Déjà-vu-Erlebnis in Sotschi?
Merkel und Medwedjew treffen sich heute wieder am Schwarzen Meer
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Fast auf den Tag genau vor einem Jahr trafen sich Angela Merkel und
Russlands Präsident Dmitri Medwedjew in dessen Residenz in der Nähe des
Schwarzmeerkurortes Sotschi [siehe:
"In Sotschi keine gemeinsame Sprache gefunden"], wo die Bundeskanzlerin heute (14. Aug.) zu einem weiteren Kurzbesuch eintrifft.
Auch die Tagesordnung ist ähnlich. Im vorigen Sommer ging es vor allem
um Russlands Krieg mit Georgien sowie um die Erfüllung des
Friedensabkommens, das Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zwei Tage
zuvor vermittelt hatte. Das Thema ist nach wie vor aktuell. Unmittelbar
vor dem Jahrestag der bewaffneten Auseinandersetzungen um das abtrünnige
Südossetien waren die Spannungen im südlichen Kaukasus erneut eskaliert.
Deutschland hatte Moskau wie Tbilissi zur Besonnenheit ermahnt, und
allein das macht den Sinneswandel deutlich, der sich in Berlin vollzogen
hat.
Zwar unterstützt die Bundesregierung nach wie vor Georgiens Bemühungen
um Wiederherstellung seiner staatlichen Einheit, ist angesichts der nach
wie vor ungeklärten Faktenlage mit Schuldzuweisungen für den
Fünf-Tage-Krieg jedoch erheblich vorsichtiger geworden. Experten –
russische wie deutsche – wagten daher bereits die Behauptung, der Westen
habe Russland den Krieg gegen Georgien verziehen und wolle
schnellstmöglich zur Tagesordnung zurückkehren. Ähnliche Absichten hatte
schon USA-Präsident Barack Obama bei seinem Moskau-Besuch Anfang Juli
erkennen lassen, Vizepräsident Joseph Biden setzte kurz darauf in
Tbilissi und Kiew jedoch ein paar andere Akzente.
Merkel ist die erste westliche Politikerin von etwa gleichem Rang, die
Medwedjew nach den Besuchen der beiden US-Amerikaner trifft. Eingeladen
hatte der russische Präsident sie im Juli in München, als beide neben
gemeinsamer Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität auch eine engere
Wirtschaftskooperation, vor allem bei der Sicherung der europäischen
Energieversorgung, vereinbarten.
Diese Themen stehen auch bei Merkels heutigem Vier-Stunden-Besuch in
Sotschi auf der Tagesordnung. Umso mehr, da Russland dieser Tage die
bereits 1994 ausgehandelte, bisher aber nicht ratifizierte Europäische
Energiecharta definitiv verwarf. Stein des Anstoßes sind für Moskau vor
allem die sogenannten Transitprotokolle, die Russlands Monopol für die
Durchleitung von Gas aus der Kaspi-Region aufheben würden.
Für die Bundeskanzlerin nicht weniger wichtig: die Zukunft der
Wadan-Werften an der Ostseeküste, die durch russisches Kapital gerettet
werden könnten. In den letzten Tagen soll es dazu intensive
Verhandlungen gegeben haben. Und auch der Streit um Opel ist nicht
entschieden. »Mit aller Deutlichkeit« bestätigte Angela Merkel vor ihrer
Abreise nach Sotschi, dass sie den Einstieg des russisch-kanadischen
Konsortiums Magna-Sberbank bevorzugen würde.
Die »vertraulichen informellen Gespräche«, die ebenfalls geplant sind –
offenbar beim gemeinsamen Spaziergang im Garten der Residenz unmittelbar
nach den eigentlichen Konsultationen – dürfte Merkel nutzen, um das
Thema Menschenrechte und die Situation im Nordkaukasus anzusprechen.
Dort wurden binnen vier Wochen drei Bürgerrechtler ermordet. Das Thema
wird gewiss auch auf der gemeinsamen Pressekonferenz eine Rolle spielen.
Danach gibt Medwedjew für Merkel ein Essen.
* Aus: Neues Deutschland, 14. August 2009
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