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Kaukasische Gerüchteküche

Inguschen fürchten "Wiedervereinigung" mit Tschetschenien

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Die Regierung der russischen Teilrepublik Inguschetien hat sich gegen die von der Opposition geforderte Einberufung eines Kongresses des inguschischen Volkes ausgesprochen.

Der Volkskongress – ein traditionelles Instrument der Volksdemokratie für Entscheidungen von besonderer Tragweite – sollte darüber abstimmten, ob der 2001 von Moskau entmachtete, in Inguschetien jedoch nach wie vor sehr populäre Ruslan Auschew erneut das Amt des Präsidenten übernehmen kann. Er allein, so die Begründung der Opposition, die den Antrag einbrachte, könne momentan in der Republik für Ruhe und Ordnung sorgen. Auf den gegenwärtigen Amtsinhaber Junusbek Jewkurow war am Montag ein Sprengstoffanschlag verübt worden. Ärzte der Klinik in Moskau, wo er behandelt wird, bezeichnen seine Verletzungen als schwer, aber nicht lebensgefährlich.

Bis zur Rückkehr ins Amt vertritt ihn, wie von der inguschischen Verfassung vorgesehen, Regierungschef Raschid Gaisanow. Dem indes traut Moskau offenbar nicht zu, mit der islamischen Guerilla fertig zu werden, in der Ermittler auch die Attentäter vermuten. Daher soll Ramzan Kadyrow, Moskaus Statthalter im benachbarten Tschetschenien, die Leitung einer Sonderoperation an der gemeinsamen Grenze übernehmen. Diese verläuft über weite Strecken durch das Hochgebirge, wo sich die Untergrundkämpfer verschanzt haben.

Erste Gerüchte zu Kadyrows neuer Mission kursierten bereits vor dessen überraschendem Besuch in Moskau am Dienstag und wurden von diesem anschließend auch bestätigte. Der Kreml gab die Entscheidung erst einen Tag später bekannt.

Daraufhin eskalierten die Spannungen im ohnehin instabilen Inguschetien bis hart an den Rand eines Bürgerkriegs. Die Mehrheit der Bevölkerung befürchtet, Kadyrow werde künftig das eigentliche Sagen in der Republik haben. Mehr noch: Unter seiner Führung würden Inguschetien und Tschetschenien erneut fusionieren.

Beide Völker gehören zur wainachischen Untergruppe der kaukasischen Völkerfamilie und lebten zu Sowjetzeiten in einer gemeinsamen Autonomen Republik im Bestand Russlands. Während Tschetschenien sich im Herbst 1991 für unabhängig erklärte und von Moskau erst nach zehnjährigem Krieg unter das Dach der russischen Verfassung zurückgezwungen wurde, trat Inguschetien der Russischen Föderation 1993 als Subjekt bei.

Über eine Fusion hatten Medien bereits im Oktober erstmals berichtet und damit im Nordkaukasus einen Sturm der Entrüstung provoziert. Denn den Berichten zufolge will der Kreml dort die bisher größte Verwaltungsreform in der Geschichte des postkommunistischen Russland durchziehen. Dabei sollen die gegenwärtig sieben nationalen Teilrepubliken und die drei territorialen Gebietskörperschaften in größeren Verwaltungseinheiten aufgehen.

Erster Schritt dazu sei die Wiedervereinigung Inguschetiens und Tschetscheniens. Anhänger der Verschwörungstheorie vermuten daher sogar, auch der Anschlag auf Inguschen-Präsident Jewkurow gehe auf das Konto Kadyrows und russischer Geheimdienste. Andere, darunter auch Profis wie Stanislaw Belkowski vom Institut für Nationale Strategien, sprachen von einer neuen Runde im Machtpoker zwischen Präsident und Premier. Jewkurow sei von Dmitri Medwedjew nicht nur als Krisenmanager, sondern auch als Gegengewicht zu Kadyrow ernannt worden, der als wichtigste Machtstütze von Wladimir Putin in der Region gilt.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2009

Weitere Meldungen

Tschetschenischer Präsident kündigt Sondereinsätze gegen Extremisten an

Den tschetschenischen Behörden liegen glaubwürdige Informationen über den Aufenthaltsort mehrerer Terroristenbanden und deren Anführer vor. Das sagte der Präsident der tschetschenischen Republik, Ramsan Kadyrow, am Mittwoch (24. Juni) in Grosny zu Journalisten.

Ihm zufolge werden demnächst Sondermaßnahmen zur Neutralisierung der Extremisten eingeleitet.

Er habe sich heute früh mit den Kommandeuren der Spezialeinheiten des Innenministeriums getroffen, die bei den Sonderoperationen in den an Inguschetien angrenzenden Territorien im Einsatz seien, ihnen neue Aufgaben gestellt und Mechanismen zu weiteren Handlungen festgelegt, sagte Kadyrow.

Er verwies auf die von Staatspräsident Dmitri Medwedew formulierte Aufgabe, den Kampf gegen den Terrorismus zu verstärken.

„Medwedew hat verfügt, den Kampf zu verstärken, und ist dabei von den Vereinbarungen ausgegangen, die der inguschetische Präsident Jewkurow und ich getroffen hatten“, sagte Kadyrow. Als erfahrener Kämpfer gegen Terroristenbanden sei er von Medwedew beauftragt worden, die Operation zu leiten, sagte Kadyrow.

Der tschetschenische Republikchef merkte an, das Attentat auf den inguschetischen Präsidenten Junus-Bek Jewkurow sei auf dessen aktives Vorgehen gegen die Terroristenbanden zurückzuführen. Hinter diesem Verbrechen würden internationale Terroristen stehen, so Kadyrow.

Am vergangenen Montag (22. Juni) war auf den inguschetischen Präsidenten ein Attentat verübt worden. Ein mit Sprengstoff gespicktes Auto, das in die gleiche Richtung wie die Autoeskorte von Jewkurow unterwegs war, war bei der Einfahrt in die inguschetische Hauptstadt Magas explodiert, wo sich der Amtssitz des Präsidenten befindet. Jewkurow wurde schwer verletzt. Nach der notärztlichen Betreuung wurde er per Flugzeug nach Moskau gebracht, wo er im Institut für Chirurgie „Wischnewski“ behandelt wird.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 24. Juni 2009; http://de.rian.ru


Anschlag auf Inguschetiens Präsident: Kreml verspricht „harte Antwort“

Die russische Staatsführung betrachtet den am Montag (22. Juni) verübten Anschlag auf den Präsidenten der Teilrepublik Inguschetien, Junus-Bek Jewkurow, als Terroristen-Rache für dessen hartes Durchgreifen und kündigt Gegenmaßnahmen an.

Wie Jewkurows Sprecher Kaloj Achilgow am Montagnachmittag zu RIA Novosti sagte, wurde Inguschetiens Präsident wegen einer Splitterwunde an der Leber erfolgreich operiert. Sein Zustand sei stabil, es bestehe keine Lebensgefahr. Jewkurow soll in einer Moskauer Klinik weiterbehandelt werden. Ein Arzt hatte zuvor zu RIA Novosti gesagt, der Präsident habe sich auch eine Kopfwunde, eine Gehirnerschütterung und eine Brandwunde zugezogen.

Die Regionalzentrale des russischen Inlandgeheimdienstes FSB hat einen groß angelegten Anti-Terror-Einsatz im inguschetischen Rayon Nasran eingeleitet. Wie ein FSB-Sprecher zu RIA Novosti sagte, gibt es Hinweise darauf, dass sich die Verdächtigten in dieser Gegend befinden. Diese Einsätze beinhalten verschärfte Ausweiskontrollen, eingeschränkte Transporte, ein mögliches Abhören von Telefongesprächen und bei Bedarf sogar die Evakuierung der Bevölkerung von besonders gefährlichen Einsatzorten.

Der russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika will die Ermittlungen persönlich kontrollieren. Auch der russische Innenminister Raschid Nurgalijew weilte am Montag vor Ort.

Präsident Dmitri Medwedew sagte, die Terroristen hätten mit diesem Attentat auf Jewkurows Durchgreifen bei der Terrorbekämpfung reagiert. FSB-Chef Alexander Bortnikow stimmte dem zu: Die inguschetischen und die tschetschenischen Sicherheitskräfte hätten in letzter Zeit bei gemeinsamen Einsätzen die in der Gegend verbliebenen Extremisten in das schwer zugängliche Bergland getrieben.

Medwedew beauftragte auch den tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow, die Anti-Terror-Maßnahmen zu verschärfen. „Wer solche Taten verübt, muss verstehen, dass die Antwort direkt und hart sein wird“, so Medwedew.

Die Staatsanwaltschaft von Inguschetien hat am frühen Montagnachmittag mitgeteilt, den Anschlag habe ein Selbstmordattentäter verübt, der mit einem Sprengstoff-beladenen in Jewkurows Fahrzeugkolonne gerats war, die sich auf dem Weg in die Hauptstadt Magas befand. Außer Jewkurow wurden dabei zwei weitere Menschen verletzt, sein Fahrer kam ums Leben.

Quelle: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 22. Juni 2009; http://de.rian.ru




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