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Medwedjew-Reise im Zeichen der Geopolitik

Russischer Präsident besucht Kaspi-Region

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Schon während der offiziellen Begrüßung Dmitri Medwedjews auf dem Vorplatz der Residenz von Präsident Ilham Alijew in Baku geizten Gastgeber und Gast nicht mit großen Worten: Von »strategischen Beziehungen« zwischen Russland und Aserbaidshan war die Rede und von einer »Schlüsselrolle« der Visite.

In der Tat: Aserbaidshan ist lediglich die erste Station von Medwedjews Tour durch die Kaspi-Region. Am Freitagabend traf er in Turkmenistan ein, am Wochenende nimmt er in Kasachstan am Beginn gemeinsamer Manöver und an den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestagung der Verlegung der Hauptstadt nach Astana teil. Dort wird er auch mit seinen Amtskollegen aus den anderen GUS-Staaten zusammentreffen. Darunter mit den Präsidenten der GUAM-Gruppe, deren Gipfel am Mittwoch im georgischen Batumi zu Ende ging. Dort hatten die Präsidenten Georgiens, der Ukraine, Aserbaidshans, Moldovas und Kollegen aus einstigen Ostblockstaaten mögliche Transportwege für Öl und Gas unter Umgehung Russlands erörtert.

Medwedjew indes will beim Gerangel um die Öl- und Gasfelder der Kaspi-Region möglichst viel für Russland herauszuholen, und setzt dabei auf eine völlige neue Strategie, die hiesige Experten bereits als neo-imperial bezeichnen: Verzicht auf Teile der Erlöse von Energieexporten, was Moskau sich angesichts prall gefüllter Staatskassen problemlos leisten kann, gegen geopolitische Vorteile.

So will Russland, das sich 2001 über den staatsnahen Monopolisten Gazprom den Löwenanteil der kasachischen und der turkmenischen Gasförderung für 25 Jahre sicherte, ab 2009 an beide Staaten und an Usbekistan Weltmarktpreise zahlen. Ein analoges Angebot hat Gazprom auch Aserbaidshan schon vor Medwedjews Besuch gemacht. Fährt Baku auf den Deal ab, hat Moskau langfristig gute Karten, politisch verlorenen Boden im Transkaukasus zurückzugewinnen. Vor allem aber hätten sich damit alternative EU-Projekte wie die NABUCCO-Pipeline erledigt.

Mehr als »wohlwollende Prüfung« des Angebots wollte Alijew Medwedjew vorerst jedoch nicht zugestehen. Sein Ja dürfte er vor allem von einem Seitenwechsel Moskaus im Konflikt Aserbaidshans mit Armenien um Karabach abhängig machen. Bleibt Russland dabei hartleibig, kann Baku, das seine Gasförderung bis 2015 mindestens verdoppeln will, diskret damit drohen, die gesamte Fördermenge in eine bereit existierende Pipeline einzuspeisen, die über Georgien ins türkische Erzerum führt. Moskaus Pläne für einen »Sicherheitszaun«, der potenziellen Lieferanten – neben den ehemaligen Unionsrepubliken hat der Kreml dabei auch Algerien und Libyen im Visier – den Weg für Exporte nach Westeuropa unter Umgehung Russlands verbauen soll, wären dann passé.

Moskau glaubte das Problem bereits vom Tisch, als Wladimir Putin von Kasachstan und Turkmenistan das Okay für eine weitere Pipeline bekam, die am Ostufer der Kaspi-See entlang nach Russland führen soll. Turkmenistan indes, wo man weiß, dass die Reserven für zwei Leitungen nicht reichen, will sich offenbar beide Optionen offen halten. Beim Blitzbesuch von Gazprom-Vorstandschef Alexej Miller am Dienstag in Aschgabat sprach der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhammedow zwar viel von Freundschaft mit Russland. Auf einen verbindlichen Termin zum Start der Bauarbeiten für die Ostufer-Pipeline, zu dem der Gast drängte, ließ er sich jedoch nicht festlegen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juli 2008


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