Offener Himmel
Global Player: Nach 15 Jahren Abstinenz lässt Russland wieder seine strategische Luftflotte patrouillieren
Von Ulrich Heyden *
Man fühlt sich an Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Die russische Regierung lässt wieder ihre strategischen Langstreckenbomber aufsteigen. 20 mit Lenkwaffen bestückte Maschinen starteten in den letzten beiden Augustwochen von sieben verschiedenen Stützpunkten zum Flug über den Weltmeeren. Sie sollen die Schifffahrts- und Ölrouten sichern, heißt es in russischen Medien. Mitte Juli bereits - London hatte gerade vier russische Diplomaten wegen der Litwinenko-Affäre ausgewiesen - tauchten strategische Bomber vor der schottischen Küste auf. Gleichfalls im August wurde der einzige betriebsbereite Flugzeugträger Kusnezow auf große Fahrt geschickt, um Präsenz im Mittelmeer zu zeigen.
In den vergangenen 15 Jahren hatte Russland wegen eines schwindsüchtigen Verteidigungsetats darauf verzichten müssen, so wie andere Nationen als militärischer Global Player in Erscheinung zu treten. Das ist nun vorbei, der Staat kann allein wegen des international prosperierenden Öl- und Gasgeschäfts die Streitkräfte wieder besser ausstatten und aus ihrem Schattendasein befreien.
Im Jahr 1992 hatte das russische Oberkommando die Flüge der strategischen Luftwaffe bis auf weiteres storniert. Leider seien "diesem Beispiel nicht alle Länder gefolgt", meint heute Präsident Putin mit Blick auf die USA. Die Flugpause habe "die russische Sicherheit beeinträchtigt". Und General Pawel Androsow, Kommandeur der strategischen Luftwaffe, lässt durchblicken, dass einige Maschinen schon seit einiger Zeit wieder über den Weltmeeren und der Arktis unterwegs seien.
Um die Wirkung zu erhöhen, hat Wladimir Putin die neue Befehlslage für diese Verbände im Beisein des chinesischen Staatschefs Hu Jintao während eines Manövers verkündet, zu dem sich Mitte August die unter Führung von Moskau und Peking stehende Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zusammenfand. Bei dieser Übung, an der 6.000 Soldaten Russlands und Chinas beteiligt waren, wurde die Befreiung einer Stadt von Terroristen geübt. Doch war der Aufmarsch wohl mehr als Demonstration gegenüber den Amerikanern gedacht. Für US-Truppen und -Basen ist nach russischer wie chinesischer Auffassung in Zentralasien kein Platz. Die Sicherheit in diesem Teil der Erde werde "am besten von den Staaten der Region gewährleistet", besagt eine Resolution der SCO.
Washington reagiert darauf betont gelassen, offenbar um das neue russische Selbstvertrauen nicht über Gebühr zu füttern. Die Wiederaufnahme der Flüge sei "kein Grund zur Beunruhigung unserer Militärs", erklärt das Weiße Haus. Russland habe ein paar alte Maschinen "aus dem Mottenschrank" geholt, ergänzt Sean McCormack, Sprecher des US-Außenministeriums. "Das ist ihre Entscheidung."
Die Reaktion der USA sei "überraschend ruhig", schreibt der liberale Moskauer Kommersant. Washington bleibe deshalb gelassen, weil die Flüge weder internationale Verträge noch das strategische Gleichgewicht tangierten. Die nationalliberale Nesawissimaja Gaseta will indes die Bemerkung vom "Mottenschrank" nicht unkommentiert lassen. Die Tupolew 95 sei 1979 in Dienst gestellt worden, die B 52, das Rückgrat der strategischen Luftwaffe der Vereinigten Staaten, hingegen 1948. Die strategische Luftwaffe, vermerkt das Blatt weiter, gewinne immer mehr an Bedeutung. Das hätte sich 2003 im Irak und 1999 in Jugoslawien gezeigt. Die Amerikaner hätten damit nicht nur lokale Infrastruktur zerstört, sondern auch "moralisch Druck ausgeübt".
Der Sicherheitsexperte Aleksandr Pakajow vom Moskauer Institut für Weltwirtschaft ist überzeugt, die Wiederaufnahme der Langstreckenflüge sei "eine Antwort auf die Stationierung von NATO-Truppen dicht an den Grenzen Russlands", die sich einerseits auf die baltischen Staaten, Tschechien, Ungarn und Polen, aber wohl auch auf die amerikanische Absicht beziehe, in einigen dieser Länder eigene Raketenbasen zu errichten. Unter Anspielung auf diese Pläne hat Wladimir Putin mehrfach angekündigt, die eigene Raketenabwehr bis 2015 umfassend modernisieren zu wollen. Kein Zweifel, wenn dieser Staatschef in sieben Monaten aus dem Amt scheidet, will er als unerbittlicher Verteidiger russischer Interessen in Erinnerung bleiben.
* Aus: Freitag 35, 31. August 2007
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