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Israel und Russland: Annäherungsmanöver

In den zurückliegenden Jahren entstanden zwischen Russland und Israel neue Brücken

Von Marianna Belenkaja, Moskau *

Es ist schon 15 Jahre her, seit Russland (damals noch Sowjetunion) und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen haben.

Die vergangenen Jahre kann man unterschiedlich beurteilen. Es gab sowohl verpasste Gelegenheiten als auch Skandale und gegenseitige Vorwürfe. Aber zugleich wurden zwischen beiden Staaten, sowohl sichtbar als auch unsichtbar, Brücken geschlagen.

Das wohl wichtigste Ergebnis ist, dass Israel sich innerhalb dieser 15 Jahre in der Wahrnehmung der Russen von einem feindlichen Staat in einen gewöhnlichen verwandelte - nicht besser und nicht schlechter als alle anderen. Laut einer September-Studie des Moskauer Meinungsforschungsinstituts FOM stehen 55 Prozent der Russen Israel gleichgültig gegenüber. 17 Prozent sind negativ eingestellt, 18 Prozent positiv. Die Befragten erwähnten Israel weder unter den feindlichen Staaten noch unter den befreundeten.

Ob das gut oder schlecht ist, ist schwer zu sagen. Die Erfahrungen zeigen, dass die Stimmungen der Russen starken Schwankungen unterliegen, so dass eine totale Liebe schnell in totale Ablehnung umschlagen kann.

Die allgemeine Begeisterung für die USA von Anfang der 1990er Jahre wuchs schnell in Misstrauen über. Heute halten es 29 Prozent der Russen für möglich, dass Amerika einen Krieg gegen Russland entfesselt. Mehr als Amerika findet nur Georgien (31 Prozent) in Russland Abneigung. Und das, obwohl Georgien zu Sowjetzeiten eine der Lieblingsrepubliken gewesen ist.

Während des Libanon-Krieges wurde in Israel viel darüber diskutiert, dass russische Medien voreingenommen und mehr vom arabischen Standpunkt aus über den Krieg berichten. Wie hat sich diese "Voreingenommenheit" auf die öffentliche Meinung ausgewirkt? Laut Umfragen sympathisierten 60 Prozent der Russen mit keiner der beiden Konfliktparteien. Zwölf Prozent sympathisierten mit Israel, acht Prozent mit Hisbollah. 20 Prozent waren unschlüssig.

Diese Antwort mag die Israelis, besonders die aus Russland Stammenden, enttäuschen. Dennoch ist die Gleichgültigkeit der Russen eine viel festere Grundlage für eine pragmatische Zusammenarbeit beider Staaten als unvoraussagbare Liebes- und Zornausbrüche.

Diese Gleichgültigkeit ist eher positiv als negativ. Israel ist für die Russen kein exotisches Land mehr. Die jüdische und israelische Kultur und die Sprache hörten auf, ein Tabu zu sein. Israelische Filmfestspiele und Gastspiele israelischer Schauspieler in Moskau, die wachsende Popularität der jüdischen Musik ließen das Misstrauen der Russen schwinden.

Das Thema Israel taucht nicht selten in russischen Filmen, Fernsehserien und Taschenromanen auf, die für die Massen bestimmt sind. Israel gehört schon zum Alltagsleben der Russen.

Das erleichtert der jüdischen Gemeinde in Russland das Leben. Juden können jetzt ihre Religionsfeiertage offen feiern. Immer öfter erinnern sie ihre nicht-jüdischen Kollegen an bevorstehende Feiertage.

Unter den Mitgliedern der russischen Judengemeinde sind immer mehr Israelis, sowohl russischsprachige als auch iwrithsprachige. Immer mehr Menschen kehren aus Israel nach Russland zurück. In dieser Hinsicht ähnelt Moskau immer mehr New York oder Montreal.

Israelis im Ausland sind eine durchaus nicht ungewöhnliche Erscheinung. Dass sie immer mehr nach Moskau reisen, zeugt von den kolossalen wirtschaftlichen und politischen Wandlungen, die sich in den zurückliegenden 15 Jahren vollzogen haben.

Nicht weniger wichtig ist der Umstand, dass in Russland die Stimmen der israelischen Lobby lauter werden. Natürlich haben die israelischen Lobbyisten in Russland noch keinen großen Einfluss, kein Vergleich zu den USA. Auch die russischen Eliten legen auf Kontakte mit Israel und russischsprachigen Israelis großen Wert. Denn von ihnen hängt die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Politik ab, vom gemeinsamen Kulturraum zwischen Russland und Israel ganz zu schweigen. Das ist auch für Russland wichtig. Kein Zufall, dass sich der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem Besuch in Israel speziell mit ehemaligen Landsleuten getroffen hatte. Dieses Treffen war sowohl für die Juden in Israel und Russland von großer Bedeutung als auch für zukünftige bilaterale Projekte und das Image des russischen Staates wichtig.

Die zurückliegenden 15 Jahre waren recht schwierig für Russland. Das Land musste seine Innen- und Außenpolitik neu gestalten. Das musste sich auf die Beziehungen zu Israel auswirken. Mit Blick auf die engen Beziehungen, die in diesen Jahren hergestellt wurden, hatten einzelne Bevölkerungsgruppen in Russland und Israel womöglich mehr erwartet. Damit erklären sich die Enttäuschung und gegenseitige Beleidigungen. Diese Beleidigungen ähneln einem Streit zwischen zwei einander nahestehenden Menschen, die voneinander mehr Verständnis und Liebe erwarten.

Wie die nächsten 15 Jahre ausfallen werden, ob neue Projekte und wachsender Handel die humanitäre Zusammenarbeit ergänzen werden, das hängt von Moskau und Jerusalem, von den Russen in Israel und von den Israelis in Russland ab.

* Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 12. Oktober 2006;
http://de.rian.ru



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