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Iljumshinow ruft Landsleute zurück

Russlands Republik Kalmykien plant Völkerwanderung

Von Irina Wolkowa, Moskau*

Kalmykiens Präsident Kirsan Iljumshinow macht wieder einmal auf sich aufmerksam: Er will die in China lebenden Kalmyken in seine Republik am Nordufer des Kaspischen Meeres zurückrufen.

Im 17. Jahrhundert brachen sie aus Innerasien auf, um sich am Unterlauf der Wolga niederzulassen: das Reitervolk der Kalmyken, eng mit den Mongolen verwandt und wie diese Buddhisten. Als Russland sich gut hundert Jahre später ihr Khanat einverleibte, machte sich ein Drittel der Volksgruppe auf den Rückweg. In Ostturkestan – heute Chinas Westprovinz Xinjiang – kamen jedoch nur knapp zehntausend an. Der Rest verhungerte unterwegs oder starb bei Kämpfen mit den Bewohnern der Durchzugsgebiete.

Die Nachfahren der Überlebenden sollen jetzt erneut in die Steppen am Nordufer der Kaspi-See zurückgesiedelt werden. In Peking ließ Kirsan Iljumshinow, Präsident der russischen Republik Kalmykien, das Vorhaben bereits absegnen. Auch Moskau will die dafür nötigen Gesetze bis 1. Juli auf den Weg bringen.

Auf immerhin 150 000 Seelen bringen es die China-Kalmyken inzwischen. Sie gelten als arbeitsam und anpassungsfähig und machten, anders als die Uiguren, der Staatsmacht in ihrer gegenwärtigen Heimat keinen Ärger. Experten und die Alteingesessenen sehen dem Vorhaben dennoch mit gemischten Gefühlen entgegen.

Kalmykien gehört zu den Schlusslichtern im russischen Süden. In nur reichlich einem Jahrzehnt sank die Einwohnerzahl durch Abwanderung um fast 100 000 auf gegenwärtig 293 000. Ließen sich alle Stammesbrüder aus China repatriieren, wäre jeder dritte Bewohner Kalmykiens ein Neubürger und Konkurrent beim Gerangel um Arbeitsplätze, Weideland und Sozialleistungen. Auf die Titularnation, die Kalmyken, entfallen bisher ganze 53 Prozent der Bevölkerung. 33 Prozent sind Russen, 13 Prozent Kasachen, ebenso viele Angehörige nordkaukasischer Völker, darunter 5000 Tschetschenen.

Nach der Rücksiedlung der Volksgenossen würden die Kalmyken über satte Mehrheiten verfügen. Eben das spielt bei den Repatriierungsplänen eine ebenso wichtige Rolle wie Bemühungen, die Landflucht auszugleichen. Auch in den anderen, bisher ethnisch bunt gemischten Republiken zwischen Kaspi-See und Kaukasus geht der Trend seit Beginn des Tschetschenienkrieges und dem damit verbundenen Exodus der Russen zu eindeutigen Mehrheiten für die jeweilige Titularnation. Das aber dürfte langfristig Separatisten in die Hände spielen.

Dieser Gefahren ist man sich in Moskau durchaus bewusst. Iljumshinow, den Wladimir Putin erst im Winter für eine weitere Amtszeit bestätigte, hat dennoch keine Widerstände gegen seine Völkerwanderungspläne zu befürchten. Denn sein Reich gehört zu den wenigen in der Region, die bisher keine größeren Unruhen erlebten. Für Moskau ist das ein guter Grund, Eigenheiten des Absolventen der Moskauer Diplomatenhochschule zu übersehen.

Knapp 31, aber schon Millionär, ließ sich Iljumshinow 1993 mit populistischen Wahlkampf-Parolen zum Republikchef und später zum Präsidenten der Internationalen Schach-Föderation FIDE wählen. Protzbauten wie ein Schachzentrum und die größte buddhistische Tempel-Anlage Europas, wo auch fernöstliche Kampfsportarten gelehrt werden, brachten ihm landesweit zweifelhaften Ruhm. Ebenso aber sein brutales Vorgehen gegen die Opposition und gegen kritische Medien.

* Aus: Neues Deutschland, 18. April 2006


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