

Es kommt darauf an, nicht zu weit zu gehen, so dass die Amerikaner schließlich Afghanistan verlassen würden und wir uns erneut an der vordersten Front sähen, während der Westen mit den USA an der Spitze die Pläne für die weitere Nato-Osterweiterung realisieren würde."

Alle drei Meldungen aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti; http://de.rian.ru




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